In fünf Tagen ist Bundestagswahl. Mit ihrer Erststimme haben Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, einen direkten Vertreter oder eine direkte Vertreterin aus ihrem Wahlkreis in den Bundestag zu schicken. Wir haben Bundestagskandidatinnen und -kandidaten unseres Wahlkreises 285 Rottweil-Tuttlingen zu einem gemeinsamen Online-Gespräch getroffen.
Am Gespräch teilgenommen haben in alphabetischer Reihenfolge Dr. Andreas Anton (FDP), Aynur Karlikli (Die Linke), Annette Reif (Bündnis 90/ Die Grünen) und Mirko Witkowski (SPD). Maria-Lena Weiss (CDU) war verhindert, ihre schrifltiche Stellungnahme ist in den Artikel an entsprechender Stelle eingefügt und kenntlich gemacht. Den Vertreter der AfD haben wir nicht zum Gespräch eingeladen. Die Gründe dazu finden Sie in der Kommentarspalte des ersten Teils der Artikelreihe.
In diesem zweiten Teil des Gesprächs geht es um gesellschaftlichen Zusammenhalt, Rechtspopulismus und Integrationspolitik und um Frauenpolitik.
Entgegen aktuellen Schlagzeilen, die von einem Linksruck sprechen; haben Sie, die in dieser Runde teilnehmen, Angst vor einem Rechtsruck?
Karlikli (Die Linke): Ja natürlich.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Wenn man allein an die Aussage von Herrn Gauland im Bundestag denkt, als er Menschenleben gegeneinander aufrechnete. Er probiert aus, wie weit er gehen kann, und ich fand es sehr überraschend, dass Herr Stäuble in seiner Funktion nicht eingegrätscht ist und ihm einen Verweis erteilt hat. Ich glaube, vor einigen Jahren wäre das noch unmöglich gewesen, so eine Aussage in diesem Haus zu tätigen.
Anton (FDP): Richtig.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Das war auch für mich nochmals ein ganz deutliches Zeichen. Ich empfinde mich als Linke, auch wenn ich bei den Grünen Realos bin. Aber trotzdem denke ich, wir müssen da zusammenstehen. Und solche Aussagen darf man nicht ungestraft lassen.
Was möchten Sie denn dann dagegen tun und wie für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen?
Witkowski (SPD): Wir definieren uns ja ganz bewusst als wehrhafte Demokratie. Das war ja unser Problem in der Weimarer Republik, dass diese Demokratie eben nicht wehrhaft war und in der Bevölkerung auch nicht mitgetragen wurde. Es gab zwar sehr viele, die demokratisch unterwegs waren, aber es hat eben nicht ausgereicht, um das ganze Staatswesen so zu stabilisieren, dass es auch funktioniert. Und, es hat ja einen Grund, warum ich bei der SPD bin. Mein Urgroßvater wurde als Gewerkschaftssekretär von den Nazis durch die Stadt gejagt. Ich will jetzt gar keine lange Beispielkette machen. Aber einfach, um das mal anzudeuten, woher auch meine Motivation kommt. Für mich ist der Kampf gegen Rechts eine ganz selbstverständliche Sache. Aber wir müssen die Menschen auch abholen und überzeugen.
schriftliche Antwort Weiss (CDU): In Bezug auf den Vertrauensverlust in der Politik, hat das letzte Jahr gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr verunsichert sind. Hier müssen wir transparenter werden und den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Seit Beginn der Corona-Pandemie kursieren vermehrt Verschwörungstheorien, denen wir entschieden entgegentreten müssen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Ich lehne jede Form von Extremismus und Rassismus grundlegend ab – sowohl von rechts, wie auch von links.
Wie wollen Sie die Menschen wieder „abholen“, wie Sie sagen?
