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    Ein tödlicher Unfall bei Dunningen – und die ausführliche Aufarbeitung vor dem Amtsgericht

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    Am 4. Juni 2019 wird ein 29-jähriger Motorradfahrer bei einem Unfall auf der B 462, an der Einmündung Dunningen-West, lebensgefährlich verletzt. Er verstirbt noch in der Nacht im Krankenhaus. Die heute 47-jährige Autofahrerin, die ihm die Vorfahrt genommen hat, musste sich nun wegen fahrlässiger Tötung vor dem Rottweiler Amtsgericht verantworten. Sie hatte sich gegen einen Strafbefehl gewehrt. Es blieb bei einer eher geringen Geldstrafe. Aber die 47-Jährige gilt nun weiterhin nicht als vorbestraft, das Gericht reduzierte die Strafe entsprechend. Ein ausführlicher Beitrag über eine ausführliche Verhandlung.

    Zunächst ein Strafbefehl

    Gegen einen wenige Wochen nach dem Unfall erlassenen Strafbefehl wehrte sich die Frau, daher kam es nun zum Prozess, bald drei Jahre später. Sie glaubt, dass ein Schild ihr die Sicht versperrt habe. Diese Möglichkeit bestätigte ein Sachverständiger nun, er hielt das Problem für Autofahrer aber für vermeidbar. Nach seinen Worten hatte das Unfallopfer keine Chance.

    Für den Anwalt der Unfallfahrerin war der getötete Biker dagegen ein Raser auf einer Rennmaschine. Und für die Autofahrerin – die ihm doch die Vorfahrt nahm – sei der Unfall unvermeidbar gewesen.

    Doch der Reihe nach.

    Prozessbeginn

    Die Angeklagte: 47 Jahre alt. 1,5 Liter Flasche Wasser, Plastikbecher, ein kleines Stofftier, mutmaßlich als Glücksbringer. Das und ihre Unterlagen breitet sie vor sich aus. Ihr Anwalt schätzt zunächst den Raum ein, seine Höhe, seine Weitläufigkeit, vergegenwärtigt sich, wo wer sitzt seitens Staatsanwaltschaft, Nebenklage, Gutachter und Co.

    Die Anspannung ist mit Händen zu greifen. Es geht um fahrlässige Tötung. Die Angeklagte mag sich kaum hinsetzen, bekommt unter ihrer FFP2-Maske schlecht Luft, nimmt sie immer wieder ab. Sie knetet und knautscht ein wenig das Stofftier. Stundenlang, über die gesamte Verhandlungsdauer hinweg.

    Durchatmen auch im gut gefüllten Zuschauerbereich, Verwandte und Bekannte der Angeklagten sind da. Und Freunde der Witwe des getöteten Motorradfahrers. Der Verteidiger hat ein Tütchen Kekse getrocknete Apfelschnitze dabei und weitere vier Zeugen für das Verfahren. Nicht offiziell geladen, wie er sagt, sondern einfach mitgebracht. Sie warten draußen.

    Ein Bild von der Einsatzstelle. Foto: Feuerwehr Dunningen

    Unfallopfer verstirbt noch in der Nacht

    Der Vorwurf: Die Schrambergerin soll am 4. Juni 2019 gegen 22.40 Uhr aus Dunningen kommend die alte B 462 Richtung Sulgen gefahren sein. Dann bog sie auf die Umgehung, die neue B 462 ein. Sorglos, wie die Staatsanwaltschaft ihr vorwirft, nach links Richtung Schramberg. Von dort kam ein Motorrad. Sie soll es übersehen, gegebenenfalls ignoriert haben. Es kam zum Zusammenprall.

    Der Motorradfahrer war laut Staatsanwaltschaft mit zwischen 95 und 115 Kilometern pro Stunde unterwegs. Mit fast dieser Geschwindigkeit schlug er mit seiner Maschine in das Ford-Cabrio der heute 47-Jährigen ein.

    Er verstarb noch in der Nacht, gegen 2 Uhr. Er wurde 29 Jahre alt.

    Sie bekam einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung. Gegen diesen hat sie Einspruch eingelegt. Mutmaßlich deshalb: Die Zahl der Tagessätze betrug 90, ab dieser Höhe gilt man als vorbestraft, bis dahin nicht. Denn ab dieser Höhe kommt ein Eintrag ins sogenannte polizeiliche Führungszeugnis. Ein Prozess könnte sich also lohnen.

    Vor dem Unfall: Auf ein Eis und Mineralwasser im „Calimero“

    Daher die Verhandlung vor dem Amtsgericht. Die Angeklagte spricht. Sie erinnert sich an den Tag, die Zeit. Sie habe eine Diagnose einer schweren Erkrankung bekommen, erzählt sie „von vorne“, wie sie sagt. Sie habe zu Beginn des Jahres 2019 einen monatelangen Kampf aufgenommen, Krankenhäuser aufgesucht. An jenem Tag war sie frisch aus der Klinik gekommen. Hatte gerade eine große OP, wie sie sagt. Es war der erste Tag, an dem sie wieder mit etwas Zuversicht unterwegs gewesen sei, etwas unternommen habe.

    „Schnecke, hast Du Zeit, ich brauche jemanden zum Reden“, so ein Freund an jenem Tag zu ihr. Sie saßen am Abend im „Calimero“ in Dunningen, auf ein Eis und Mineralwasser. Mit zitternder Stimme erzählt sie das der Amtsrichterin. Danach seien sie noch ein wenig in Dunningen spazieren gegangen. Dann habe sie sich mit ihrem Wagen auf den Weg nach Hause gemacht.

    „Ein riesiger Knall“, ein Geruch nach Benzin und Rauch

    Sie habe an der Einmündung gehalten, links, rechts und wieder links geschaut, sei losgefahren, „dann kam ein riesiger Knall. Ich habe nicht geschnallt, was passiert ist. Ich hatte ein wahnsinniges Pfeifen im Ohr.“ Sie habe anfangs nicht gewusst, wie sie aus dem Wagen kommen solle. Habe versucht, ihren Mann zu erreichen, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Damit dieser ihr erklärt, wie sie den Wagen verlassen kann. Dann sei sie irgendwie ausgestiegen, es habe nach Rauch und Benzin gerochen. Später realisiert sie das Motorrad. Wird ihr klar, dass es sich um einen Unfall handelt. Sie versucht, einen Notruf abzusetzen, das Handy hatte kaum Empfang.*

    „Ich habe den Menschen dort liegen sehen.“ Sie stellte ihrer Erinnerung nach ein Warndreieck auf. Schrie. Ein dunkles Auto hielt an, der Fahrer leistete erste Hilfe, „irgendwann stand ein Krankenwagen da.“ Wohl ein Rettungswagen, der zufällig vorbei kam, dessen Besatzung erste Hilfe leistete, erinnert sie sich, denn sie habe im Stress die hinteren Türen geöffnet, gesehen, dass bereits ein Patient darin gelegen habe, diesen nicht zuordnen können. Später kamen Schaulustige hinzu. Dann auch ihr Mann, weitere Bekannte. Zusätzliche Einsatzfahrzeuge von DRK und Feuerwehr. Die Polizei macht einen Alkoholtest mit der Fahrerin. Null Promille. Nach der Nacht habe sie nach 15 Jahren wieder das Rauchen begonnen, „wie ein Schlot“. Unterdessen hätten ihr alle Umstehenden erklärt, das Unfallopfer schaffe es. Komme durch. Darauf habe auch sie gehofft.

    Vor Gericht hadert sie ein wenig mit ihrem Schicksal. „Warum musste mir auch das noch passieren?“, sagt sie unter Tränen und mit erstickender Stimme. Eine schwere Erkrankung habe sie gerade überwunden gehabt, zudem den Tod einer nahen Angehörigen.

    „Es tut mir unendlich leid“

    In der Nacht im Rottweiler Krankenhaus habe sie damals erfahren, dass es der Motorradfahrer, der in dieselbe Klinik gebracht worden war wie sie, nicht schaffen werde. Dass die Polizei die Angehörigen informieren wolle. Weiterhin weinend und mit brechender Stimme berichtet sie der Amtsrichterin davon.

