Der Besuch der weisen Sterndeuter beim Jesuskind, an den das Dreikönigsfest diesen Freitag erinnert, wurde vielfach dargestellt. Eine prächtige Abbildung, die in den Medien oft zu sehen ist, stammt aus Rottweil – und gibt bis heute Rätsel auf.
Es handelt sich um eine „Anbetung der Könige“, entstanden um 1440, die heute im Landesmuseum Stuttgart gezeigt wird. Über zwei Jahrhunderte lang hatte sie ihren Platz jedoch im Rottweiler Heilig-Kreuz-Münster – als Teil des gotischen Flügelaltars, der mitten im Hochchor den Gläubigen zentrale Inhalte des biblischen Heilsgeschehens vor Augen hielt, ehe er nach dem Dreißigjährigen Krieg im Zuge der Barockisierung abgebaut wurde.
In kunstvoll gewobene und fein drapierte Gewänder sind die legendären Könige, ebenso wie Maria auf der meisterlichen Malerei gehüllt. Noble Eleganz, aber auch die Leuchtkraft der Farben und ein reich ziselierter Goldgrund verleihen der Szene, die der Schilderung im zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums folgt, Lebendigkeit und zugleich eine betont würdevolle Aura.
Dieser Mix scheint für unsere auf Augenreize gepolten Zeiten gut zu passen. Die Rottweiler Anbetung wird jedenfalls in der Datenbank „akg-images“, einer der großen europäischen Bildarchive, oft abgerufen, wenn es darum geht, im weitesten Sinne das Thema „Dreikönig“ zu illustrieren.
Dass das Gemälde so hoch im Kurs steht, überrascht Hans Schlenker nicht. „Das ist einfach ein großartiges Kunstwerk“, sagt der aus Rottweil stammende langjährige Pfarrer, der zuletzt die Seelsorgeeinheit Dietingen leitete und sich seit Jahren erfolgreich für die Neubelebung des Wallfahrtsorts Maria Hochheim einsetzt.
Schlenker, Jahrgang 1944, kennt das Dreikönigs-Bild und den Zusammenhang, zu dem es gehörte, so gut wie kaum jemand anders. Seit 1976 beschäftigt er sich immer wieder mit dem Thema. „Damals beschloss ich, mir die vier seinerzeit bekannten Tafeln des Altars anzusehen“, erzählt er im Gespräch mit der NRWZ. „Mich als einstigen Ministranten von Heilig-Kreuz interessierte einfach, wie der Flügelaltar einmal ausgesehen hat“, erläutert Schlenker.
Die Umstände der Recherche waren abenteuerlich. Das Dreikönigsbild stand damals unbeachtet in Stuttgart im Depot. Eine Darstellung von Christi Himmelfahrt hing auf Anregung Bischof Leibrechts im Salon des Rottenburger Bischofshauses – Hans Schlenker durfte es kurz abhängen und auf dem Balkon fotografieren.
Zwei weitere Bilder lehnten angestaubt in einer Rumpelkammer auf Schloss Lichtenstein: Eine Darstellung des Pfingstwunders mit den Heiligen Geist empfangenden, prunkvoll gewandeten Männern. Und eine dramatische Inszenierung des Martyriums der Heiligen Ursula, die der Legende nach auf der Rückreise von einer Wallfahrt nach Rom mitsamt ihren Gefährtinnen niedergemetzelt wurde.
„Mir wurde damals klar, dass diese vier Tafeln nur ein Bruchteil des früheren Flügelaltars sein können“, erinnert sich Hans Schlenker. Das war der Beginn einer intensiven Spurensuche: Nach Hinweisen zu den verschlungenen Wegen, die die Bilder genommen hatten, nach Aufschluss über technische Fragen. Und nicht zuletzt nach anderen Kunstwerken mit ähnlichen Merkmalen.
Denn einem namentliche bekannten Meister zuordnen kann man die Malereien bis heute nicht. Die Experten behelfen sich mit Bezeichnungen wie „Meister des Rottweiler Hochaltars“ oder „Rottweiler Meister“. Dieser war wahrscheinlich im Straßburger Raum tätig. Der mehrfach gemachte Vorschlag, den Meister dem Umfeld des berühmten Rottweilers Konrad Witz zuzuordnen, konnte sich nicht durchsetzen.
Dieser These wird entgegengehalten, dass der Malstil des Hochaltar-Meisters eine eigene Handschrift zeige, und dass Witz schon 1434 in Basel nachweisbar ist – also einige Jahre bevor der Rottweiler Altar entstand. Hans Schlenker überzeugen die Gegenargumente allerdings nicht ganz. „Technisch und in der Malweise gibt es da schon einige Verbindungen“, hält er dagegen.
Zentrale Ergebnisse seiner Spurensuche fasste Schlenker schon 1978 in einer Studie zusammen – nun will er diese aktualisieren und veröffentlichen. Denn seit der ersten Recherche kam viel Neues zum einstigen Flügelaltar zutage – vielfach aufgrund des beharrlichen Dranbleibens von Hans Schlenker, der neues Interesse an dem lange unbeachteten Altar weckte.
Am sensationellsten war, dass zwei weitere große Bilder sicher dem Rottweiler Gesamtkunstwerk zugeordnet werden konnten: ein „Martyrium des Heiligen Achatius und seiner Gefährten“ und eine Versammlung betender Engel, die so aber, wie sich herausstellte, erst im 19. Jahrhundert zusammengefügt worden waren. Ursprünglich umrahmten die Engel eine Darstellung der „Erweckung Christi“, die sich in der Karlsruher Kunsthalle befindet und ebenfalls dem Rottweiler Altar-Ensemble von 1440 zugeordnet werden konnte. 2000/2001 waren die Tafeln im Dominikanermuseum in einer viel beachteten Ausstellung für einige Wochen wieder vereint.
Aber nach wie vor sind viele Fragen offen: Wie könnte der Flügelaltar insgesamt ausgesehen haben, der ausgeklappt stattliche 7,20 gemessen haben dürfte und bereits ohne Aufbauten wohl vier Meter in die Höhe ragte? Was geschah mit den immer noch fehlenden Bildtafeln? Gibt es vielleicht heute noch Malereien aus diesem einst brutal auseinander gesägten Gesamtkunstwerk, die nur bislang unerkannt sind?
Vielleicht lässt sich mit neuen Funden, Vergleichsobjekten oder Analysewerkzeugen irgendwann auch das Rätsel um den „Rottweiler Meister“ lösen. Die Veröffentlichung von Hans Schlenker kann dazu beitragen. Und in jedem Fall weitere Aufmerksamkeit auf den einstigen Flügelaltar von Heilig Kreuz lenken – einem Kunstwerk, das, von einzelnen Motiven wie der „Anbetung der Könige“ abgesehen, bis heute noch nicht wirklich umfassend gewürdigt wurde.