Witkowski (SPD): Es bringt nichts, wenn man mit irgendeinem Druck oben drauf geht. Sondern wir müssen die demokratischen Entscheidungen transparent machen. Dass die Menschen mitbekommen, wie das Ganze funktioniert, warum eine Entscheidung so gefallen ist. Wir müssen uns aber auch gefallen lassen, dass sie sagen „Leute, da habt ihr zwar eine gute Idee gehabt, aber in der Ausgestaltung seid ihr da vielleicht nicht optimal unterwegs.“ Man muss auch bereit sein, nachzusteuern, zu korrigieren, wenn man dann merkt, die Dinge laufen nicht in die Richtung, wie man es sich vorgestellt hat.
Es geht um Dinge angefangen von einem Wahlalter, das wir auf 16 absenken. Da wollen wir auch die jungen Leute mitreißen, sie dürfen mitbestimmen, es wird nicht nur über sie bestimmt, sondern sie bestimmen mit. Und zwar Wahlalter 16 für mich auf allen Ebenen. Es geht aber auch um die Beteiligung von Bürgerräten, um ein Paritätsgesetz, das auch für eine vernünftigere Repräsentation der Geschlechter in den Gremien sorgt. Es geht aber auch darum, dass man den legislativen und exekutiven Fußabdruck benennt. Lobbyisten dürfen gerne unterwegs sein, aber ich möchte, dass transparent wird, wann und wie sie wo eingewirkt haben. Es kann nicht sein, dass Lobbyisten in Ministerien ihren Schreibtischen haben. Zum Teil schreiben Lobbyisten an Gesetzen mit, das geht so nicht. Das muss transparent werden, dass jeder weiß, was da Sache ist.
Sehen Sie also in mehr Transparenz Potential, gegen Rechtsextremismus anzukämpfen?
Witkowski (SPD): Ich glaube nicht, dass alle, die zum Beispiel, benennen wir es, AfD wählen, tatsächlich allein rechts unterwegs sind. Ich hatte dieser Tage in Schiltach einen Infostand und einen Mensch am Infostand, der hat für die AfD Plakate geklebt. Am Ende hat er mir die Hand entgegengestreckt und gesagt, „Sie sind ein integrer Mensch.“ Das heißt, wir müssen mit den Leuten ins Gespräch gehen, müssen denen auch die Chance geben, sich zu beteiligen. Oftmals ist da eine ganze Menge Frust mit drin und vielfach auch Unkenntnis. Viele Dinge die sie auch nicht wissen, die falsch eingeschätzt werden, da müssen wir eben auch da die Menschen abholen und versuchen, sie zurück zu holen. Dieser harte Kern, den können wir so nicht zurückholen. Aber über 15 Prozent bei der AfD sind nicht notwendig. Das können wir sicher in einer gemeinsamen Anstrengung runterbekommen, aber dazu muss Politik insgesamt glaubwürdig sein. Deshalb auch mein Appell, nicht übereinander zu reden. Sondern wenn jeder seine Qualitäten nach vorne stellt, dann haben wir ganz viel Reichweite. Und dann hat jeder Bürger eine ausreichende Auswahl, ob er jetzt die FPD in ihrer Mehrheit der Aussagen gut findet, die Grünen gut findet, die Linken gut findet, oder wie auch immer. Aber wir haben ein ausreichendes Angebot an demokratischen Parteien, die unterschiedlich aufgestellt sind. Aber was mir wichtig ist, alle demokratischen Parteien müssen jederzeit miteinander gesprächsfähig sein.
Frau Karlikli, sehen Sie beim Anstieg des Rechtspopulismus auch mehr Unwissen als Extremismus?
Karlikli (Die Linke): Jein. Also es ist natürlich viel Unwissen da. Aber es ist auch sehr viel Egoismus und viele Dinge werden auch ignoriert. Aber ich möchte mehr auf Migration eingehen.
Die meisten Migranten, die hier leben, leben hier seit über 60 Jahren unter uns, in jedem Lebensbereich. Sie sind ein Teil von uns, sie gehen täglich ihrer Arbeit nach und leisten einen großen Beitrag in unserer Gesellschaft, was nicht immer gesehen wird. Darüber wird nicht gesprochen. Es wird nur über negative Sachen gesprochen, die dann diesen Hass, diese Unwissenheit verursachen. Da tun natürlich auch viele Parteien ihren Beitrag dazu, indem sie bei jedem Wahlkampf Ausländerhetze betreiben.
