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    „Bloß keine Eingemeindung nach Rottweil“

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    Lokalhistorie verliert sich oft im Kleinklein. Walter Schwer hat die Geschichte Zimmerns von 1945 bis 2000 recherchiert und ist nicht in diese Falle getappt. Sein Buch bietet spannende Details, fügt diese aber auch in den größeren Rahmen – ein Glücksfall.

    „Vom Bauerndorf zur Dienstleistungsgemeinde“, so hat Schwer, bis zur Pensionierung 2012 Geschichtslehrer am AMG, den zweiten Teil seiner Chronik überschrieben. Teil eins, der etwa die erste Hälfte des bewegten 20. Jahrhunderts abdeckt, liegt seit 2015 vor. Der jüngst erschienene Nachfolgeband übertrifft dessen 264 Seiten nochmals. Er umfasst stolze 340 Seiten, die zudem reich bebildert sind – eine Fundgrube, nicht nur für Zimmerner.

    Hat die Geschichte Zimmerns im 20. Jahrhundert in zwei Bänden aufgearbeitet: Walter Schwer. Foto: al

    Auch für den zweiten Band hat Schwer, Jahrgang 1949, jede Menge recherchiert – alles auf ehrenamtlicher Basis. Er hat Gemeinderatsprotokolle, Zeitungen sowie andere Zeugnisse durchforstet und akribisch Ereignisse und Entwicklungen herausgearbeitet – ergänzt durch Gespräche mit Zeitzeugen.

    Es waren Jahrzehnte eines tiefgreifenden Wandels, die der Chronist faktenreich darstellt: Das „Bauerndörfchen“ Zimmern mit rund 1.300 Einwohnern in der Jahrhundertmitte mauserte sich zu einer attraktiven Wohn- und Dienstleitungsgemeinde. Als prägend hebt Schwer hervor, dass die Zimmerner bei allem innerörtlichen Streit stets eines „einte und eint“: „Die Furcht vor einer Eingemeindung durch die Stadt Rottweil und die entschlossene Bereitschaft, eine solche auf alle Fälle zu verhindern.“

    Der Erhalt der Eigenständigkeit gelang, auch weil bei der Gebietsreform 1973 Horgen, Flözlingen und Stetten eingemeindet wurden – ein Markstein, wie Schwer hervorhebt. So entstand eine größere Einheit mit nun über 6.000 Einwohnern, die sich behaupten konnte.

    Noch bäuerlich geprägt: Ortsansicht aus den 1950er Jahren. Foto: al

    Die Entwicklung maßgeblich bestimmt haben zudem der Bau der Autobahn 1978 mit der Anschlussstelle Rottweil-Zimmern sowie das interkommunale Gewerbegebiet 1999. Dank dieser Faktoren zählt Zimmern heute, wie Schwer nicht ohne Stolz bilanziert, zu den wirtschaftsstärksten Gemeinden im Kreis. Das fördert eine hohe Lebensqualität, hat mit einem starken Verkehrsaufkommen aber auch eine Schattenseite, die der Chronist nicht verschweigt.

    Überhaupt zeigt sich Walter Schwer unbestechlich: Auch schwierige Themen wie den zeitweise kaschierten, hohen Schuldenstand der Gemeinde kehrt er nicht unter die Decke. Mit Lobhudelei würde man sich nur Freunde machen – umso verdienstvoller ist, dass Walter Schwer in professioneller Hinsicht keine Kompromisse gemacht hat.

    Bei der Fasnet 1955 war die damals heiß umstrittene Wiederbewaffnung Thema. Foto: pm

    Intensiv blickt er ferner auf Schulen, Vereine, Brauchtum und das religiöse Leben, das lange einen hohen Stellenwert hatte, was Schwer etwa an einer großen Zahl von Geistlichen und Ordensleuten festmacht, die aus der Gemeinde hervorgingen. Bis Ende der Sechzigerjahre mussten Landwirte, wenn sie sonntags Feldarbeit verrichten wollten, dafür eigens eine Genehmigung beim Pfarrer einholen.

