Weil er versucht haben soll, seine Frau zu töten, steht ein 43-Jähriger aus Lauterbach, ein Geflüchteter, vor dem Rottweiler Landgericht. Wegen versuchten Mordes. Bislang kam er zu Wort, am Dienstag nun sprach das mutmaßliche Opfer – einfühlsam befragt vom Richter. Dennoch flossen Tränen.
(Rottweil / Lauterbach). Die Schwurgerichtskammer des Rottweiler Landgerichts verhandelt seit Anfang Dezember gegen einen heute 43 Jahre alten Angeklagten. Der gebürtige Eritreer soll versucht haben, in der Nacht vom 27. auf 28. März 2023 in einer Asylbewerberwohnung in Lauterbach seine Frau zu töten. Zur Tat schweigt er.
Mutmaßlicher Täter muss den Saal verlassen
Die Zeugin, die Ehefrau, das mutmaßliche Opfer wurde am zweiten Prozesstag, am Dienstag vernommen. Auf Antrag ihrer Anwältin ist ihr Mann, der sie zu töten versucht haben soll, vor der Vernehmung aus dem Sitzungssaal geführt worden. Ein Aufeinandertreffen sei „zwingend zu vermeiden“, zitierte der Vorsitzende Richter aus dem Antrag der Nebenklagevertreterin. „Sie kann auf keinen Fall aussagen und sie wird auch nicht aussagen, wenn der Angeklagte nicht aus dem Saal entfernt wird“, ergänzte die Anwältin vor der Vernehmung. „Er macht mir Angst“, schrieb die Frau in einer persönlichen, handschriftlichen Notiz ans Gericht. Nach kurzer Beratung folgte das Gericht dem Antrag, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten grundsätzlich nichts dagegen. Der Angeklagte sollte die Aussage in einem anderen Zimmer im Gerichtsgebäude per Audio-/Video-Übertragung verfolgen können. In einer Zelle im Erdgeschoss, offenbar. Damit werde seinen Rechten ebenfalls Rechnung getragen.
Zierliche Frau
Die hübsche, zierliche Frau geht leicht gebückt. Sie trägt ein Holzkreuz als Schmuck. An der Zeugenbank sitzt sie mit gesenktem Blick zwischen ihrer psychosozialen Prozessbegleiterin und ihrem Dolmetscher, auch der Richter rückt mit Strafprozessordnung und Akten in der Hand an den Zeugentisch. Die 36-Jährige wirkt dort wie ein eingeschüchtertes Kind. Allerdings ein um Aufklärung eines Verbrechens bemühtes. Doch es fällt ihr schwer: Bevor sie mit ihrer Erzählung beginnt, wie sie ihren Mann kennengelernt hat, bricht sie bereits in Tränen aus. Richter und Dolmetscher führen die Befragung einfühlsam, beruhigend, geduldig. Der Richter stellenweise zudem mit einer gewissen Lockerheit. Es geht nur ums Kennenlernen, um die frühe Heirat, um die Eltern, um die Kinder, um die Lebensgeschichte. Es ist erst der Beginn der Befragung. Noch weit weg von der Bluttat. Manche der Fragen beantwortet sie in Deutsch. „Lauterbach“ und „Hauptstraße“, ihre Adresse, etwa. Und Geburtstage ihrer Kinder.
Als läge ein Fluch über der Beziehung
Für einen Außenstehenden kaum nachzuvollziehen: Die Beziehung zwischen den beiden sei bald schon von Gewalt geprägt gewesen, erzählt sie auf Nachfrage des Richters. Nie sei er mit ihr zufrieden gewesen, was immer sie auch getan habe. Sex holt er sich mit Gewalt. Sie sei auf der Welt, um Männern zu dienen, habe er behauptet. Trotzdem reisen beide gemeinsam um die halbe Welt, vom Sudan über Italien bis Deutschland, um sich ein neues Leben aufzubauen. Trotzdem bleibt sie bei ihm. Über Jahre hinweg. Mit ihren schließlich vier Kindern. Er behauptet, er müsse in ihrem Auftrag verhext worden sein. Anders könne er sich nicht erklären, warum er nicht von ihr wegkomme.
