Eine sehr überraschende Wende nahm am Montagnachmittag das Verfahren wegen Hausfriedensbruch gegen den Friedensaktivisten Hermann Theisen. Nach einer dreiviertel Stunde verkündete Richter Wolfgang Heuer, Theisen werde freigesprochen, die Kosten trage die Staatskasse.
Die Gründe seien aber andere, als die die Theisen für sich ins Feld geführt hatte, so Heuer. Theisen habe „Glück gehabt“, dass Heckler und Koch „eine dilettantische Dienstanweisung für den Werkschutz“ habe.
„Ich bin nun 28 Jahre in der Strafjustiz tätig“, hob Heuer in der mündlichen Urteilsbegründung an, „aber ein solches Verfahren habe ich noch nie erlebt.“ Es folgte ein Lob der Staatsanwaltschaft und Prügel für den Angeklagten, den ehemaligen Justitiar von Heckler und Koch und die heutige Geschäftsleitung. Letztere könnte das Verfahren noch teuer zu stehen kommen. Aber davon später.
Drei Jahre Juristerei wegen zehn Minuten am falschen Ort
Der Reihe nach: Der Friedensaktivist Hermann Theisen musste sich vor dem Amtsgericht verantworten, weil er vor drei Jahren am 5. Mai 2015 beim Flugblattverteilen auf dem Gelände von Heckler und Koch war und trotz Aufforderung des Werkschutzes das Gelände nicht verlassen hat.
Beim ersten Verhandlungstag am 21. März war es zum Schluss darum gegangen, ob der Werkschutz von sich aus jemanden vom Gelände verweisen kann. Der damalige Justitiar des Unternehmens, Hans-Peter Miller, hatte als Zeuge nämlich erklärt, er habe dem Werkschutz keine derartige Anweisung gegeben und kein Hausverbot erteilt. Das dürfe der Werkschutz von sich aus tun. Der Werkschutzmann dagegen hatte versichert, Miller habe ihm gesagt, er solle Theisen wegschicken und die Polizei holen.
Heuer unterbrach daraufhin die Verhandlung und beauftragte den Polizeihauptkommissar Ralf Hage, die damals gültige Dienstanweisung für den Werkschutz bei Heckler und Koch zu besorgen. Als Zeuge berichtete Hage nun, er habe die Papiere von der heutigen Justitiarin und dem Personalleiter erhalten.
Und da steht etwas drin, was Heuer dilletantisch nennt. Demnach darf der Werkschutz „in den Abwesenheitszeiten von Mitarbeitern“ unbefugte Menschen vom Gelände schicken und das Hausrecht ausüben. Das heißt, so lange nur ein HK-Beschäftigter im Werksgelände ist, hat der Werkschutz kein Recht, jemanden von sich aus weg zu schicken. „Das könnte man so sehen“, habe die heutige Justiziarin ihm „nach längerer Pause“ bestätigt, so der Zeuge Hage.
Die Plädoyers
In seinem Plädoyer verteidigt Oberstaatsanwalt Kaltschmid das Verfahren. Es sei keineswegs „vermurkst“, wie Theisen im März sagte und die NRWZ zitierte. Als es 2015 los ging, sei Theisen wegen eines ähnlichen Vorfalls in München verurteilt worden. Es habe die Anzeige von Heckler und Koch wegen des Aufrufs zum Whistleblowing und des Hausfriedensbruchs vorgelegen und deshalb habe man den Strafbefehl beantragt.
Erst als die Statsanwaltschaft ein anderes Urteil aus Koblenz vom Amtsgericht erhalten habe, wonach das Flugblatt wohl nicht strafbar sei, habe sich die Staatsanwaltschaft sei, entschieden den Vorwurf der „Störung des öffentlichen Friedens durch Aufruf zu einer Straftat“ fallen zu lassen. Der Hausfriedensbruch sei aber erwiesen und deshalb habe er das weiter verfolgt. Die Meinungsfreiheit sei nicht grenzenlos, es gelte auch da das Hausrecht. Theisen werde in seinem Grundrecht nicht eingeschränkt, „ein paar Meter weiter hätte er seine Flugblätter verteilen können“.