    Sie brachten in Zimmern die Ökumene und in das Projekt „Arche“ voran: Pfarrer Brunner (kath.), und Kraft (ev.). Foto: pm

    Was der Autor über die Bereiche hinaus deutlich macht: Die Zimmerner waren und sind ein streitbares Völkchen. Das macht er etwa an Auseinandersetzungen über den Ausbau der Ortsdurchfahrt 1960 oder über den Bau des Ökumenischen Zentrums 1981 fest. Noch stärker erregten sich die Gemüter, als Ende der Fünfzigerjahre ein Teilabriss der erst 1902 erbauten St. Konrads-Kirche anstand. Nicht wenige verteufelten den Umbau als „kulturelle Schande“.

    Besonders umstritten war das Abstellen des Morgenläutens sowie des nächtlichen Stundenschlags. Beides rief so viel Widerstand hervor, dass es wieder zurückgenommen werden musste. So ändert sich über die Jahrzehnte eben manches, anderes hat Bestand.

    All das zeigt Walter Schwer auf – und verknüpft es einerseits mit lebensnahen Anekdoten und dem Blick auf die Menschen, andererseits mit den Entwicklungen auf Landesebene und darüber hinaus. So lässt sich etwa die Gebietsreform 1973 nur angesichts der kurz zuvor von der CDU gewonnenen Landtagswahl verstehen. Eine andere Mehrheit im Landtag hätte für Zimmern die Weichen anders gestellt.

    Zimmerner Sänger bei einem Unmzug Mitte der 1950er Jahre. Foto: pm

    Wie sehr das Lokale und sogar das Globale verknüpft sein können, illustriert der Autor anhand eines Fotos aus den Neunzigerjahren: Es zeigt bei einem Besuch in Zimmern Wladimir Putin, damals Berater des ersten Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak – und bekanntlich seit 2000 mit Unterbrechungen Präsident der Russischen Föderation.

    Alles in allem ist Walter Schwer auch mit dem zweiten Band der Chronik eine eindrucksvolle Darstellung geglückt. Eine so fundierte, mit Herzblut erarbeitete und dennoch ausgewogene Heimatgeschichte dürfte manch andere Gemeinde neidvoll erblassen lassen.

    Info: Erhältlich ist das Buch von Walter Schwer für 25 Euro bei der Gemeindeverwaltung Zimmern sowie in den örtlichen Filialen der Kreissparkasse und der Volksbank.

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    Lokalhistorie verliert sich oft im Kleinklein. Walter Schwer hat die Geschichte Zimmerns von 1945 bis 2000 recherchiert und ist nicht in diese Falle getappt. Sein Buch bietet spannende Details, fügt diese aber auch in den größeren Rahmen – ein Glücksfall.

    „Vom Bauerndorf zur Dienstleistungsgemeinde“, so hat Schwer, bis zur Pensionierung 2012 Geschichtslehrer am AMG, den zweiten Teil seiner Chronik überschrieben. Teil eins, der etwa die erste Hälfte des bewegten 20. Jahrhunderts abdeckt, liegt seit 2015 vor. Der jüngst erschienene Nachfolgeband übertrifft dessen 264 Seiten nochmals. Er umfasst stolze 340 Seiten, die zudem reich bebildert sind – eine Fundgrube, nicht nur für Zimmerner.

    Hat die Geschichte Zimmerns im 20. Jahrhundert in zwei Bänden aufgearbeitet: Walter Schwer. Foto: al

    Auch für den zweiten Band hat Schwer, Jahrgang 1949, jede Menge recherchiert – alles auf ehrenamtlicher Basis. Er hat Gemeinderatsprotokolle, Zeitungen sowie andere Zeugnisse durchforstet und akribisch Ereignisse und Entwicklungen herausgearbeitet – ergänzt durch Gespräche mit Zeitzeugen.

    Es waren Jahrzehnte eines tiefgreifenden Wandels, die der Chronist faktenreich darstellt: Das „Bauerndörfchen“ Zimmern mit rund 1.300 Einwohnern in der Jahrhundertmitte mauserte sich zu einer attraktiven Wohn- und Dienstleitungsgemeinde. Als prägend hebt Schwer hervor, dass die Zimmerner bei allem innerörtlichen Streit stets eines „einte und eint“: „Die Furcht vor einer Eingemeindung durch die Stadt Rottweil und die entschlossene Bereitschaft, eine solche auf alle Fälle zu verhindern.“

    Der Erhalt der Eigenständigkeit gelang, auch weil bei der Gebietsreform 1973 Horgen, Flözlingen und Stetten eingemeindet wurden – ein Markstein, wie Schwer hervorhebt. So entstand eine größere Einheit mit nun über 6.000 Einwohnern, die sich behaupten konnte.