Wo sehen Sie die größten Probleme in der Integrationspolitik?
Karlikli (Die Linke): Ich wohne in Stuttgart und wenn ich auf der Königsstraße bin, sehe ich immer wieder, wie „Ausländer“ in Anführungszeichen von der Polizei angehalten und vor Menschen ausgezogen werden. Ich habe mitbekommen, wie ein Polizeipräsident Stammbaumforschung angedroht hat oder unser Landtagspräsident angedroht hat, „ich werde jeden von euch kriegen“. Das ist die Umgehensweise mit den Migranten, die so auch unter der Bevölkerung Bestätigung findet, wenn es dann heißt „die sind kriminell, die integrieren sich nicht“.
Was muss dann Ihrer Meinung nach geändert werden?
Karlikli (Die Linke): Die ganzen Integrationsprogramme und Sprachkurse sind Dinge, die man mit den Migranten gemeinsam erstellen muss. Man muss Verbände mithinzuziehen, sie anhören, und die Erfahrung einbeziehen, was die Migranten hier benötigen, wie man mit ihnen umgehen soll. Und es ist natürlich auch sehr wichtig, dass man die Migranten auch als Vorteile sieht. Sie bringen Vielfalt zu uns, sie bringen eine andere Kultur mit, das kann man alles positiv nutzen. Ich persönlich komme aus der Türkei. Döner kenne ich, aber Uso kannte ich nicht. Ich kannte Ćevapčići nicht, ich kannte Sushi nicht. Wenn ich jetzt hier in die Stadt gehe, habe ich eine reiche Palette von Angeboten von Migranten. Und wenn man das Ganze als Vorteil sieht, dann sieht man die Sache ganz anders. Wir sind gekommen, wir bleiben auch, wir werden nicht weggehen. Meine Söhne sehen sich schon als Deutsche und weil wir eben da sind und bleiben werden, ist es wichtig, dass man Möglichkeiten schafft, Gemeinsamkeiten zu stärken. Man muss auch den Migranten das Gefühl geben „hey, du gehörst hier her, du bist hier angekommen, ich nehme dich so an wie du bist.“ Dieses Signalisieren, diesen Wert geben, das ist sehr wichtig. Und da lege ich natürlich einen großen Wert drauf.
Welche Integrationsansätze verfolgen Sie, die anderen Kandidierenden in dieser Runde, in Ihrer Politik?
Anton (FDP): Arbeitsplätze. Wir haben eine sehr gesunde Wirtschaft in unserem Wahlkreis und das ist aus meiner Sicht das beste Mittel gegen Extremismus. Also Zukunftsperspektiven, vernünftige Arbeitsplätze.
Karlikli (Die Linke): Nicht nur Arbeitsplätze. Man muss auch dafür sorgen, dass die Migranten aus Armutsverhältnissen rauskommen. Das schafft man nur mit Bildung. Von der Kita bis zu Universitäten, die kostenfrei zur Verfügung gestellt werden müssen. Was ich aber noch sagen wollte, ich arbeite selber in der Migra als Ehrenamtliche. Wir gehen in Flüchtlingsunterkünfte, zu den Migranten und klopfen an und fragen, was sie brauchen. Und dementsprechend bieten wir Programme an. Also wir entscheiden nicht, was für sie gut ist, sondern wir lassen sie mitentscheiden. Und das ist das Wichtigste, was man machen muss.