In Lauterbach spitzt sich die scheinbar aussichtslose Lage zu. Tagsüber schläft er, abends trinkt er. Gemeinsam gehen sie selten aus dem Haus, er erklärt, sich an ihrer Seite zu schämen. Er erklärt auch, dass sie gehen, endlich verschwinden solle. „Er beschimpft mich, er schlägt mich, es war immer dasselbe“, so die Frau. Auch die Vaterschaft für die gemeinsamen Kinder habe er während seiner Wutanfälle geleugnet. Eines Tages habe er die Koffer gepackt, sei scheinbar ausgezogen. Doch das sei nur ein Test gewesen. Und weil sie – ermattet, entkräftet, müde – ihn nicht zurückhalten wollte, konnte er fortan behaupten, dass sie längst einen anderen habe. Dass sie längst fremdgehe. Er setzt sie so unter Stress, dass ihre Monatsblutung aussetzt, erzählt sie dem Richter, sich windend, mit verschränkten Armen und Beinen.
Sie stillt eines der Kinder – er sticht zu
Wie berichtet: Die beiden haben vier Kinder miteinander. Eines stillte die Frau gerade, als der Mann sie in der gemeinsamen Wohnung mit einem Küchenmesser angriff, erzählt sie weiter. Der Anlass: ein nichtiger. Sie geraten darüber in Streit, ob er ein Antibiotikum, das sie benötigen, ein so holen kann oder ob er dafür ein Rezept braucht. Er zieht sich einen Mantel übers T-Shirt. Schreit und redet, abwechselnd und unaufhörlich. Er läuft gestikulierend durchs Zimmer, macht ihr Vorhaltungen. Sie stillt das Kind weiter, bittet ihn, ins Bett zu gehen. Er erklärt, künftig mit seiner neuen Geliebten zusammen sein zu wollen. Sie erwidert, dass sich trotz der vier Kinder ebenfalls einen neuen Lebenspartner finden werde. Unter dem Mantel trägt er schon ein Messer bei sich. Er zieht es, sticht nach ihr. Sie versucht, ihn abzuwehren. Der erste Stich geht durch ihre Hand durch. Er zieht das Messer heraus und sticht weiter auf sie ein. „Heute musst Du sterben!“, habe er gesagt. Und: „Du hast mein Leben kaputt gemacht!“ Sie versucht zu flüchten, er sticht von hinten weiter auf sie ein. Sie ruft ihren größeren Sohn zu Hilfe – und als dieser wach wird, lässt der Angreifer von ihr ab. Wie, als habe er nicht wollen, dass sein Kind das Verbrechen sieht. Das blutende Bündel, das seine Frau inzwischen ist, schleift er „wie einen Hund“ vor die Wohnungstür. Nachbarn rufen die Polizei.
So stellt sie den Tatabend dar. Inzwischen hat sie Vertrauen zum Vorsitzenden Richter gefasst, konnte ihre Geschichte recht ruhig und gefasst erzählen.
Zum letzten Mal sah sie ihren Mann, als er abgeführt wurde. Er hatte sich selbst gestellt, war in der Wohnung geblieben, leistete keinen Widerstand.
Wie es weitergehen soll? Sie bekreuzigt sich
Sie verbringt mehrere Wochen in Krankenhäusern, zunächst in der Uniklinik Tübingen. Von der Tat hat sie Narben davongetragen. Auch psychische. Aber sie komme zurecht. Eine Freundin, die ebenfalls aus Eritrea kommt, hilft ihr.
Auf die Frage des Richters, wie es mit der immer noch bestehenden Ehe weitergehen soll, bekreuzigt sie sich. Sie will sich unbedingt scheiden lassen. Er hatte in seiner Vernehmung noch erklärt, dass er sich bei ihr entschuldigen wolle, dass alles wieder gut werden könne. Das hält sie für ausgeschlossen. Er habe sie bereits getötet. „Mit einem getöteten Menschen kann man nicht mehr zusammenleben.“
Der Prozess wird fortgesetzt. Mit einem Urteil ist im Januar 2024 zu rechnen.