Hat eine Spezialfirma für Vogelabwehr Jungtauben in ihrem Nest eingeschlossen? Und sind diese nun nach zwei Tagen ohne Futter verhungert? Diesen Verdacht hegt der Rottweiler Tierschutz bei einem Mehrfamilienhaus in Zimmern. Man rief die Feuerwehr.
Aufregung am Montagmittag in einer Wohnstraße in Zimmern. Günther Hermus ist da, Vorsitzender des Tierschutzvereins Rottweil, Arzu Paj vom Verein „Unsere Rottweiler Stadttauben“ ebenfalls. Die Stimmung: leicht bis mittelschwer gereizt. Man diskutiert mit einem Bewohner eines Mehrfamilienhauses. Und ein paar Meter weiter fährt die Feuerwehr auf: ein sogenanntes Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug, einen Mannschaftstransportwagen und die Drehleiter. Das Ziel: Jungtaubenrettung.
Auf den beiden Dachflügeln des Mehrfamilienhauses sind nämlich vor längerer Zeit großflächige Photovoltaikanlagen installiert worden. Nun, am Samstag, hat eine Spezialfirma Taubenabwehrgitter angebracht, den seitlichen Zugang unter die Photovoltaikmodule damit verschlossen. Und möglicherweise Taubenkinder eingesperrt.
Günter Hermus begründet diesen Verdacht im Gespräch mit der NRWZ damit, dass Elterntiere ganz offensichtlich versuchten, unter die Module zu kommen. Das könne nur bedeuten, dass sich darunter ihre Nester befinden. Und dass diese noch bewohnt gewesen seien, als die Schutzgitter angebracht worden sind. Dass der Bereich um die Nester so zum Gefängnis für die Jungtauben wurde, unerreichbar für ihre Eltern. Während Hermus das erzählt, flattern fünf, sechs ausgewachsene Tauben über das Dach hinweg, aufgeschreckt von den anrückenden Feuerwehrleuten, aber sie bleiben ganz in der Nähe.
Ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, so Hermus und Paj übereinstimmend. Während die „Taubenmama von Rottweil“ barfuß in den Korb der Drehleiter klettert, um sich gemeinsam mit dem Zimmerner Feuerwehrmann ein Bild von der Situation unter der Photovoltaikanlage zu machen, schaut Hermus gespannt vom Boden aus zu. Er habe über Paj von dem Vorfall erfahren, sagt er. Er habe dann vergeblich versucht, die Hausbesitzer, mit denen man schon vor dem Anbringen des Taubenschutzes Kontakt gehabt habe, zu erreichen. Daraufhin habe er sich an den Landestierschutzbund gewandt – der klar erklärt habe, dass man schauen müsse, dass die Tiere rausgeholt werden. Das sei schlicht Tierquälerei. Und damit strafbar. Auch das Kreis-Veterinäramt habe er einbezogen, so der Mann vom Tierschutzverein. Auch von dort habe er Rückendeckung bekommen. Zudem habe er Eierschalen im Dachbereich ausmachen können.
Also rief Hermus die Feuerwehr.
Zimmerns Kommandant Frank Scherfer arbeitet den Einsatz mit stoischer Ruhe ab. Menschen, Tiere und Sachwerte zu retten und zu schützen gehöre zu den Kernaufgaben der Feuerwehr. In diesem Fall hat man sich darauf geeinigt, dass der Kamerad im Korb der Drehleiter ein Eck des neuen Schutzgitters entfernt. Laut Hermus finden die Elterntiere den Zugang. Sie seien sehr intelligent.
Schließlich kam Paj wieder zu Boden zurück. Alles unter einer zunehmenden Zahl interessierter Augen der Menschen aus der Nachbarschaft des Mehrfamilienhauses. Ob es tatsächlich ein Nest gibt unter den Modulen, ob es bewohnt ist, ob die Tiere darin noch leben – all das blieb zunächst unklar. „Die ganz jungen werden verhungert sein“, so Hermus. Paj konnte zwar unter das Modulfeld blicken, es erstreckt sich aber über einige Quadratmeter und liegt recht dicht am Dach an.
Wie Paj später der NRWZ berichtete: „Ich habe tatsächlich Nester ausmachen können, in denen auch Eier drin sind“, sie habe nur nicht sehen können, ob Küken – lebend oder tot – in den Nestern waren.
Bleibt die Frage, wer den Einsatz am Ende bezahlen muss. Paj und Hermus jedenfalls wollen Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erstatten – gegen die Spezialfirma, die das Gitter angebracht hat. Und wenn diese tatsächlich fahrlässig oder absichtlich gesetzwidrig gehandelt, den Einsatz der Feuerwehr damit verursacht habe, dann wolle auch diese mit einer Rechnung vorbeikommen, verriet Kommandant Scherfer. Das halte er immerhin für möglich.