    „Es tut mir unendlich leid, was die Familie hat durchmachen müssen.“ Die Hinterbliebene des Getöteten weint, während sie das von der Nebenklagebank aus hört. „Aber ich kann es leider nicht ungeschehen machen“, so die Angeklagte.

    Die Bilder aus dieser Nacht würden sie ihr gesamtes Leben lang begleiten, die seien nicht auszulöschen.

    Prellungen, Schnittwunden, ein gebrochener Fuß, Arthrose als Spätfolge. Und eineinhalb Jahre Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung waren die Folgen des Unfalls für sie. Sie verbrachte auch Tage in einer Suizidabteilung. „Unter Menschen, die sich die Pulsadern aufgeschnitten haben, und Menschen, die sich mit Gegenständen unterhalten.“ Da habe sie sich entschlossen, „mein Leben nicht wegzuwerfen, da durch zu gehen.“ Beruflich hat sie, nach einem Coaching und einer Umschulung, inzwischen wieder Fuß gefasst. Verdient mäßig.

    Im Straßenverkehr war sie bis zum schrecklichen Unfall fast unauffällig. „Ich hatte nur einmal eine rote Ampel.“

    Warum sie das Motorrad nicht gesehen hat? Sie versuche, das selbst zu verstehen. Sie sei in dem Jahr nach dem Unfall mit ihrer Tante oft an diese Unfallstelle gefahren, habe Fotos von der Situation vor Ort gemacht. Und sie hat nach eigenen Angaben einen möglichen Grund ermittelt: „Wenn man nicht richtig an dieser Kreuzung steht, verschluckt ein Schild, ein Pfosten, einen ganzen VW Bus.“ Das blaue Schild stehe links, auf einer Verkehrsinsel. Es habe den aus dieser Richtung kommenden Motorradfahrer aus ihrer Sicht verdeckt. Ob sie ein Licht gesehen habe? „Ich weiß es nicht.“ Sie habe es intensiv versucht, sich daran zu erinnern, es aus ihrem Unterbewusstsein zu holen, „aber das ist wie weg.“

    Ihr Verteidiger stützt diese Sicht. „Wir können das beweisen.“ Ein Schild verdecke den Blick nach links. Man könne zudem, wenn man aus Richtung Schramberg komme, durch eine ansteigende leichte Linkskurve an zwei Stellen den rechts an der Einmündung wartenden Verkehrsteilnehmer übersehen.

    Sichtproblem und Unfallablauf: Das sagt der Sachverständige dazu

    Ein 53-jähriger Diplomingenieur und Kfz-Sachverständiger der DEKRA ist damals, noch in der Nacht, an die Unfallstelle gerufen worden. Gegen 0 Uhr war er dort. Die beiden Beteiligten, Auto- und Motorradfahrerin, seien nicht mehr vor Ort gewesen, sagte er nun vor Gericht. Doch die beiden beteiligten Fahrzeuge waren noch da. Er schaute sich um. Bat die Polizei, die Feuerwehr mit der Suche nach möglichen Teilen vom Crash zu beauftragen. Dabei sei etwa der Helm des Motorradfahrers gefunden worden. Weitab.

    Für den Biker habe eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 gegolten. Und für den ankommenden Autofahrer, der dessen Vorfahrt zu gewähren habe, sei die Sicht nach links, auf die querende Bundesstraße, gut einsehbar.

    Der eigentliche Unfall: Laut den Bildern des Sachverständigen ist der Motorradfahrer auf Höhe der B-Säule in den vor ihm einbiegenden Ford geprallt. In einem Winkel von etwa 45 Grad in die „besonders steif ausgebildete Seite des Cabrios“. Zehn Zentimeter wurde die Seitenwand eingedrückt. „Das Motorrad fuhr in aufrechter Position in die Seite des Wagens.“

    Das Zweirad, eine BMW, wurde im vorderen Bereich massiv gestaucht. Komplett zerstört. Sein Fahrer könnte noch stark gebremst haben. Entsprechend das Abriebbild des hinteren Reifens. Durch den heftigen seitlichen Einschlag ist das einbiegende Auto einmal um 180 Grad gedreht worden. Stand dann gegenüber der Einmündung. Das Motorrad blieb noch an der Einschlagsstelle liegen. „Fast die gesamte Energie des Motorrads ist in Beschädigungen des Wagens umgesetzt worden“, so der Sachverständige. Bedeutet: Der Einschlag verursachte einen plötzlichen und unmittelbaren Abbau der Geschwindigkeit auf Null. Im Bericht des Krankenhauses wird es später heißen, dass das Unfallopfer Verletzungen erlittenn habe, „die mit dem Leben nicht vereinbar sind.“

    Laut seinen Berechnungen ist der Motorradfahrer mit 80 bis 100 Kilometern pro Stunde ins Auto geprallt, so der DEKRA-Ingenieur. Der Biker wäre damit zunächst mit bis zu 115 Sachen unterwegs gewesen, habe noch gebremst. Sei dann ins Auto eingeschlagen.

    Mit letzter Sicherheit könne er das nicht sagen. Aber eine gesicherte Bremsspur ordnete er zugunsten der Autofahrerin diesem Motorradfahrer zu. Man könne nicht ausschließen, dass er schneller gefahren sei als die erlaubten 80. Aber wiederum nicht schneller als 115.

    Da die Maschine mit LED-Lampen ausgestattet war, könne er keine Aussage darüber treffen, ob sie gebrannt haben oder nicht, erklärte der Sachverständige weiter. Ob Fern- oder Abblendlicht eingeschaltet gewesen sei – am Zustand der Schalter könne man das nicht festmachen. Dieser könne sich auch während des Unfalls, beim Aufprall, verändern.

    Zum juristisch und auch für eine mögliche Umgestaltung der Einmündung wichtigen Thema der Sichtbehinderung: Wenn der einbiegende Autofahrer ganz vorfährt und nach links schaue, gebe es keine, so der DEKRA-Mann. Zuvor stehe aber tatsächlich ein Pfosten im Weg, der mit seinen acht Zentimetern Durchmesser „durchaus einen Motorradfahrer verdecken kann.“ Er gehört zu einem blauen Abbiegepfeil, der links des Fahrers auf der Verkehrsinsel steht. Damit dieser aber die komplette Fahrbahn verdecke, dafür müsse man sich schon direkt am Pfosten befinden. In wenigen Zentimetern Abstand.

    „Es gibt Positionen, etwa einen Meter von der Einmündung weg, in denen das Motorrad hinter dem Pfosten ist“, so der Gutachter. Allerdings auch nur bei einem kurzen Blick nach links. Schaue man länger, fahre der von links kommende Verkehrsteilnehmer aus dem toten Winkel heraus. „Man kann die ganze Fahrbahn anschauen.“

    Es gebe dort ein Sichtproblem. Es sei für einen vorsichtigen Autofahrer aber vermeidbar.

    Nach seinen Berechnungen war der Motorradfahrer noch etwa 90 Meter weit vom Kollisionspunkt entfernt, als die Autofahrerin anfuhr. Damit spiele auch eine Senke, aus der die Bundesstraße aus Richtung Sulgen hochkommt, keine Rolle. Wer dort vorne anhalte, „weiter vorfährt“, habe 200 Meter Sicht.

    Was der Ingenieur auch ermittelt hat: „Diese Nacht lag eine Nacht nach Neumond.“ Es habe Null Lux gegeben. „Es war stockfinster.“ Er halte es deshalb für unmöglich, dass der Biker ohne Licht gefahren sei. „Meiner Ansicht nach sieht er da die Straße nicht.“

    Im Übrigen sei es unklar, ob der Motorradfahrer reagieren müsse, wenn er in der Einmündung ein stehendes Fahrzeug sehe, sagte der Sachverständige weiter. Der Rechtsanwalt der Autofahrerin hatte da nachhaltig versucht, den Biker als einen Raser auf einer bis zu 300 Kilometern pro Stunde zugelassenen Rennmaschine darzustellen. Ihm also eine Mitschuld zuzuschieben, die Autofahrerin zu entlasten. Der Gutachter dagegen: Es sei schlüssig, dass der Mann mit 95 bis 115 Sachen unterwegs gewesen sei. Nicht mehr.