    Noch bäuerlich geprägt: Ortsansicht aus den 1950er Jahren. Foto: al

    Die Entwicklung maßgeblich bestimmt haben zudem der Bau der Autobahn 1978 mit der Anschlussstelle Rottweil-Zimmern sowie das interkommunale Gewerbegebiet 1999. Dank dieser Faktoren zählt Zimmern heute, wie Schwer nicht ohne Stolz bilanziert, zu den wirtschaftsstärksten Gemeinden im Kreis. Das fördert eine hohe Lebensqualität, hat mit einem starken Verkehrsaufkommen aber auch eine Schattenseite, die der Chronist nicht verschweigt.

    Überhaupt zeigt sich Walter Schwer unbestechlich: Auch schwierige Themen wie den zeitweise kaschierten, hohen Schuldenstand der Gemeinde kehrt er nicht unter die Decke. Mit Lobhudelei würde man sich nur Freunde machen – umso verdienstvoller ist, dass Walter Schwer in professioneller Hinsicht keine Kompromisse gemacht hat.

    Bei der Fasnet 1955 war die damals heiß umstrittene Wiederbewaffnung Thema. Foto: pm

    Intensiv blickt er ferner auf Schulen, Vereine, Brauchtum und das religiöse Leben, das lange einen hohen Stellenwert hatte, was Schwer etwa an einer großen Zahl von Geistlichen und Ordensleuten festmacht, die aus der Gemeinde hervorgingen. Bis Ende der Sechzigerjahre mussten Landwirte, wenn sie sonntags Feldarbeit verrichten wollten, dafür eigens eine Genehmigung beim Pfarrer einholen.

    Sie brachten in Zimmern die Ökumene und in das Projekt „Arche“ voran: Pfarrer Brunner (kath.), und Kraft (ev.). Foto: pm

    Was der Autor über die Bereiche hinaus deutlich macht: Die Zimmerner waren und sind ein streitbares Völkchen. Das macht er etwa an Auseinandersetzungen über den Ausbau der Ortsdurchfahrt 1960 oder über den Bau des Ökumenischen Zentrums 1981 fest. Noch stärker erregten sich die Gemüter, als Ende der Fünfzigerjahre ein Teilabriss der erst 1902 erbauten St. Konrads-Kirche anstand. Nicht wenige verteufelten den Umbau als „kulturelle Schande“.

    Besonders umstritten war das Abstellen des Morgenläutens sowie des nächtlichen Stundenschlags. Beides rief so viel Widerstand hervor, dass es wieder zurückgenommen werden musste. So ändert sich über die Jahrzehnte eben manches, anderes hat Bestand.

    All das zeigt Walter Schwer auf – und verknüpft es einerseits mit lebensnahen Anekdoten und dem Blick auf die Menschen, andererseits mit den Entwicklungen auf Landesebene und darüber hinaus. So lässt sich etwa die Gebietsreform 1973 nur angesichts der kurz zuvor von der CDU gewonnenen Landtagswahl verstehen. Eine andere Mehrheit im Landtag hätte für Zimmern die Weichen anders gestellt.

    Zimmerner Sänger bei einem Unmzug Mitte der 1950er Jahre. Foto: pm

    Wie sehr das Lokale und sogar das Globale verknüpft sein können, illustriert der Autor anhand eines Fotos aus den Neunzigerjahren: Es zeigt bei einem Besuch in Zimmern Wladimir Putin, damals Berater des ersten Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak – und bekanntlich seit 2000 mit Unterbrechungen Präsident der Russischen Föderation.

    Alles in allem ist Walter Schwer auch mit dem zweiten Band der Chronik eine eindrucksvolle Darstellung geglückt. Eine so fundierte, mit Herzblut erarbeitete und dennoch ausgewogene Heimatgeschichte dürfte manch andere Gemeinde neidvoll erblassen lassen.

    Info: Erhältlich ist das Buch von Walter Schwer für 25 Euro bei der Gemeindeverwaltung Zimmern sowie in den örtlichen Filialen der Kreissparkasse und der Volksbank.

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