Das Landgericht in Stuttgart hat im Prozess um illegale Waffenlieferungen nach Mexiko drei Angeklagte, zwei ehemalige Geschäftsführer und Ausfuhrverantwortliche sowie einen stellvertretenden Vertriebsleiter, freigesprochen und zwei zu Haftstrafen von einem Jahr und zehn Monaten beziehungsweise einem Jahr und fünf Monaten zur Bewährung verurteilt. Die Einnahmen, die Heckler und Koch durch die Waffenverkäufe von G-36-Gewehren und MP5-Maschinenpistolen erzielte, zieht der Staat ein: gut 3,7 Millionen Euro.
Den fünf ehemaligen Mitarbeitern des Oberndorfer Waffenherstellers hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, mehr als 4000 G-36-Gewehre in mexikanische Unruheprovinzen geliefert zu haben. Das Gericht sah es in drei Fällen, unter anderem beim früheren HK-Geschäftsführer, dem pensionierten ehemaligen Präsidenten des Rottweiler Landgerichts Peter B., nicht als erwiesen an, dass die Angeklagten von den illegalen Waffenlieferungen in mexikanische Unruheprovinzen wussten.
Bei den beiden Verurteilten, einer Sachbearbeiterin und einem Vertriebsleiter, ging das Gericht davon aus, dass sie die Exportgenehmigungen über mit den mexikanischen Behörden gemeinsam frisierte Endverbleibserklärungen erschlichen haben. Das Landgericht hat sie deshalb wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in mehreren Fällen beziehungsweise wegen Beihilfe hierzu verurteilt. Der ehemalige Vertriebsleiter muss außerdem 80.000 Euro an gemeinnützige Vereine zahlen, die Sachbearbeiterin 250 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
Zwei Stunden Urteilsbegründung
Das Verfahren sei „äußerst komplex“ gewesen und habe „einen außerordentlichen Umfang angenommen“, so der Vorsitzende Richter Frank Maurer in seiner Urteilsbegründung. Er werde etwa zwei Stunden für die Urteilsbegründung brauchen. Es sei im Grunde um die Frage gegangen, wer wusste wann was von der illegalen Ausfuhrpraxis? Unmittelbare Beweise, wie Bekennerschreiben oder Geständnisse habe es nicht gegeben, nur Indizien.
Beim Thema Waffen seien „besondere Emotionen im Spiel“, so Maurer, der Prozess sei dennoch „kein Tribunal über die deutsche Waffenindustrie“. Waffenexporte seien eine politische Entscheidung der Bundesregierung. Für solche Entscheidungen müsse ein Waffenhersteller „eine verlässliche Entscheidungsgrundlage“ schaffen.
Der eine tot, der andere nicht da
Maurer bedauerte, dass zwei Hauptpersonen dem Gericht nicht zur Verfügung standen, einer ist inzwischen verstorben, der andere aus Mexiko vorsichtshalber nicht angereist. Diese beiden, der damalige Leiter des Vertriebsteams für Mexiko-Geschäfte in Oberndorf sowie ein Verkaufsrepräsentant des Waffenherstellers in Mexiko waren für das Gericht die „bösen Buben“.
Nach zehn Monaten Hauptverhandlung, der Einvernahme zahlreicher Zeugen und der Verlesung einer Vielzahl von Urkunden sei das Gericht zur Überzeugung gelangt, „dass der Waffenhersteller 4219 Sturmgewehre, zwei Maschinenpistolen und 1759 Magazine nach Mexiko ausgeführt hat, die dort von der zentralen Beschaffungsstelle an die mexikanischen Bundesstaaten Jalisco, Chiapas, Chihuahua und Guerrero weiterveräußert wurden“, heißt es in einer schriftlichen Mitteilung des Gerichts.
Die Ausfuhren nach Mexiko waren nach Auffassung der Kammer zwar inhaltlich von den Genehmigungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gedeckt. „Diese waren jedoch aufgrund bewusst unrichtiger Angaben erschlichen worden, da den deutschen Genehmigungsbehörden als unzuverlässig erkannte Endverbleibserklärungen der mexikanischen Behörden vorgelegt wurden“, heißt es weiter.
Unten in der Hierarchie: Die Verurteilten
In seiner mündlichen Urteilsbegründung betont Maurer, der Verkaufsleiter habe das mit en erschlichenen Enverbleibserklärungen erkannt und gut geheißen. In einer Mail an seine Oberndorfer Kollegen habe der mexikanische Vertreter beschrieben, dass man die vier kritischen Staaten doch aus den Endverbleibserklärungen für die Exportanträge einfach raus lassen sollte. Das habe der Vertriebsleiter gelesen. „Das hat aber nicht zu einem Aufschrei geführt, sondern zu der Antwort ‚Gut gemacht‘“, wirft das Gericht dem Vertriebsleiter vor.