    Am Rande: Der Biker war mit einem schlecht angelegten Helm, zwar in einer Motorradjacke, aber nur in Jeans und Turnschuhen unterwegs. Bei diesem Einprall hätte ihm bessere Kleidung aber nicht geholfen, so die Einordnung des DEKRA-Manns.

    Was der Gutachter auch sagte: „Ein richtig festgezurrter Helm geht nicht runter.“ Nach dem Unfall fand die Feuerwehr diesen in einigen Metern Entfernung zur Unfallstelle. Wenn der Biker dies berücksichtigt hätte und die Geschwindigkeitbegrenzung eingehalten, „dann könnte er heute noch leben. Dann wäre das vielleicht anders ausgegangen.“

    Wobei die tödlichen Verletzungen des Motorradfahrers laut dem Nebenklagevertreter im Brustbereich gelegen haben. Dort trug er eine Lederjacke.

    Die Unfallaufnahme und Rettungsarbeiten: So erinnern sich die Polizeibeamten

    Die B 462, die Umfahrung von Dunningen, eine verkehrsunfallträchtige Strecke? Die Richterin wirft diese Frage auf. Der 44-jährige Streifenbeamte, der aus Schramberg damals zu dem Motorradunfall gerufen worden ist, kann nur bestätigen, dass es im Bereich Dunningen immer wieder zu schweren Unfällen komme. Auch bei diesem Crash habe er rasch vermutet, dass es um den Biker nicht gut stand. Die Stelle selbst aber, die Einmündung Dunningen-West, sei für ihn nicht unfallträchtig.

    In jener Nacht sei es zwar dunkel gewesen, aber klar. Und trocken. Er habe sich um die Absicherung der Unfallstelle gekümmert und darum, dass der Verkehr, die sich stauenden Lkws, wieder in Fluss gekommen seien. Die Kollegen vom Verkehrsunfalldienst aus Zimmern haben die Ermittlungsarbeiten übernommen.

    Den Motorradfahrer habe er nicht zu Gesicht bekommen. „Er befand sich bereits im Rettungswagen“, so der Beamte vor Gericht.

    Seine heute 26-jährige Kollegin kümmerte sich seinerzeit um die Unfallverursacherin. „Sie stand unter Schock“, erinnert sich die Polizistin. „Wir haben uns erst mal auf die Leitplanke gesetzt.“ Die Autofahrerin habe sich Sorgen gemacht, dass es der Motorradfahrer nicht schaffen könne, so die Streifenbeamtin. Und sie habe ihr erzählt, dass sie einfach habe abbiegen wollen. Sie habe weiter weg Lichter wahrgenommen, sei in die Kreuzung eingefahren. Dann habe es gekracht. „Juristisch ein wichtiger Punkt“, so der Rechtsanwalt der Autofahrerin. Unklar sei, ob sie die Lichter des Motorrads wahrgenommen hat. Und wann. Vor dem oder während des Einbiegens. Unklar sei auch, ob die Streifenbeamtin die Autofahrerin schon vor der damaligen Aussage über ihre Rechte belehrt habe. Wie die Aussage also zu bewerten sei.

    Die Einvernahme der Autofahrerin sei auch für sie als junge Beamtin nicht einfach gewesen. „Es war ein schwerer Unfall, auch für mich. Ich war aufgeregt“, gesteht sie bei ihrer Zeugenaussage vor dem Amtsgericht. Sie könne sich daher nicht an den Wortlaut und Ablauf des Gesprächs erinnern. Es seien emotionale Momente, wenn man sich als Polizist mit jemandem unterhalte, der an einem schweren Unfall beteiligt ist. Man müsse da eigene Gefühle zurückdrängen. Und versuchen, den Unfall zu rekonstruieren, den Ablauf herauszufinden. Beteiligte definieren, Zeugen befragen.

    Besonderer Moment in diesem Fall: Die Unfallfahrerin musste seinerzeit auf Toilette. Nach Krebserkrankung und der OP sei das ein Leiden, sagte die Frau vor Gericht. Die Beamtin bestätigte: Sie sei mit ihr über die Leitplanke gestiegen, abseits der da gesperrten Unfallstelle. Habe sie begleitet.

    Der damalige Ermittler der Verkehrsunfalldienstes der Polizei kann sich nun, Jahre später, nicht mehr an vieles erinnern. Daran, dass es sich bei dem Motorrad um eine rote BMW gehandelt habe, „das habe ich noch im Kopf“. Mehr in Bezug auf den damaligen Fall eigentlich nicht. Er sei ohnehin nicht der leitende Ermittler gewesen, der Sachbearbeiter bei diesem Verkehrsunfall. Jenen Beamten kann das Gericht nicht mehr vernehmen, er ist inzwischen verstorben. Er habe Bilder, zur Übersicht und im Detail, gemacht, die Unfallstelle vermessen, sagt sein damaliger Kollege vor Gericht.

    Das sagt der Einsatzleiter seitens der Feuerwehr

    Der Abteilungskommandant der Dunninger Feuerwehr war damals als Einsatzleiter vor Ort. Der 37-Jährige erinnert sich: „Wir wurden zur Hilfeleistung auf die B 462 alarmiert“, sagt er vor Gericht. Eigentlich ein Routineeinsatz, es habe nach einer Bagatelle geklungen.

    „Vor Ort stellte sich dann die Lage heraus“, so Hils, er nannte sie „stressig“ für die eingesetzten Retter vom Roten Kreuz. „Alle verfügbaren DRK-Kräfte waren um den Rettungswagen versammelt“, so der Feuerwehrmann. Das sei ein Indiz dafür, dass darin mit aller Kraft um ein Menschenleben gekämpft werde.

    Die Feuerwehr habe unterdessen die Einsatzstelle für die Unfallermittlung ausgeleuchtet, den Brandschutz sichergestellt, auslaufende Beriebsstoffe ge- und die Unfallstelle abgesichert sowie „die Suche nach einem Motorradhelm unterstützt“. Dieser habe einige Meter entfernt unter einer Unterführung gelegen.

    Zur Wettersituation: „Es war ein lauer Sommerabend und es war Nacht.“ Der Einsatz ging für die Feuerwehr bis 3.14 Uhr.

    So erinnert sich ein Ersthelfer

    Die 47-Jährige hat nach dem Unfall ihren Mann angerufen. Dieser war damals beim Dartspielen mit einem Freund in Sulgen, mit diesem schnell vor Ort. Der Ehemann macht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, den Freund wollte das Gericht nicht vernehmen, hatte ihn nicht geladen. Der Verteidiger der Unfallfahrerin brachte den 30-Jährigen mit. Also wurde er eben gehört.

    Er, der Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, habe sich zunächst um die Absicherung der Unfallstelle gekümmert, seinen Wagen quergestellt, den nachfolgenden Verkehr gewarnt, berichtet er vor Gericht. Unterdessen sei eine Frau hinzu gekommen, die sich um die Unfallfahrerin gekümmert habe. Eine Privatperson, nicht die Polizistin, die sich später der Unfallfahrerin angenommen hat. Diese Frau ist bis heute unbekannt.

    Die Strategie der Verteidigung

    Wie geschildert, will der Rechtsanwalt der Unfallverursacherin einen Eintrag in der polizeilichen Akte verwässern. Sie soll gesagt haben, dass sie Lichter wahrgenommen habe. Und trotzdem eingebogen sein. Das belastet sie. Zudem vermutet der Anwalt, dass der Unfallermittler der Polizei den Motorradfahrer persönlich gekannt habe. Geht es hier um Befangenheit?

    Außerdem präsentierte er einen Zeugen, der sich erst am Vortag der Verhandlung gemeldet habe, der etwas zum Zustand des Motorrads und der Kleidung des Getöteten sagen sollte. Und zur Geschwindigkeit, also wohl dem üblichen Fahrverhalten des Bikers. Und darum, dass er eine Rennmaschine gefahren sei, die „nur ausnahmsweise eine Straßenzulassung“ erhalten habe. Man müsse das Beweismittel zulassen. Es gehe „um die Beurteilung zweier Menschen, von denen einer leider nicht mehr lebt.“

    Die Staatsanwältin hielt entgegen, dass es nebensächlich sei, „was der Getötete für ein Mensch war“. Und die Richterin, dass es unerheblich sei, welche Geschwindigkeiten das Unfallopfer sonst gefahren sei. Es zähle lediglich der Zeitpunkt des Unfalls. Und dafür habe man den Sachverständigen der DEKRA. Eine Vorgeschichte könne hineinspielen, zur Ermittlung des konkreten Ablauf des Unfalls aber nichts beitragen.