schriftliche Antwort Weiss (CDU): Unsere Vereine und Kirchen vor Ort leisten herausragende Arbeit im Bereich des sozialen Zusammenhalts. Diese müssen wir weiter unterstützen und nicht durch immer weiter anwachsende Bürokratie vor neue Probleme stellen. Große Dankbarkeit empfinde ich auch für die oftmals ehrenamtliche Arbeit der zahlreichen Flüchtlingsinitiativen vor Ort, oder beispielsweise der Jugendmigrationsdienste. Eins ist klar, wer vor Krieg oder Verfolgung flieht, muss in unserem Land aufgenommen werden. Doch auch die Zuwanderung ist ein Thema, das global und nicht allein auf nationaler Ebene betrachtet werden kann. Hier müssen wir europäische Regeln und Lösungen finden, an die sich die Staaten halten müssen. Wir müssen Menschen, die in unser Land kommen, gleichzeitig fördern und fordern. Beispielsweise müssen wir den Spracherwerb beschleunigen und durch digitale und flexible Angebote stärken. Zudem muss jedoch klar sein, wer in unser Land kommt, muss sich zu unseren Werten und Gesetzen bekennen.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Also ich unterschreibe das von Andreas Anton (FPD): Integration funktioniert am besten über Arbeit. Aber mir geht es hier auch um die Arbeitsplätze für die Sozialarbeiter und Integrationsmanager. Ich habe ein spezielles Projekt im Fokus. Die ganzen Integrationsmanager will ich da in den Fokus rücken, die vor Ort wirklich Tag für Tag eine wirklich wertvolle Arbeit machen, die aber eigentlich zu wenig Kapazität haben, um sich wirklich im Detail drum zu kümmern. Und dadurch entstehen dann Probleme.
Welche Probleme sind das Ihrer Meinung nach zum Beispiel?
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Ich habe mich gestern mit der Integrationsmanagerin von Spaichingen getroffen, und war auch in den Gemeinschaftsunterkünften, wo wirklich teilweise junge Männer seit 2015 sitzen, die ein Arbeitsverbot haben. Also ganz ehrlich, da braucht man sich nicht wundern, dass da Probleme entstehen. Und das ist denke ich der richtige Ansatz, Angebote zu schaffen und auch Arbeit zu schaffen. Wir haben das auch im Programm. Wir wollen mit einer Talentkarte und einem Punktesystem arbeiten, um auch die dringend benötigten Fachkräfte zu finden. Das ist bei uns im Wahlkreis ja ein riesen Problem.
Welche Fachkräfte fehlen da?
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Bei uns fehlen in jedem Bereich Fachkräfte.
Anton (FDP): Alle. Überall.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Finden wir lieber einen Wahlkreis, wo das nicht der Fall ist. Und gut integrierte Flüchtlinge, die heute aber ein bestehendes Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis haben, haben trotzdem oftmals kein Bleiberecht. Und das ist eine Situation, die unerträglich ist, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das muss dringend geändert werden. Und meiner Meinung nach sollten auch mehr Anreize geschaffen werden für Ehrenamtliche, die mitarbeiten. Nur, wenn du wirklich mit Flüchtlingen in Kontakt bist, kennst du die Nöte, kennst du die Herausforderungen. Und da haben wir diese Idee dieser Engagementkarte von Gemeinden, wo drauf steht, „diese Person arbeitet ehrenamtlich bei uns mit“ und damit kommt man kostengünstiger zum Beispiel ins Theater oder ähnlichen Vergünstigungen. Wieder einen Anreiz für die Bevölkerung zu schaffen, sich mehr ehrenamtlich zu engagieren finde ich eine ganz gute Idee.
Wir haben jetzt viel über Geflüchtetenpolitik gesprochen, davor ging es aber um Rassismus. Abschließend eine klare Frage dazu: Würden Sie sich alle als Anti-Rasissten bezeichnen?
Anton (FDP): Ja, selbstverständlich.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Absolut.
[Zustimmendes Nicken von Witkowski und Karlikli.]
Anschlussfrage: Sind Sie auch alle Feminist*innen?
Karlikli (Die Linke): Ja, ich schon.
Anton (FDP): Ich bin Feminist.
