Im Sommer 1974 trat der Zusammenschluss von Aichhalden und Rötenberg in Kraft. An diesem Wochenende feiert die Gemeinde ein Festwochenende mit einer Gewerbeschau und verkaufsoffenem Sonntag in beiden Ortsteilen. Zum Auftakt hatte die Gemeinde zu einem Festakt am Freitagabend in die Josef-Merz-Halle eingeladen.
Aichhalden-Rötenberg. In seiner Begrüßung lobte Bürgermeister Michael Lehrer, dass die beiden Musikvereine aus Aichhalden und Rötenberg zum Auftakt gemeinsam musizierten. „Die Musikerinnen und Musiker passen auch farblich schon gut zusammen“, scherzte er. Und tatsächlich bis auf die Farben der Jacken ähnelten sich die Uniformen schon sehr.
Lehrer: Es gab Handlungsbedarf
Zur Feier der „Goldenen Hochzeit“ hieß Lehrer die Gäste in der gut besetzen Halle willkommen und begrüßte insbesondere seine beiden Amtsvorgänger mit ihren Gattinnen. Er frage sich, „ob die Protagonisten von damals es sich hätten vorstellen können, dass man den Zusammenschluss eines Tages so feiern wird?“
Mit zwei Zahlen erinnerte Lehrer an die Notwendigkeit der Gemeindereform von 1972. Damals habe es im Land 3379 Gemeinden gegeben, heute seien es noch 1100. Im Kreis Rottweil gab es 71 selbstständige Kommunen mit Bürgermeister, Gemeinderäten, Verwaltungen. „Es war Handlungsbedarf gegeben.“
Damals seien viele „Zweckehen“ geschlossen worden, im Laufe der Jahre habe man sich angenähert und die Vorteile genutzt.
Kohlmann: Grenzen überwunden
Den Festvortrag hielt der Historiker und Kulturwissenschaftler Carsten Kohlmann aus Oberndorf. Als Stadtarchivar von Schramberg hatte er auch einen tiefen Einblick in die Beziehungen zu Aichhalden und die Avancen, die der damalige Schramberger Bürgermeister Konstantin Hank den Aichhaldern machte.
Zunächst wies Kohlmann auf die Bedeutung von Grenzen für Aichhalden und Rötenberg hin, „Grenzen zwischen Landschaften, Gesteinen, Territorien, Staaten, zwischen Konfessionen und Gemeinden“. Es werde einem zugleich bewusst, dass solche Grenzen durch Zusammenschlüsse überwunden werden können. Baden und Württemberg 1952 und Aichhalden und Rötenberg 1974. Er lobte die sehr gelungene Art der Feier der Goldenen Hochzeit „mit einem erneuten Eheversprechen“.
Die damalige Reform sei so etwas wie eine „Zangengeburt“ gewesen. Es sei wohl nur gelungen, weil damals zwei große Parteien, CDU und SPD, unter Führung von Hans Filbinger dieses „bis heute beispiellose Reformwerk auf den Weg gebracht“ hätten. Die letzte grundlegende Neuordnung der Gebiete und Verwaltungen im Südwesten lag schon eine Weile zurück. Sie stammte von Napoleon.
Starke Regierung
Erst in den 1960er Jahren sei der Landesregierung die Notwendigkeit einer Gemeindereform bewusst geworden, um die öffentlichen Verwaltungen den neuen Entwicklungen „vor allem auf dem Gebiet der Automatisierung“ anzupassen.
Kohlmann erinnerte an die erste Gebietsreform, nämlich den Zusammenschluss von Bach-Altenberg mit Rötenberg 1968.
Die Landesregierung habe damals Ober-, Mittel- und Unterzentren vorgegeben und „Entwicklungsachsen“ definiert. Schramberg sollte Mittelzentrum werden, Städte mindestens 8000 Einwohner zählen, ländliche Verwaltungseinheiten 5000. Damit sei klar gewesen, Aichhalden und Rötenberg würden so nicht weiter bestehen können.
Wer mit wem?
Es begann eine Zeit der Verhandlungen und Diskussionen, wer mit wem zusammengehen könne. Rötenberg zog es eher nach Alpirsbach. Schramberg lockte und versuchte, sich im Umland Partner zu suchen. Schrambergs damaliger Bürgermeister Konstantin Hank habe leidenschaftlich für einen Großkreis Villingen-Schwenningen gekämpft, um die Stadt aus der „Gefangenschaft“ im Landkreis Rottweil zu befreien.
Er wollte unbedingt die Einwohnerzahl auf mehr als 20.000 vergrößern, um zu den Großen Kreisstädten zu zählen – und den Titel Oberbürgermeister tragen zu können.
Doch Hank habe mit dem „Anti-Schramberg-Gefühl“ des Umlands zu kämpfen gehabt, so Kohlmann. Dieses Gefühl habe sich historisch begründet, etwa im Krieg zwischen Aichhalden und Schramberg wegen einer eigenen Mühle im 18. Jahrhundert.