    Auch bemängelte es der Anwalt als einen Fehler, dass vom getöteten Motorradfahrer keine Blutprobe entnommen worden sei.

    Nach einer knapp einstündigen Mittagspause, in der er nach eigenen Angaben noch mal über die Aktenlage nachdachte, verzichtete der Anwalt dann auf seine weiteren Zeugen und einen etwaigen Beweisantrag.

    Die Plädoyers – das forderten Staatsanwaltschaft und Co.

    Für die Staatsanwältin steht fest: Die Frau bog ab, „obwohl sie erkannte, dass sich von links ein Fahrzeug näherte.“ Sie habe zuvor zwar noch angehalten, dann aber diesen verhängnisvollen Fehler begangen. Andererseits: Der Motorradfahrer sei mit überhöhter Geschwindigkeiten unterwegs gewesen. Dennoch: „Die Frau hätte das Motorrad sehen können und müssen.“ Sie hätte sich zudem noch mal nach links wenden müssen, sich vergewissern, dass sie niemanden übersehen hat. Dass die Straße frei ist. Und sie habe damit rechnen müssen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer die vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht einhält. Zumal nachts, zumal bei wenig Verkehr, wie zum Unfallzeitpunkt. Zumal an dieser Einmündung. Zumal dann, wenn man keine Vorfahrt hat. Aus Sicht des Bikers jedenfalls „war der Unfall nicht vermeidbar“, so die Anklagevertreterin. Die Autofahrerin habe sich damit der fahrlässigen Tötung strafbar gemacht. Angesichts dessen, dass sie vorher unauffällig gefahren ist und unter dem Vorfall leidet, angesichts dessen auch, dass ein Mitverschulden des Motorradfahrers vorliege – zu schnelles Fahren, schlechte Kleidung – sei der Strafbefehl seinerzeit schon ausgewogen gewesen. Dieser habe bei 90 Tagessätzen gelegen. Deren Höhe sei angesichts ihres geringen Verdiensts von 900 Euro im Monat netto mit 20 Euro festzulegen.

    Auch der Nebenklagevertreter hält fest: „Der Unfall war für die Angeklagte vermeidbar.“ Sie habe ihre Pflicht verletzt, nochmals nach links zu schauen. Der Motorradfahrer sei sicherlich „etwas zu schnell gefahren“, seinen Tod aber habe die Autofahrerin verschuldet. Auch er plädierte auf 90 Tagessätze, allerdings in einer Höhe von 30 Euro.

    Der Anwalt der Autofahrerin lobte die „außergewöhnlich gründliche und lange“ Verhandlung zu diesem Unfall, der immerhin vor zweidreiviertel Jahren stattgefunden habe. Juristen könnten natürlich so urteilen: „Das ist eine Vorfahrtsverletzung, das darf man nicht machen.“ Und dann ein Urteil fällen. Doch sei alles anders, als bislang dargestellt. Tatsächlich sei die Autofahrerin auch Opfer. Der Motorradfahrer auch Täter. „Tatsächlich war der Unfall für meine Mandantin unvermeidbar“, so der Rechtsanwalt. Sie sei eine „sehr vorsichtige“ Fahrerin. Eine solche halte vor der Trennlinie zur B 462 an der Einmündung an. Und dort behindere der Pfosten die Sicht. Sie habe als Autofahrerin alles nach bestem Wissen und Gewissen richtig gemacht – und dennoch kam es zu dem tödlichen Crash. „Sie konnte eigentlich nichts dagegen machen.“ Es seien zudem Ermittlungspannen passiert – so sei kein Drogen- und Alkoholtest beim Motorradfahrer gemacht worden. Die Autofahrerin sei von der jungen Streifenbeamtin an der Unfallstelle nicht auf ihre Rechte hin belehrt worden. Ob ihre Spontanäußerungen gegenüber der Beamtin verwertet werden können, im Hinblick auf die Lichter, die sie gesehen haben will – unklar. Außerdem: „Warum war der Motorradfahrer an diesem Abend unterwegs? Was hat ihn dazu getrieben? Mit einer Machine, die bis zu 300 Kilometer pro Stunde fahren kann? Mit einem so schnellen Geschoss? Im Geschwindigkeitsrausch?“ Den könne man auf genau dieser Strecke erreichen, dafür sei die B 462 unter Bikern bekannt. Und: Stand er unter Drogen? Das brachte dem Anwalt den sichtlichen Unmut der Witwe des Getöteten ein, die der Verhandlung vor dem Amtsgericht beiwohnte.

    Folge für den Anwalt (und nur für ihn): „Dieser Unfall war für beide Beteiligten absolut nicht vermeidbar.“ Es seien zu viele Dinge zusammen gekommen. Verdeckte Sicht, überhöhte Geschwindigkeiten des Unfallgegners, zum Beispiel. Seine Mandantin habe zudem bereits ausreichend gelitten. „Ich beantrage ganz klar einen Freispruch.“

    Das Urteil

    Für schuldig der fahrlässigen Tötung, hielt die Richterin die 47-Jährige. Doch reduzierte sie die Strafe aus dem Strafbefehl auf 85 Tagessätze à 25 Euro. Eine Geldstrafe also von 2125 Euro. Damit gilt die Autofahrerin nicht als vorbestraft.

    Fest stehe: Beim Einbiegen in die neue B 462 habe sie nicht auf den Motorradfahrer geachtet. Dieser wiederum sei zu schnell unterwegs gewesen. Aber er habe den Zusammenprall nicht verursacht. Das Unfallbild sei klar: Die Frau hat ihm die Vorfahrt genommen. Und die maximal 115 Kilometer pro Stunde, die der Motorradfahrer drauf gehabt habe, seien kein Hinweis auf ein mögliches unverantwortliches Verhalten dessen.

    Und ihre Sicht war, entsprechende Sorgfalt vorausgesetzt, nach Auffassung der Amtsrichterin, nicht eingeschränkt. Die Verkehrssituation vor Ort, die Ausgestaltung der Kreuzung und die Positionierung der Verkehrsschilder sei unstrittig nicht ideal. Doch gerade, wenn man die Einmündung schlecht überblicken kann, müsse man sich in die übergeordnete, vorfahrtsberechtigte Straße eben vorsichtig hineintasten.

    „Wenn Sie sich richtig verhalten und gut umgeschaut hätten, wäre die Kollision vermeidbar gewesen“, so die Richterin.

    Sie hielt der Frau allerdings zugute, dass sie sich ausführlich vor Gericht geäußert habe, dass sie zudem auch unter dem Geschehen leide, körperlich und psychisch. Außerdem habe sie keine Vorstrafen.

    Zunächst seien die ursprünglich ausgesprochenen 90 Tagessätze der Tat angemessen gewesen. Dass sie aber am Ende diese Strafe nochmals abgesenkt habe, liege an der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer, die die Amtsrichterin etwa mit Richterwechseln erklärte.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

    *Hinweis: Wir haben in einer früheren Version des Beitrags die Reihenfolge dessen nicht korrekt wiedergegeben, was sich unmittelbar nach dem Aufprall abgespielt hat. So rief die Autofahrerin ihren Mann an, bevor sie ihren Wagen hatte verlassen können. Nicht danach. Also gleichsam, bevor sie den Unfall realisiert hatte. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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    Uschi
    Uschi
    2 Jahre her

    Als Angehöriger des Unfallopfers wäre ich für eine Bestrafung. Ohne Zweifel.  Ohne wenn und aber.
    Es gibt aber noch eine andere Seite.
    Als Einheimischer (Dunninger) kenne ich diese Stelle.  Deshalb halte ich  immer vor diesen Verkehrszeichen weil die Sicht besser ist.
    Weil gerast wird ist der Blick links/rechts/links obligatorisch. Am besten mehrmals.
    Wer ist Schuld ?  Zum Glück muss ich es nicht beurteilen.