Witkowski (SPD): Nein, ich würde mich nicht als Feminist bezeichnen. Sondern die Gleichberechtigung gilt es zu leben. Und da kann ich gerne drauf verweisen: Als unser Sohn als Extremstfrühchen zur Welt kam und meine Frau die Möglichkeit hatte, einen Karriereschritt zu machen und Schulleiterin zu werden, haben wir das gemeinsam so entschieden, dass ich die längere Zeit der Elternzeit gemacht habe und anschließend von der Festanstellung in die Freiberuflichkeit gegangen bin, damit unser Sohn auch entsprechend betreut werden kann. Das ist eine Entscheidung, die jede Familie für sich selber treffen muss. Das Thema Gleichberechtigung ist für mich ein wichtiges, ich würde es aber nicht mit solchen Begriffen wie Feminismus oder Ähnlichem belegen. Ich würde einfach sagen, wir sollten alle unser Leben so gestalten, dass es gleichberechtigt stattfindet, und dass jede Familie, egal in welcher Konstellation sie zusammenleben, die Möglichkeit hat, für sich selber zu entscheiden, wie sie das Ganze gestalten möchte.
Bei der Frauenpolitik geht das Gespräch oft nicht über diese Sprachebene hinaus, wobei es um Begrifflichkeiten oder Gendern geht. Heute wollen wir stattdessen über eine konkrete Sache in der Frauenpolitik sprechen und zwar über Frauenhäuser in unserem Wahlkreis.
Gerade im ländlichen Raum sind Plätze in Frauenhäusern extrem rar. Kümmern Sie sich um diese Thematik und was tun sie sonst gegen Gewalt gegen Frauen?
Witkowski (SPD): Also, dass es Frauenhäuser braucht, ist einerseits traurig, aber andererseits die Wahrheit. Ich würde es als traurige Wahrheit bezeichnen. Aber wir müssen, da das eben die Realität ist, uns dafür einsetzen, dass es ausreichend Plätze gibt, damit Frauen, die schutzbedürftig sind, auch sofort in einen Schutzbereich kommen. Natürlich, je näher die dran sind, umso besser. Aber ich halte es auch für eine Selbstverständlichkeit, dass man sich um diese Einrichtungen kümmert, dass man sich dafür einsetzt, dass diese Einrichtungen dann auch wirklich vor Ort sind. Gewalt gegen wen auch immer, gegen Frauen, gegen Minderheiten, gegen wen es auch immer geht, ist ein Unding, inakzeptabel, können wir so nicht akzeptieren. Und ich denke, es muss auch jedem klar sein, der Gewalt anwendet, dass er dafür auch für ihn deutlich spürbar zur Rechenschaft gezogen wird.
Herr Anton, wissen Sie zum Beispiel, wie viele Frauenhäuser es bei uns im Wahlkreis gibt?
Anton (FDP): Nein, das weiß ich nicht. Ich bin auch ganz offen, dass ich mich mit diesem Thema noch nicht näher beschäftigt habe. Aber ich würde das, was Herr Witkowski (SPD) gesagt hat, zu hundert Prozent unterschreiben. Es ist eine traurige Wahrheit, dass es viel Gewalt gegen Frauen gibt, auch mehr Gewalt als gegen Männer. Und dass es solche Frauenhäuser braucht und die müssen selbstverständlich auch vernünftig ausgestattet werden. Also ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele Frauenhäuser wir in unserem Kreis haben und habe mich mit dem auch noch nicht auseinandergesetzt, sehe aber die Notwendigkeit, traurigerweise, und bin auch absolut der Meinung, dass diese Einrichtungen in ausreichender Zahl vorhanden sein müssen und natürlich auch finanziell vernünftig ausgestattet werden müssen.
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Ich hatte vor einigen Monaten schon einen Online-Termin mit dem Verein Frauen helfen Frauen von Rottweil und war auch schon im Kontakt mit Frau Schmieder. Meiner Meinung nach gibt es in Rottweil und in Tuttlingen ein Frauenhaus. Das ist ein, das mir wichtig ist. Die Situation ist natürlich für mich bedrückend, weil lange nicht so viele Plätze vorhanden sind, wie wir brauchen. Und ganz klar wird im Gespräch mit Jule Schmieder oder dem Verein Frauen helfen Frauen auch, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, das sich durch alle Schichten zieht. Und wir haben ganz klar die Pflicht des Staates, Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen und dieser kommt man heute nicht so richtig nach. Einfach dadurch, dass es zu wenig Plätze gibt, vor allem im ländlichen Raum.