Die Sachbearbeiterin habe weit mehr getan, als eine Sachbearbeiterin üblicherweise macht, so das Gericht. Sie sei eingebunden gewesen in die Auftragsabwicklung, habe akribisch alle Mails aus Mexiko abgeheftet. „Sie war bestens informiert.“ Wie sehr sie eingebunden war, lasse sich aus einer Mail entnehmen, in der sie von sich, dem mexikanischen Vertreter und ihrem verstorbenen Chef von einem „tollen Team“ schrieb. Sie habe sich mit Heckler und Koch identifiziert und sei „weit über das Ziel hinausgeschossen“.
Die Chefs: Im Zweifel für die Angeklagten
Die Freisprüche für die drei anderen Angeklagten begründete Maurer so: Der ehemalige Landgerichtspräsident Peter B. war zwar als Behördenbeauftragter und später als Geschäftsführer für Heckler und Koch während eines Teils der Mexiko-Geschäfte aktiv, aber nach Ansicht des Gerichts ahnungslos bei dem, was da zwischen Oberndorf und Mexiko ausgemauschelt wurde. „Es gibt keine Belege dafür, dass er Kenntnis von der Tätigkeit der kleinen Bande hatte.“
Ein Post-it-Zettel mit dem Hinweis „Guerrero muss raus“ sage nicht zwingend, dass die Unruheprovinz aus dem Antrag gestrichen werden müsse. Es könne auch heißen, dorthin solle nicht geliefert werden. Bitteres Gelächter löste Richter Maurers Hinweis aus, in einem Papier sei von „Geräten“ die Rede gewesen. Wie hätte B. da auf die Idee kommen können, dass Waffen gemeint seien? Ruf aus dem Saal: „HK spricht immer nur von Geräten!“
Das Auswärtige Amt ist irritiert
Die berühmte Geschichte mit dem „administrativen Versehen“ sei Peter B. auch nicht vorzuwerfen. Dieser habe nur einen Formulierungsvorschlag gemacht. Wofür? Die Mexikaner wollten Magazine für das G 36 kaufen, die nach Chiappas -einem der vier Tabu-Bundesstaaten – geliefert werden sollten. Dorthin hatte Heckler und Koch laut den bisherigen Endverbleibserklärungen aber angeblich nie Gewehre geliefert. Im Bundesaußenministerium war man darüber „irritiert“.
Doch bei Heckler und Koch tüftelten die Verantwortlichen eine Lösung aus. Die mexikanischen Besteller sollten schreiben, dass mit Chiappas sei ein „administrativer Fehler“ gewesen, die Magazine seien für eine andere, unbedenkliche Provinz bestimmt.
Dass man B. den Hintergrund für dieses Schreiben nicht erklärt hat – das Stuttgarter Landgericht nimmt das offenbar an. Peter B.s Formulierungskünste waren erfolgreich: das von ihm vorformulierte schreiben schickten die Mexikaner nach Deutschland – und die Irritationen im Außenministerium waren beseitigt, die Magazine wurden geliefert.
Ebenfalls freizusprechen sei der zweite Geschäftsführer auf der Anklagebank. Auch er habe sich auf die lang eingeübte Praxis mit den Exportgenehmigungen verlassen dürfen. „Er musste nicht damit rechnen, dass sein Vertrauen missbraucht würde.“ Er habe keine Veranlassung gehabt, den für Mexiko Verantwortlichen zu misstrauen.
Bleibt der dritte Freispruch. Für den Nachfolger des verurteilten Vertriebsleiters sah das Gericht, keine Sorgfaltspflichtverletzungen. Er habe drauf vertrauen können, dass der für Mexiko Verantwortliche – der Verstorbene – und der in Mexiko gebliebene Repräsentant sorgfältig arbeiteten.
Heckler und Koch muss zahlen
Das Unternehmen erhalte kein Bußgeld, sondern der Staat ziehe die Erlöse aus den Waffenverkäufen ein. „Die Täter haben für Heckler und Koch gearbeitet. Der Erlös aus dem Verkauf ist einzuziehen.“ Und zwar komplett, ohne Abzug der Produktionskosten, urteilte die Kammer.
Schließlich hat der Vorsitzende Richter deutlich gemacht, dass Gegenstand des Verfahrens ausschließlich der illegale Waffenexport war, nicht der Einsatz von Waffen in Mexiko. Das lange Verfahren sei der Komplexität geschuldet, den Anfragen ins Ausland, es habe keine Verfahrensverzögerung gegeben. Nach genau zwei Stunden wies Maurer noch auf die Revisionsmöglichkeiten hin. Deshalb ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
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