    Tobias Raff
    Tobias Raff
    2 Jahre her

    Da ist sie ja nochmal richtig gut weggekommen. Kämpfen lohnt sich also doch! Die eine muss nur ein wenig den Geldbeutel aufmachen, der andere zahlt mit dem Leben. Ein Hoch auf unsere Justiz.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Am 4. Juni 2019 wird ein 29-jähriger Motorradfahrer bei einem Unfall auf der B 462, an der Einmündung Dunningen-West, lebensgefährlich verletzt. Er verstirbt noch in der Nacht im Krankenhaus. Die heute 47-jährige Autofahrerin, die ihm die Vorfahrt genommen hat, musste sich nun wegen fahrlässiger Tötung vor dem Rottweiler Amtsgericht verantworten. Sie hatte sich gegen einen Strafbefehl gewehrt. Es blieb bei einer eher geringen Geldstrafe. Aber die 47-Jährige gilt nun weiterhin nicht als vorbestraft, das Gericht reduzierte die Strafe entsprechend. Ein ausführlicher Beitrag über eine ausführliche Verhandlung.

    Zunächst ein Strafbefehl

    Gegen einen wenige Wochen nach dem Unfall erlassenen Strafbefehl wehrte sich die Frau, daher kam es nun zum Prozess, bald drei Jahre später. Sie glaubt, dass ein Schild ihr die Sicht versperrt habe. Diese Möglichkeit bestätigte ein Sachverständiger nun, er hielt das Problem für Autofahrer aber für vermeidbar. Nach seinen Worten hatte das Unfallopfer keine Chance.

    Für den Anwalt der Unfallfahrerin war der getötete Biker dagegen ein Raser auf einer Rennmaschine. Und für die Autofahrerin – die ihm doch die Vorfahrt nahm – sei der Unfall unvermeidbar gewesen.

    Doch der Reihe nach.

    Prozessbeginn

    Die Angeklagte: 47 Jahre alt. 1,5 Liter Flasche Wasser, Plastikbecher, ein kleines Stofftier, mutmaßlich als Glücksbringer. Das und ihre Unterlagen breitet sie vor sich aus. Ihr Anwalt schätzt zunächst den Raum ein, seine Höhe, seine Weitläufigkeit, vergegenwärtigt sich, wo wer sitzt seitens Staatsanwaltschaft, Nebenklage, Gutachter und Co.

    Die Anspannung ist mit Händen zu greifen. Es geht um fahrlässige Tötung. Die Angeklagte mag sich kaum hinsetzen, bekommt unter ihrer FFP2-Maske schlecht Luft, nimmt sie immer wieder ab. Sie knetet und knautscht ein wenig das Stofftier. Stundenlang, über die gesamte Verhandlungsdauer hinweg.

    Durchatmen auch im gut gefüllten Zuschauerbereich, Verwandte und Bekannte der Angeklagten sind da. Und Freunde der Witwe des getöteten Motorradfahrers. Der Verteidiger hat ein Tütchen Kekse getrocknete Apfelschnitze dabei und weitere vier Zeugen für das Verfahren. Nicht offiziell geladen, wie er sagt, sondern einfach mitgebracht. Sie warten draußen.

    Ein Bild von der Einsatzstelle. Foto: Feuerwehr Dunningen

    Unfallopfer verstirbt noch in der Nacht

    Der Vorwurf: Die Schrambergerin soll am 4. Juni 2019 gegen 22.40 Uhr aus Dunningen kommend die alte B 462 Richtung Sulgen gefahren sein. Dann bog sie auf die Umgehung, die neue B 462 ein. Sorglos, wie die Staatsanwaltschaft ihr vorwirft, nach links Richtung Schramberg. Von dort kam ein Motorrad. Sie soll es übersehen, gegebenenfalls ignoriert haben. Es kam zum Zusammenprall.

    Der Motorradfahrer war laut Staatsanwaltschaft mit zwischen 95 und 115 Kilometern pro Stunde unterwegs. Mit fast dieser Geschwindigkeit schlug er mit seiner Maschine in das Ford-Cabrio der heute 47-Jährigen ein.

    Er verstarb noch in der Nacht, gegen 2 Uhr. Er wurde 29 Jahre alt.

    Sie bekam einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung. Gegen diesen hat sie Einspruch eingelegt. Mutmaßlich deshalb: Die Zahl der Tagessätze betrug 90, ab dieser Höhe gilt man als vorbestraft, bis dahin nicht. Denn ab dieser Höhe kommt ein Eintrag ins sogenannte polizeiliche Führungszeugnis. Ein Prozess könnte sich also lohnen.

    Vor dem Unfall: Auf ein Eis und Mineralwasser im „Calimero“

    Daher die Verhandlung vor dem Amtsgericht. Die Angeklagte spricht. Sie erinnert sich an den Tag, die Zeit. Sie habe eine Diagnose einer schweren Erkrankung bekommen, erzählt sie „von vorne“, wie sie sagt. Sie habe zu Beginn des Jahres 2019 einen monatelangen Kampf aufgenommen, Krankenhäuser aufgesucht. An jenem Tag war sie frisch aus der Klinik gekommen. Hatte gerade eine große OP, wie sie sagt. Es war der erste Tag, an dem sie wieder mit etwas Zuversicht unterwegs gewesen sei, etwas unternommen habe.

    „Schnecke, hast Du Zeit, ich brauche jemanden zum Reden“, so ein Freund an jenem Tag zu ihr. Sie saßen am Abend im „Calimero“ in Dunningen, auf ein Eis und Mineralwasser. Mit zitternder Stimme erzählt sie das der Amtsrichterin. Danach seien sie noch ein wenig in Dunningen spazieren gegangen. Dann habe sie sich mit ihrem Wagen auf den Weg nach Hause gemacht.

    „Ein riesiger Knall“, ein Geruch nach Benzin und Rauch

    Sie habe an der Einmündung gehalten, links, rechts und wieder links geschaut, sei losgefahren, „dann kam ein riesiger Knall. Ich habe nicht geschnallt, was passiert ist. Ich hatte ein wahnsinniges Pfeifen im Ohr.“ Sie habe anfangs nicht gewusst, wie sie aus dem Wagen kommen solle. Habe versucht, ihren Mann zu erreichen, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Damit dieser ihr erklärt, wie sie den Wagen verlassen kann. Dann sei sie irgendwie ausgestiegen, es habe nach Rauch und Benzin gerochen. Später realisiert sie das Motorrad. Wird ihr klar, dass es sich um einen Unfall handelt. Sie versucht, einen Notruf abzusetzen, das Handy hatte kaum Empfang.*

    „Ich habe den Menschen dort liegen sehen.“ Sie stellte ihrer Erinnerung nach ein Warndreieck auf. Schrie. Ein dunkles Auto hielt an, der Fahrer leistete erste Hilfe, „irgendwann stand ein Krankenwagen da.“ Wohl ein Rettungswagen, der zufällig vorbei kam, dessen Besatzung erste Hilfe leistete, erinnert sie sich, denn sie habe im Stress die hinteren Türen geöffnet, gesehen, dass bereits ein Patient darin gelegen habe, diesen nicht zuordnen können. Später kamen Schaulustige hinzu. Dann auch ihr Mann, weitere Bekannte. Zusätzliche Einsatzfahrzeuge von DRK und Feuerwehr. Die Polizei macht einen Alkoholtest mit der Fahrerin. Null Promille. Nach der Nacht habe sie nach 15 Jahren wieder das Rauchen begonnen, „wie ein Schlot“. Unterdessen hätten ihr alle Umstehenden erklärt, das Unfallopfer schaffe es. Komme durch. Darauf habe auch sie gehofft.

    Vor Gericht hadert sie ein wenig mit ihrem Schicksal. „Warum musste mir auch das noch passieren?“, sagt sie unter Tränen und mit erstickender Stimme. Eine schwere Erkrankung habe sie gerade überwunden gehabt, zudem den Tod einer nahen Angehörigen.