Das führt natürlich zu der Frage, was Sie dagegen tun wollen?
Reif (Bündnis 90/ Die Grünen): Wir haben im Wahlprogramm natürlich auch etwas dazu drin. Aber ja, die Frage ist, wer nachher wirklich die Entscheidung trifft, da wirklich Geld in die Hand zu nehmen. Ich würde mich freuen, wenn es auch hier in Richtung der Betreuung der Frauen mehr Stellen gibt. Auch hier brauchen wir Sozialarbeiter und -arbeiterinnen. Aber ich befürchte, dass es noch Jahre dauert, dass das Angebot auch auf dem ländlichen Raum ausreichend zur Verfügung steht.
Karlikli (Die Linke): Im Bezug auf Gewalt gegen Frauen ist es sehr wichtig, dass die Gesellschaft sensibilisiert wird. Oft wird Gewalt in der eigenen Umgebung einfach totgeschwiegen, man guckt nicht hin, man guckt weg und denkt dann, dass das eine Familiensache ist, dabei ist es eine gesellschaftliche Angelegenheit. Ich habe ja zwei Söhne, da geht es darum, dass man die Söhne richtig erzieht, sodass sie lernen, wenn eine Frau Nein sagt, dass das dann auch Nein bedeutet. In der Familie die richtige Erziehung ist das Eine. Und den Mädchen muss man natürlich beibringen, dass ihr Körper nur ihnen gehört, dass nur sie darüber entscheiden. Viele Frauen kennen die Grenzen einfach nicht, die ihnen diese Rechte geben, sich zu schützen. Und dann ist wichtig, dass der staatliche Schutz gewährleistet ist. Dass dafür gesorgt wird, dass genug da ist, auch Präventationsmaßnahmen. Und natürlich, wenn eine Frau Gewalt erfahren hat, dass sie ein Anrecht bekommt auf einen Platz in Frauenhäuser. Mein Vorredner hat es schon erzählt, wir haben ein großes Defizit im Land, was Frauenhäuser angeht.
Wenn Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches Problem ist, was kann die Politik dann sonst noch dagegen tun?
Karlikli (Die Linke): Ich bin zum Beispiel in einer Gruppe, in der wir Femizide bearbeiten. Am Donnerstag sind wir in Sindelfingen, da ist letzten Freitag wieder eine Frau von ihrem Lebensgefährten getötet worden. Wir werden einfach auf den Marktplatz gehen und darauf aufmerksam machen, dass in diesem Ort wieder ein Femizid geschehen ist. Dass Frauen direkt auf so etwas in der Gesellschaft aufmerksam machen, dass man Sensibilität ermöglicht, das ist wichtig. Wir machen das immer, wenn wir von einem Femizid erfahren, wir gehen hin mit unseren Blumen und Schildern und machen darauf aufmerksam. Und jedes Mal sind wir erschrocken, wie die Umgebung darauf reagiert. Also sie wollen das einfach nicht wahrhaben, die gesellschaftliche Sensibilität ist sehr wichtig im Bezug auf Gewalt gegen Frauen.
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In den nächsten Tagen bis zur Bundestagswahl veröffentlichen wir den letzten Teil des Gesprächs zu den Themen (soziales) Wohnen und Digitalisierung. Außerdem gibt es ein Abschlussstatement der Kandidierenden.
Hier finden Sie den ersten Teil des Gesprächs zum Thema Klimaschutz. Anmerkung: Die schriftliche Stellungnahme von Maria-Lena Weiss (CDU) wurde nun hinzugefügt.
Das Gespräch führte Louisa Mugabo. Es ist in leicht gekürzter und für die Lesbarkeit überarbeiteter Version wiedergegeben.