Dann die Wende: Kaltschmid bekennt, die Beweisaufnahme habe ihn überrascht, denn die Dienstanweisung gebe dem Werkschutz nur dann die Möglichkeit jemanden weg zu schicken wenn niemand im Werk ist. Er habe „letzte Zweifel“, dass Theisen wirklich von jemandem auf Anweisung von oben, sprich Justiziar Miller weggeschickt worden war. Deshalb sei Theisen frei zu sprechen.
Theisen wiederholte seine Argumente zur Meinungsfreiheit. Wenn der Inhalt des Flugblattes angeblich keine Rolle spiele, fragte er, weshalb dann die Hälfte des Strafbefehls der Staatsanwaltschaft aus Zitaten aus dem Flugblatt bestehe. Schließlich stellte er die Frage, ob die Anzeige des Unternehmens überhaupt gültig sei, denn sie enthalte „elementare Fehler“.
Das Urteil
Richter Heuer nahm zunächst den Staatsanwalt in Schutz. Der habe „seine Sache so gemacht, wie man das von ihm verlangt“. Nach der ersten Verhandlung sei er von einer Verurteilung ausgegangen. An Theisen gewandt meinte Heuer: „Sie haben den Freispruch nicht Ihrem Verhalten, sondern einer dilettantischen Dienstanweisung und der Anzeige zu verdanken.“ Die Anweisung sei „abartig und lebensfremd“.
Theisen warf er vor, ein „absurdes Theater“ aufzuführen mit seinen Pressemitteilungen. Er sei ein „politischer Aktivist, der es billigend in Kauf nimmt, sich strafbar zu machen, um die Öffentlichkeit zu erreichen.“ Das sei ihm wunderbar gelungen. Er habe sich im Verfahren selbst erhöht und als Friedensaktivist gerühmt, die anderen, also die von Heckler und Koch, seien „alles Verbrecher“.
Kritik an Heckler und Koch
Den damaligen Justitiar von Heckler und Koch, Peter Miller, nahm sich Heuer anschließend vor. Der Volljurist sei als Zeuge „erbarmungswürdig“ gewesen. Die von ihm formulierte Anzeige zum Theisenschen Hausfriedensbruch sei in wesentlichen Teilen „wissentlich falsch“ formuliert. Sie sei so formuliert, um „höheren Druck auszuüben“, vermutete Heuer. Miller habe das Hausverbot laut eigener Aussage nicht erteilt, in der Anzeige stehe das aber. Die Justiz habe sich darauf verlassen, dass, was in der Anzeige stehe, wahr sei. „Wir sind eines besseren belehrt worden.“ Man hätte es auch vorher ermitteln können, meinte er selbstkritisch.
Noch einmal an Theisen gewandt, betont Heuer, dieser habe „jetzt Glück gehabt“, wäre aber „sonst auf dem Bauch gelandet“.
Zahlt Heckler und Koch die Zeche?
Zum Schluss noch ein Blick auf Heckler und Koch: Das Unternehmen sei „bis heute Herr des Verfahrens“. Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt. Hätte die Firma die Anzeige zurückgenommen, wäre der Fall erledigt gewesen. Auch nach dem Besuch durch Hauptkommissar Hage, als klar war, das wird schwierig und Hages Hinweis dazu, habe Heckler und Koch nicht reagiert. Er werde deshalb prüfen, ob die Firma nicht die Kosten des Verfahrens tragen muss. Wer eine unwahre Anzeige erstattet, kann dazu verdonnert werden. „Ich habe den Paragraf 469 noch nie in meinem Berufsleben angewandt“, so Heuer. Nun werde er das prüfen.