    „Es tut mir unendlich leid“

    In der Nacht im Rottweiler Krankenhaus habe sie damals erfahren, dass es der Motorradfahrer, der in dieselbe Klinik gebracht worden war wie sie, nicht schaffen werde. Dass die Polizei die Angehörigen informieren wolle. Weiterhin weinend und mit brechender Stimme berichtet sie der Amtsrichterin davon.

    „Es tut mir unendlich leid, was die Familie hat durchmachen müssen.“ Die Hinterbliebene des Getöteten weint, während sie das von der Nebenklagebank aus hört. „Aber ich kann es leider nicht ungeschehen machen“, so die Angeklagte.

    Die Bilder aus dieser Nacht würden sie ihr gesamtes Leben lang begleiten, die seien nicht auszulöschen.

    Prellungen, Schnittwunden, ein gebrochener Fuß, Arthrose als Spätfolge. Und eineinhalb Jahre Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung waren die Folgen des Unfalls für sie. Sie verbrachte auch Tage in einer Suizidabteilung. „Unter Menschen, die sich die Pulsadern aufgeschnitten haben, und Menschen, die sich mit Gegenständen unterhalten.“ Da habe sie sich entschlossen, „mein Leben nicht wegzuwerfen, da durch zu gehen.“ Beruflich hat sie, nach einem Coaching und einer Umschulung, inzwischen wieder Fuß gefasst. Verdient mäßig.

    Im Straßenverkehr war sie bis zum schrecklichen Unfall fast unauffällig. „Ich hatte nur einmal eine rote Ampel.“

    Warum sie das Motorrad nicht gesehen hat? Sie versuche, das selbst zu verstehen. Sie sei in dem Jahr nach dem Unfall mit ihrer Tante oft an diese Unfallstelle gefahren, habe Fotos von der Situation vor Ort gemacht. Und sie hat nach eigenen Angaben einen möglichen Grund ermittelt: „Wenn man nicht richtig an dieser Kreuzung steht, verschluckt ein Schild, ein Pfosten, einen ganzen VW Bus.“ Das blaue Schild stehe links, auf einer Verkehrsinsel. Es habe den aus dieser Richtung kommenden Motorradfahrer aus ihrer Sicht verdeckt. Ob sie ein Licht gesehen habe? „Ich weiß es nicht.“ Sie habe es intensiv versucht, sich daran zu erinnern, es aus ihrem Unterbewusstsein zu holen, „aber das ist wie weg.“

    Ihr Verteidiger stützt diese Sicht. „Wir können das beweisen.“ Ein Schild verdecke den Blick nach links. Man könne zudem, wenn man aus Richtung Schramberg komme, durch eine ansteigende leichte Linkskurve an zwei Stellen den rechts an der Einmündung wartenden Verkehrsteilnehmer übersehen.

    Sichtproblem und Unfallablauf: Das sagt der Sachverständige dazu

    Ein 53-jähriger Diplomingenieur und Kfz-Sachverständiger der DEKRA ist damals, noch in der Nacht, an die Unfallstelle gerufen worden. Gegen 0 Uhr war er dort. Die beiden Beteiligten, Auto- und Motorradfahrerin, seien nicht mehr vor Ort gewesen, sagte er nun vor Gericht. Doch die beiden beteiligten Fahrzeuge waren noch da. Er schaute sich um. Bat die Polizei, die Feuerwehr mit der Suche nach möglichen Teilen vom Crash zu beauftragen. Dabei sei etwa der Helm des Motorradfahrers gefunden worden. Weitab.

    Für den Biker habe eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 gegolten. Und für den ankommenden Autofahrer, der dessen Vorfahrt zu gewähren habe, sei die Sicht nach links, auf die querende Bundesstraße, gut einsehbar.

    Der eigentliche Unfall: Laut den Bildern des Sachverständigen ist der Motorradfahrer auf Höhe der B-Säule in den vor ihm einbiegenden Ford geprallt. In einem Winkel von etwa 45 Grad in die „besonders steif ausgebildete Seite des Cabrios“. Zehn Zentimeter wurde die Seitenwand eingedrückt. „Das Motorrad fuhr in aufrechter Position in die Seite des Wagens.“

    Das Zweirad, eine BMW, wurde im vorderen Bereich massiv gestaucht. Komplett zerstört. Sein Fahrer könnte noch stark gebremst haben. Entsprechend das Abriebbild des hinteren Reifens. Durch den heftigen seitlichen Einschlag ist das einbiegende Auto einmal um 180 Grad gedreht worden. Stand dann gegenüber der Einmündung. Das Motorrad blieb noch an der Einschlagsstelle liegen. „Fast die gesamte Energie des Motorrads ist in Beschädigungen des Wagens umgesetzt worden“, so der Sachverständige. Bedeutet: Der Einschlag verursachte einen plötzlichen und unmittelbaren Abbau der Geschwindigkeit auf Null. Im Bericht des Krankenhauses wird es später heißen, dass das Unfallopfer Verletzungen erlittenn habe, „die mit dem Leben nicht vereinbar sind.“

    Laut seinen Berechnungen ist der Motorradfahrer mit 80 bis 100 Kilometern pro Stunde ins Auto geprallt, so der DEKRA-Ingenieur. Der Biker wäre damit zunächst mit bis zu 115 Sachen unterwegs gewesen, habe noch gebremst. Sei dann ins Auto eingeschlagen.

    Mit letzter Sicherheit könne er das nicht sagen. Aber eine gesicherte Bremsspur ordnete er zugunsten der Autofahrerin diesem Motorradfahrer zu. Man könne nicht ausschließen, dass er schneller gefahren sei als die erlaubten 80. Aber wiederum nicht schneller als 115.

    Da die Maschine mit LED-Lampen ausgestattet war, könne er keine Aussage darüber treffen, ob sie gebrannt haben oder nicht, erklärte der Sachverständige weiter. Ob Fern- oder Abblendlicht eingeschaltet gewesen sei – am Zustand der Schalter könne man das nicht festmachen. Dieser könne sich auch während des Unfalls, beim Aufprall, verändern.

    Zum juristisch und auch für eine mögliche Umgestaltung der Einmündung wichtigen Thema der Sichtbehinderung: Wenn der einbiegende Autofahrer ganz vorfährt und nach links schaue, gebe es keine, so der DEKRA-Mann. Zuvor stehe aber tatsächlich ein Pfosten im Weg, der mit seinen acht Zentimetern Durchmesser „durchaus einen Motorradfahrer verdecken kann.“ Er gehört zu einem blauen Abbiegepfeil, der links des Fahrers auf der Verkehrsinsel steht. Damit dieser aber die komplette Fahrbahn verdecke, dafür müsse man sich schon direkt am Pfosten befinden. In wenigen Zentimetern Abstand.

    „Es gibt Positionen, etwa einen Meter von der Einmündung weg, in denen das Motorrad hinter dem Pfosten ist“, so der Gutachter. Allerdings auch nur bei einem kurzen Blick nach links. Schaue man länger, fahre der von links kommende Verkehrsteilnehmer aus dem toten Winkel heraus. „Man kann die ganze Fahrbahn anschauen.“

    Es gebe dort ein Sichtproblem. Es sei für einen vorsichtigen Autofahrer aber vermeidbar.

    Nach seinen Berechnungen war der Motorradfahrer noch etwa 90 Meter weit vom Kollisionspunkt entfernt, als die Autofahrerin anfuhr. Damit spiele auch eine Senke, aus der die Bundesstraße aus Richtung Sulgen hochkommt, keine Rolle. Wer dort vorne anhalte, „weiter vorfährt“, habe 200 Meter Sicht.

    Was der Ingenieur auch ermittelt hat: „Diese Nacht lag eine Nacht nach Neumond.“ Es habe Null Lux gegeben. „Es war stockfinster.“ Er halte es deshalb für unmöglich, dass der Biker ohne Licht gefahren sei. „Meiner Ansicht nach sieht er da die Straße nicht.“

    Im Übrigen sei es unklar, ob der Motorradfahrer reagieren müsse, wenn er in der Einmündung ein stehendes Fahrzeug sehe, sagte der Sachverständige weiter. Der Rechtsanwalt der Autofahrerin hatte da nachhaltig versucht, den Biker als einen Raser auf einer bis zu 300 Kilometern pro Stunde zugelassenen Rennmaschine darzustellen. Ihm also eine Mitschuld zuzuschieben, die Autofahrerin zu entlasten. Der Gutachter dagegen: Es sei schlüssig, dass der Mann mit 95 bis 115 Sachen unterwegs gewesen sei. Nicht mehr.

