Bei der wöchentlichen Pressekonferenz zur Coronalage im Kreis Rottweil hat Landrat Wolf-Rüdiger Michel scharfe Kritik an den „Politikern in Berlin“ geübt. Im Zusammenhang mit der gesetzlichen Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen kritisierte er „das Geschwätz von Politikerin in Berlin, das müsse man ‚halt unbürokratisch machen‘“. Die Impfpflicht bedeute mehrere Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen. „Das muss man sorgfältig abwägen, das geht nicht hoppla hopp“.
Der Bund habe entschieden, die Kontrolle der Einhaltung der Impfpflicht sollten die Gesundheitsämter übernehmen. Doch diese seien schon jetzt überlastet. Jeder Einzelfall müsse sorgfältig geprüft werden. Dazu müssten die Gesundheitsämter mit jedem Betroffenen sprechen, Atteste anfordern, diese überprüfen. Das sei sehr komplex, so Michel.
Hilfe fehlt
Bei alledem müsse man die Verhältnismäßigkeit und die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen im Blick behalten. Auch warte man immer noch auf Handlungsanweisungen vom Bund und Land. „Wenn mir ein Politiker erklären würde, wie das alles unbürokratisch gehen soll, werde ich gern zuhören“, bruddelte Michel.
Gefragt, ob er seine diesbezügliche Kritik auch schon während der Diskussion um die Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen im vergangenen Herbst vorgetragen habe, meinte er, die Kommunalen Spitzenverbände hätten sicherlich diese Fragen damals in den Gesetzgebungsprozess „eingespeist“. Jetzt sei es an der Zeit, deutliche Worte zu sprechen.
Er gab aber auch zu, dass er von einer „deutlich höheren Impfbereitschaft“ in diesem Bereich ausgegangen sei. „Wir haben alle gehofft, wir kommen an nahezu 100 Prozent heran.“ Das habe sich leider nicht erfüllt. Er kritisiere an der Berliner Politik, dass die Gesundheitsbehörden allein gelassen würden, und man sich dort keine Vorstellung mache, wie komplex das Ganze ist.
Zahlen steigen rasant, nicht jedoch die Hospitalisierung
Zu den aktuellen Zahlen berichtete Michel, dass der Kreis Rottweil mit einer aktuellen Sieben-Tage-Inzidenz von 1170 im Vergleich zu den Nachbarkreisen besser da stehe. Er habe aber gelernt, dass das sich sehr schnell ändern können. Besonders hoch seien die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen. Bei den über 60-Jährigen dagegen längen sie weit unter dem Durchschnitt. Das zeige, „Impfen hilft gegen Ansteckungen und schwere Verläufe“. Seit Beginn der Pandemie hätten sich etwa 23.000 Menschen im Kreis mit dem Virus angesteckt.
Besonders viele Todesfälle habe es in der zweiten Welle gegeben. Bei der vierten, der Omikronwelle hole man leider derzeit stark auf.
Die Impfquote im Kreis liege derzeit bei etwa 70 Prozent, so Michel. “Da ist noch deutlich Luft nach oben.“ Er appellierte erneut sich impfen zu lassen und dankte den Ärztinnen und Ärzten im Kreis für deren Unterstützung. Die Zahl der Impfungen in den Impfstützpunkten sei weiter zurückgegangen. Von 1183 in der ersten Januarwoche auf 471 in der vierten Woche.
Der Leiter des Gesundheitsamtes Dr. Heinz-Joachim Adam berichtete, Fachleute erwarteten den Höchststand bei Omikron in den nächsten drei Wochen. Das Infektionsrisiko werde durch eine neue Subvariante besonders bei ungeimpften Personen deutlich steigen.
Andererseits sei die Hospitalisierungsrate deutlich gesunken. Aber auch die Zahlen hier belegten, dass Impfungen vor schweren Verläufen schützten.
Hoffen auf den neuen Impfstoff
Adam berichtete aus den Schulen und Pflegeeinrichtungen, dass auch hier die Zahl wieder ansteigen. Die Zahl der Geimpften bei den Beschäftigten liege teilweise bei 90 Prozent in den Heimen und Krankenhäusern, teilweise aber auch deutlich niedriger. Im SRH-Krankenhaus in Oberndorf beispielsweise seien nur etwa 80 Prozent der Beschäftigten geimpft.
Martine Hielscher vom Gesundheitsamt hofft, dass nach der Zulassung des neuen Impfstoffes Novaxovid noch weitere Angehörige des Pflegepersonals sich impfen lassen werden. Das Gesundheitsamt habe die Pflegeeinrichtungen angeschrieben und biete besondere Termine für Personalimpfungen mit dem neuen Impfstoff an.
Besondere Ansprache von Menschen mit Migrationshintergrund
Das Robert-Koch-Institut hatte gemeldet, dass die Impfquoten in manchen Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund deutlich niedriger sind. Gefragt, ob der Landkreis mit speziellen Angeboten auf diese Gruppen zugehe, erwiderte Landrat Michel, man setze auf Ärztinnen und Ärzte, die ebenfalls ausländische Wurzeln hätten. Auch über die Sozialarbeiter in den Gemeinschaftsunterkünften werbe man für das Impfen. Es sei aber schwierig, denn: „Wir wollen niemanden zwingen.“
Einen wichtigen Grund für die niedrigeren Impfquoten sieht Michel auch in der Sprachbarriere. Er möchte das Problem allgemein aber nicht an diesen Menschen festmachen. Michel verwies auch auf die deutlich niedrigeren Impfquoten in Osteuropa. Dort sei die Impf-Skepsis weiterhin groß. Menschen von dort seien schwerer zu überzeugen.
Auch Gesundheitsamtsleiter Dr. Adam setzt auf Ärztinnen und Ärzte, die beispielsweise russisch sprechen. Mit diesen habe das Gesundheitsamt Kontakt aufgenommen. Auch bei den Impfstützpunkten nähmen sich die Ärztinnen und Ärzte besonders viel Zeit zur Aufklärung bei Menschen mit Migrationshintergrund. „Wir hoffen, dass die Impfbereitschaft zunimmt, wenn es sich in der Community rumspricht.“