1971 habe sich Aichhalden um Rötenberg bemüht, sei dort aber auch starke Ablehnung gestoßen, bei einer Bürgeranhörung lehnten die Rötenberger den Zusammenschluss ab. Unterdessen hatte Hank mit Waldmössingen eine Einigung erzielt, Schramberg kam über die 20.000 Einwohnerhürde und sein Interesse an Aichhalden versiegte.
Bei einer Bürgerversammlung in Aichhalden 1972 legte Bürgermeister Reinhold Kühner die Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle dar. Auch hier lehnten die Bürger den Zusammenschluss mit Schramberg ab. Kühner bekam damals heftige Vorwürfe aus der Bürgerschaft, die ihn bis heute schmerzen. Bei einem Bürgerentscheid stimmten 87 Prozent gegen ein Zusammengehen mit Schramberg.
Fünf Finger in Schramberg
Allerdings gab es einen kuriosen Grenzverlauf mit Schramberg. Mit „fünf Fingern“ reichte Aichhalden in Schramberger Gebiet. Vermutlich war dieser Grenzverlauf durch „Rodungsinseln bei der Erschließung“ entstanden.
Vor einer Gemeindereform sollte diese Grenze begradigt werden. Kühner und Hank verhandelten, und so kamen Brambach und Lienberg gegen Ausgleichszahlungen zu Schramberg. Danach war der Weg frei für den Zusammenschluss von Aichhalden und Rötenberg. Die Schramberger Umlandgemeinden schlossen sich zu einer bis heute bestehenden Verwaltungsgemeinschaft zusammen.
Unsicherheit oder Zuversicht
Kohlmanns Fazit: Die Gemeindereform habe sich in der Summe bewährt. Gleichwohl mache sich auch heute „wieder Unsicherheit breit, wie das alles weitergehen kann“. Die Wahlergebnisse nicht nur im Osten zeigten dies. Auch auf der Fahrt nach Aichhalden werde man von einem privaten Plakat begrüßt, das zum „Widerstand“ aufrufe.
Dennoch sei er für Aichhalden und Rötenberg zuversichtlich. Mit der Erfahrung des Zusammenschlusses, der Überwindung von Grenzen und der Bündelung der Kräfte sei die Kommune eine Erfolgsgeschichte. „Packen Sie es an mit Mut und Zuversicht!“ Die Gäste dankten mit langanhaltendem Applaus.
Sofagespräch mit drei Bürgermeistern
In einer Sofarunde versammelten sich die drei noch lebenden Bürgermeister Reinhold Kühner, der von 1965 bis 1993 die Geschicke der Gemeinde lenkte. Sein Nachfolger Eckhard Sekinger, der bis 2017 amtierte und schließlich Michael Lehrer, der derzeitige Bürgermeister.
Kühner wusste allerlei Anekdoten aus der Zeit der Kommunalreform zu berichten. Dass beispielsweise der Gebietsausgleich mit Schramberg vielleicht nur deshalb gelang, weil Aichhalden weiterhin den Winterdienst auf dem Lienberg übernahm.
Eine ungewöhnliche Gemeindegrenze hatte dazu geführt, dass die Aichhalder Gemarkung weit ins Schramberger Gebiet reichte. Für eine Kommunalentwicklung höchst hinderlich. „Aichhalden reichte bis dahin, wo heute die Firma Trumpf Laser ihren Zaun hat“, so Kühner.
Sekinger war bei der Kommunalreform 16 Jahre alt. Bei ihm auf der Silberburg habe das Thema kaum eine Rolle gespielt. Sein Wahlkampfversprechen, auch für Aichhalden einen Ortschaftsrat einzurichten habe er bald wieder fallen gelassen, weil es sich als eher schädlich erwiesen hätte.
Auch Lehrer gab zu, hinzugelernt zu haben. Er habe noch als Rötenberger Ortschaftsrat vehement für die Beibehaltung des Ortschaftsrates und der unechten Teilortswahl plädiert. Heute sei er froh, dass beides abgeschafft worden sei.
Schmankerl zum Schluss
Mit einem „Schmankerl“, einem kleinen Ausschnitt aus einer Kinderfunksendung, die die damalige sechste Klasse der Grund- und Hauptschule 1988 gestaltet hatte, endete die Runde. Die Kinder hatten für den damaligen Südwestfunk in Baden-Baden Reinhold Kühner einen Tag lang begleitet und zu seinem Beruf als Bürgermeister befragt.
Möglicherweise wird demnächst die gesamte Sendung auf der Homepage der Gemeinde zu hören sein, kündigte Lehrer an.
Gewerbeschau und verkaufsoffener Sonntag
Mit der Einladung, die große Gewerbeschau in beiden Ortsteilen zu besuchen, beendete Bürgermeister Lehrer den offiziellen Teil des Festaktes. Anschließend trugen sich die drei Bürgermeister gemeinsam ins Goldene Buch ein.
Im Foyer der Josef-Merz-Halle trafen sich die Gäste, um bei kühlen Getränken und Häppchen zu plaudern und Erinnerungen auszutauschen.