    Am Rande: Der Biker war mit einem schlecht angelegten Helm, zwar in einer Motorradjacke, aber nur in Jeans und Turnschuhen unterwegs. Bei diesem Einprall hätte ihm bessere Kleidung aber nicht geholfen, so die Einordnung des DEKRA-Manns.

    Was der Gutachter auch sagte: „Ein richtig festgezurrter Helm geht nicht runter.“ Nach dem Unfall fand die Feuerwehr diesen in einigen Metern Entfernung zur Unfallstelle. Wenn der Biker dies berücksichtigt hätte und die Geschwindigkeitbegrenzung eingehalten, „dann könnte er heute noch leben. Dann wäre das vielleicht anders ausgegangen.“

    Wobei die tödlichen Verletzungen des Motorradfahrers laut dem Nebenklagevertreter im Brustbereich gelegen haben. Dort trug er eine Lederjacke.

    Die Unfallaufnahme und Rettungsarbeiten: So erinnern sich die Polizeibeamten

    Die B 462, die Umfahrung von Dunningen, eine verkehrsunfallträchtige Strecke? Die Richterin wirft diese Frage auf. Der 44-jährige Streifenbeamte, der aus Schramberg damals zu dem Motorradunfall gerufen worden ist, kann nur bestätigen, dass es im Bereich Dunningen immer wieder zu schweren Unfällen komme. Auch bei diesem Crash habe er rasch vermutet, dass es um den Biker nicht gut stand. Die Stelle selbst aber, die Einmündung Dunningen-West, sei für ihn nicht unfallträchtig.

    In jener Nacht sei es zwar dunkel gewesen, aber klar. Und trocken. Er habe sich um die Absicherung der Unfallstelle gekümmert und darum, dass der Verkehr, die sich stauenden Lkws, wieder in Fluss gekommen seien. Die Kollegen vom Verkehrsunfalldienst aus Zimmern haben die Ermittlungsarbeiten übernommen.

    Den Motorradfahrer habe er nicht zu Gesicht bekommen. „Er befand sich bereits im Rettungswagen“, so der Beamte vor Gericht.

    Seine heute 26-jährige Kollegin kümmerte sich seinerzeit um die Unfallverursacherin. „Sie stand unter Schock“, erinnert sich die Polizistin. „Wir haben uns erst mal auf die Leitplanke gesetzt.“ Die Autofahrerin habe sich Sorgen gemacht, dass es der Motorradfahrer nicht schaffen könne, so die Streifenbeamtin. Und sie habe ihr erzählt, dass sie einfach habe abbiegen wollen. Sie habe weiter weg Lichter wahrgenommen, sei in die Kreuzung eingefahren. Dann habe es gekracht. „Juristisch ein wichtiger Punkt“, so der Rechtsanwalt der Autofahrerin. Unklar sei, ob sie die Lichter des Motorrads wahrgenommen hat. Und wann. Vor dem oder während des Einbiegens. Unklar sei auch, ob die Streifenbeamtin die Autofahrerin schon vor der damaligen Aussage über ihre Rechte belehrt habe. Wie die Aussage also zu bewerten sei.

    Die Einvernahme der Autofahrerin sei auch für sie als junge Beamtin nicht einfach gewesen. „Es war ein schwerer Unfall, auch für mich. Ich war aufgeregt“, gesteht sie bei ihrer Zeugenaussage vor dem Amtsgericht. Sie könne sich daher nicht an den Wortlaut und Ablauf des Gesprächs erinnern. Es seien emotionale Momente, wenn man sich als Polizist mit jemandem unterhalte, der an einem schweren Unfall beteiligt ist. Man müsse da eigene Gefühle zurückdrängen. Und versuchen, den Unfall zu rekonstruieren, den Ablauf herauszufinden. Beteiligte definieren, Zeugen befragen.

    Besonderer Moment in diesem Fall: Die Unfallfahrerin musste seinerzeit auf Toilette. Nach Krebserkrankung und der OP sei das ein Leiden, sagte die Frau vor Gericht. Die Beamtin bestätigte: Sie sei mit ihr über die Leitplanke gestiegen, abseits der da gesperrten Unfallstelle. Habe sie begleitet.

    Der damalige Ermittler der Verkehrsunfalldienstes der Polizei kann sich nun, Jahre später, nicht mehr an vieles erinnern. Daran, dass es sich bei dem Motorrad um eine rote BMW gehandelt habe, „das habe ich noch im Kopf“. Mehr in Bezug auf den damaligen Fall eigentlich nicht. Er sei ohnehin nicht der leitende Ermittler gewesen, der Sachbearbeiter bei diesem Verkehrsunfall. Jenen Beamten kann das Gericht nicht mehr vernehmen, er ist inzwischen verstorben. Er habe Bilder, zur Übersicht und im Detail, gemacht, die Unfallstelle vermessen, sagt sein damaliger Kollege vor Gericht.

    Das sagt der Einsatzleiter seitens der Feuerwehr

    Der Abteilungskommandant der Dunninger Feuerwehr war damals als Einsatzleiter vor Ort. Der 37-Jährige erinnert sich: „Wir wurden zur Hilfeleistung auf die B 462 alarmiert“, sagt er vor Gericht. Eigentlich ein Routineeinsatz, es habe nach einer Bagatelle geklungen.

    „Vor Ort stellte sich dann die Lage heraus“, so Hils, er nannte sie „stressig“ für die eingesetzten Retter vom Roten Kreuz. „Alle verfügbaren DRK-Kräfte waren um den Rettungswagen versammelt“, so der Feuerwehrmann. Das sei ein Indiz dafür, dass darin mit aller Kraft um ein Menschenleben gekämpft werde.

    Die Feuerwehr habe unterdessen die Einsatzstelle für die Unfallermittlung ausgeleuchtet, den Brandschutz sichergestellt, auslaufende Beriebsstoffe ge- und die Unfallstelle abgesichert sowie „die Suche nach einem Motorradhelm unterstützt“. Dieser habe einige Meter entfernt unter einer Unterführung gelegen.

    Zur Wettersituation: „Es war ein lauer Sommerabend und es war Nacht.“ Der Einsatz ging für die Feuerwehr bis 3.14 Uhr.

    So erinnert sich ein Ersthelfer

    Die 47-Jährige hat nach dem Unfall ihren Mann angerufen. Dieser war damals beim Dartspielen mit einem Freund in Sulgen, mit diesem schnell vor Ort. Der Ehemann macht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, den Freund wollte das Gericht nicht vernehmen, hatte ihn nicht geladen. Der Verteidiger der Unfallfahrerin brachte den 30-Jährigen mit. Also wurde er eben gehört.

    Er, der Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, habe sich zunächst um die Absicherung der Unfallstelle gekümmert, seinen Wagen quergestellt, den nachfolgenden Verkehr gewarnt, berichtet er vor Gericht. Unterdessen sei eine Frau hinzu gekommen, die sich um die Unfallfahrerin gekümmert habe. Eine Privatperson, nicht die Polizistin, die sich später der Unfallfahrerin angenommen hat. Diese Frau ist bis heute unbekannt.

    Die Strategie der Verteidigung

    Wie geschildert, will der Rechtsanwalt der Unfallverursacherin einen Eintrag in der polizeilichen Akte verwässern. Sie soll gesagt haben, dass sie Lichter wahrgenommen habe. Und trotzdem eingebogen sein. Das belastet sie. Zudem vermutet der Anwalt, dass der Unfallermittler der Polizei den Motorradfahrer persönlich gekannt habe. Geht es hier um Befangenheit?

