Es klingt fast wie ein Wunder: Die Kopie der „Madonna von der Augenwende“ ist fertig geschnitzt. Am Freitag wurde die Schönheit aus Rottweil ins Rheinland kutschiert. Dort bekommt sie nun Farbe.
Und zwar edles Rot. Und viel, viel Gold. Aufbringen wird es in einer komplizierten Prozedur die erfahrene Restauratorin Nora Heinken. Mit der auf Skulpturen, polychrome Bildwerke, Wandmalerei und Architektur-Ausstattung spezialisierten Expertin hat Andrea Wörner, die mit den Schnitzarbeiten beauftragte Bildhauerin aus Schiltach, bereits mehrere Projekte realisiert.
Eine „tolle Zusammenarbeit“ sei es mit Nora Heinken, schwärmt Wörner im Gespräch mit der NRWZ. Zuletzt schufen die beiden gemeinsam etwa eine Muttergottes in Saulheim sowie jüngst die Figur einer Marianne Cope, einer in der Krankenfürsorge tätigen deutsch-amerikanischen Ordensschwester, die als neue Heilige einen Platz im „Dom der Bergstraße“ in Heppenheim, ihrer Taufkirche, gefunden hat.
Wo es bei Cope Freiheiten gab, bindet im Fall der Rottweiler Madonna das Vorbild: Möglichst nah an der spätgotischen Marien-Darstellung, der im Zusammenhang mit der Belagerung Rottweils 1643 Wunder zugeschrieben werden, soll die neue Skulptur gestaltet sein. Und doch nicht zu nah. Denn Original und Schwesterstück soll man an Details unterscheiden können. So greift das Christuskind bei der jüngeren Madonna nicht nach dem Szepter, sondern hält einen Apfel. Auch steht die Madonna nicht wie das Vorbild auf einer Mondsichel. Und ihr Gewand schwingt in einer leicht anderen Draperie aus.
Zwei Tage lang haben sich Wörner und Heinken diese Woche im Atelier der Bildhauerin über damit verbundene Fragen ausgetauscht. „Wir haben zum Beispiel die Oberflächen gemeinsam bearbeitet“, erzählt Wörner. Denn nur nach spezieller Vorbereitung kann Kreidegrund aufgetragen werden, auf dem wiederum später in hauchfeinen Schichten eine strahlende Polimentvergoldung aufgetragen werden kann.
Festzulegen war ferner, wie die Perlen an den Hals der neuen Madonna kommen, die bereits das Original zieren. Schnitzen oder Anfügen, lautete die Frage – wie übrigens auch bei der Krone. Im Original ist die aus Metall und aufgesetzt. Bei der Nachbildung hat Wörner die Krone aus Lindenholz geschnitzt. Bei den Perlen wird es Gleichklang geben: Auch der jüngeren Madonna werden sie angefügt und sind nicht Teil des Korpus.
Derlei mag kleinlich klingen. „Aber es geht da um Millimeter-Bruchteile“, betont Wörner. Nicht, dass sie wochenlang an Feinheiten gefeilt hat, die durch Farbauftrag später „zusoßen“, wie die Bildhauerin anschaulich darlegt. Denn beide, Schnitzerin und Farbexpertin, wollen ja das optimale Ergebnis.
Seit März 2022 hat Andrea Wörner die Muttergottesfigur in ihrem Atelier sorgsam aus einem anderthalb Meter hohen Lindenholzblock herausgearbeitet – immer mit Blick auf ein Kunststoff-Modell des Originals, das nach einem Scan gegossen wurde. Die Skulptur nun aus der Hand zu geben, sei ihr schon schwergefallen, lässt die Bildhauerin erkennen.
„Ich habe sie nicht gern hergegeben. Es ist fast, als ob man ein Kind ziehen lassen muss“, sagt sie. Aber nun geht es mit der Fertigstellung der lang erwarteten Marienfigur zügig voran. Schließlich ist für den Vorabend des ersten Advents die große Willkommens-Feier in der Predigerkirche geplant – mit einem festlichen Konzert, bei dem das „Magnificat“, also der Lobgesang Mariens, erklingt.