    Außerdem präsentierte er einen Zeugen, der sich erst am Vortag der Verhandlung gemeldet habe, der etwas zum Zustand des Motorrads und der Kleidung des Getöteten sagen sollte. Und zur Geschwindigkeit, also wohl dem üblichen Fahrverhalten des Bikers. Und darum, dass er eine Rennmaschine gefahren sei, die „nur ausnahmsweise eine Straßenzulassung“ erhalten habe. Man müsse das Beweismittel zulassen. Es gehe „um die Beurteilung zweier Menschen, von denen einer leider nicht mehr lebt.“

    Die Staatsanwältin hielt entgegen, dass es nebensächlich sei, „was der Getötete für ein Mensch war“. Und die Richterin, dass es unerheblich sei, welche Geschwindigkeiten das Unfallopfer sonst gefahren sei. Es zähle lediglich der Zeitpunkt des Unfalls. Und dafür habe man den Sachverständigen der DEKRA. Eine Vorgeschichte könne hineinspielen, zur Ermittlung des konkreten Ablauf des Unfalls aber nichts beitragen.

    Auch bemängelte es der Anwalt als einen Fehler, dass vom getöteten Motorradfahrer keine Blutprobe entnommen worden sei.

    Nach einer knapp einstündigen Mittagspause, in der er nach eigenen Angaben noch mal über die Aktenlage nachdachte, verzichtete der Anwalt dann auf seine weiteren Zeugen und einen etwaigen Beweisantrag.

    Die Plädoyers – das forderten Staatsanwaltschaft und Co.

    Für die Staatsanwältin steht fest: Die Frau bog ab, „obwohl sie erkannte, dass sich von links ein Fahrzeug näherte.“ Sie habe zuvor zwar noch angehalten, dann aber diesen verhängnisvollen Fehler begangen. Andererseits: Der Motorradfahrer sei mit überhöhter Geschwindigkeiten unterwegs gewesen. Dennoch: „Die Frau hätte das Motorrad sehen können und müssen.“ Sie hätte sich zudem noch mal nach links wenden müssen, sich vergewissern, dass sie niemanden übersehen hat. Dass die Straße frei ist. Und sie habe damit rechnen müssen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer die vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht einhält. Zumal nachts, zumal bei wenig Verkehr, wie zum Unfallzeitpunkt. Zumal an dieser Einmündung. Zumal dann, wenn man keine Vorfahrt hat. Aus Sicht des Bikers jedenfalls „war der Unfall nicht vermeidbar“, so die Anklagevertreterin. Die Autofahrerin habe sich damit der fahrlässigen Tötung strafbar gemacht. Angesichts dessen, dass sie vorher unauffällig gefahren ist und unter dem Vorfall leidet, angesichts dessen auch, dass ein Mitverschulden des Motorradfahrers vorliege – zu schnelles Fahren, schlechte Kleidung – sei der Strafbefehl seinerzeit schon ausgewogen gewesen. Dieser habe bei 90 Tagessätzen gelegen. Deren Höhe sei angesichts ihres geringen Verdiensts von 900 Euro im Monat netto mit 20 Euro festzulegen.

    Auch der Nebenklagevertreter hält fest: „Der Unfall war für die Angeklagte vermeidbar.“ Sie habe ihre Pflicht verletzt, nochmals nach links zu schauen. Der Motorradfahrer sei sicherlich „etwas zu schnell gefahren“, seinen Tod aber habe die Autofahrerin verschuldet. Auch er plädierte auf 90 Tagessätze, allerdings in einer Höhe von 30 Euro.

    Der Anwalt der Autofahrerin lobte die „außergewöhnlich gründliche und lange“ Verhandlung zu diesem Unfall, der immerhin vor zweidreiviertel Jahren stattgefunden habe. Juristen könnten natürlich so urteilen: „Das ist eine Vorfahrtsverletzung, das darf man nicht machen.“ Und dann ein Urteil fällen. Doch sei alles anders, als bislang dargestellt. Tatsächlich sei die Autofahrerin auch Opfer. Der Motorradfahrer auch Täter. „Tatsächlich war der Unfall für meine Mandantin unvermeidbar“, so der Rechtsanwalt. Sie sei eine „sehr vorsichtige“ Fahrerin. Eine solche halte vor der Trennlinie zur B 462 an der Einmündung an. Und dort behindere der Pfosten die Sicht. Sie habe als Autofahrerin alles nach bestem Wissen und Gewissen richtig gemacht – und dennoch kam es zu dem tödlichen Crash. „Sie konnte eigentlich nichts dagegen machen.“ Es seien zudem Ermittlungspannen passiert – so sei kein Drogen- und Alkoholtest beim Motorradfahrer gemacht worden. Die Autofahrerin sei von der jungen Streifenbeamtin an der Unfallstelle nicht auf ihre Rechte hin belehrt worden. Ob ihre Spontanäußerungen gegenüber der Beamtin verwertet werden können, im Hinblick auf die Lichter, die sie gesehen haben will – unklar. Außerdem: „Warum war der Motorradfahrer an diesem Abend unterwegs? Was hat ihn dazu getrieben? Mit einer Machine, die bis zu 300 Kilometer pro Stunde fahren kann? Mit einem so schnellen Geschoss? Im Geschwindigkeitsrausch?“ Den könne man auf genau dieser Strecke erreichen, dafür sei die B 462 unter Bikern bekannt. Und: Stand er unter Drogen? Das brachte dem Anwalt den sichtlichen Unmut der Witwe des Getöteten ein, die der Verhandlung vor dem Amtsgericht beiwohnte.

    Folge für den Anwalt (und nur für ihn): „Dieser Unfall war für beide Beteiligten absolut nicht vermeidbar.“ Es seien zu viele Dinge zusammen gekommen. Verdeckte Sicht, überhöhte Geschwindigkeiten des Unfallgegners, zum Beispiel. Seine Mandantin habe zudem bereits ausreichend gelitten. „Ich beantrage ganz klar einen Freispruch.“

    Das Urteil

    Für schuldig der fahrlässigen Tötung, hielt die Richterin die 47-Jährige. Doch reduzierte sie die Strafe aus dem Strafbefehl auf 85 Tagessätze à 25 Euro. Eine Geldstrafe also von 2125 Euro. Damit gilt die Autofahrerin nicht als vorbestraft.

    Fest stehe: Beim Einbiegen in die neue B 462 habe sie nicht auf den Motorradfahrer geachtet. Dieser wiederum sei zu schnell unterwegs gewesen. Aber er habe den Zusammenprall nicht verursacht. Das Unfallbild sei klar: Die Frau hat ihm die Vorfahrt genommen. Und die maximal 115 Kilometer pro Stunde, die der Motorradfahrer drauf gehabt habe, seien kein Hinweis auf ein mögliches unverantwortliches Verhalten dessen.

    Und ihre Sicht war, entsprechende Sorgfalt vorausgesetzt, nach Auffassung der Amtsrichterin, nicht eingeschränkt. Die Verkehrssituation vor Ort, die Ausgestaltung der Kreuzung und die Positionierung der Verkehrsschilder sei unstrittig nicht ideal. Doch gerade, wenn man die Einmündung schlecht überblicken kann, müsse man sich in die übergeordnete, vorfahrtsberechtigte Straße eben vorsichtig hineintasten.

    „Wenn Sie sich richtig verhalten und gut umgeschaut hätten, wäre die Kollision vermeidbar gewesen“, so die Richterin.

    Sie hielt der Frau allerdings zugute, dass sie sich ausführlich vor Gericht geäußert habe, dass sie zudem auch unter dem Geschehen leide, körperlich und psychisch. Außerdem habe sie keine Vorstrafen.

    Zunächst seien die ursprünglich ausgesprochenen 90 Tagessätze der Tat angemessen gewesen. Dass sie aber am Ende diese Strafe nochmals abgesenkt habe, liege an der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer, die die Amtsrichterin etwa mit Richterwechseln erklärte.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

    *Hinweis: Wir haben in einer früheren Version des Beitrags die Reihenfolge dessen nicht korrekt wiedergegeben, was sich unmittelbar nach dem Aufprall abgespielt hat. So rief die Autofahrerin ihren Mann an, bevor sie ihren Wagen hatte verlassen können. Nicht danach. Also gleichsam, bevor sie den Unfall realisiert hatte. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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