„Glückselig“ heißt es bei der Fasnet. Und „selig“ nicht nur in der Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums, sondern schon an vielen Stellen im Alten Testament. Was hat die eine „Seligkeit“ mit der anderen zu tun? Und Fasnet mit dem christlichen Glauben? Das und mehr erläutert im Gespräch mit der NRWZ Münsterpfarrer Timo Weber – selbst passionierter Rottweiler Narr.
NRWZ: Herr Pfarrer Weber, in Rottweil wünscht man sich eine „glückselige Fasnet“ – ist das für Sie eine beliebige Tradition, oder schwingen da in Ihren Ohren die „Seligpreisungen“ nach Matthäus, Kapitel 5, mit?
Pfarrer Timo Weber: Irgendwie schon. Man muss aber genauer hinschauen, was die Seligpreisungen in der Bergpredigt bedeuten. Da werden Menschen seliggepriesen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Es geht dabei aber nicht um Vertröstung, sondern um einen Zuspruch: Dass sie nämlich in ihrer Trauer, ihrer Armut, ihren Nöten einen starken Partner an der Seite haben, Gott selber. Es geht um das Thema Gottesbeziehung.
Das ist an der Fasnet kein Thema, möchte ich behaupten. Wenn man die zweieinhalb Tausend Narren hinterm Schwarzen Tor befragen würde, ob sie in ihrem Narrenkleidle dem lieben Gott ein Stück näher sind als sonst, bezweifle ich, dass jemand sagen würde: Ja, der liebe Gott ist mir jetzt näher.
NRWZ: Welche Verbindung sehen Sie stattdessen?
Pfarrer Timo Weber: Wie gesagt: In den Seligpreisungen nimmt Jesus besonders die Menschen in den Blick, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, die trauern und die ein Kreuz zu tragen haben. Fasnet kann gerade für diese Menschen in schweren Lebenslagen etwas sein, wo sie ein Stück Himmel erleben, einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie wir uns Himmel vorstellen: Als Zustand, in dem man von Trauer und allem anderen Schweren befreit ist und reine Freude empfindet. Dafür muss man Fasnet aber auch richtig verstehen und feiern!…
NRWZ: … Was meinen Sie damit?
Pfarrer Timo Weber: … Man kann Fasnet aus meiner Sicht auf unterschiedliche Weisen feiern: Einfach als Halligalli. Oder mit Herz, mit Identität, als Auftrag, die Leute wahrzunehmen, die an der Straße stehen, die auf ein freundliches, humorvolles Wort warten und vielleicht sonst im Leben oft übersehen werden.
Ich bin dieses Jahr bei der Generalversammlung der Narrenzunft gebeten worden, die Entlastung zu moderieren. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich bedankt bei allen Narren, die nicht nur ins Schorleglas gucken. Das gehört natürlich dazu, ganz klar – ich trinke auch meine Schorle.
Aber wichtig ist, auch nach links und rechts zu gucken und die Leute wahrzunehmen, die da stehen. Oder die im Pflegeheim sitzen, die daheim und alt und krank sind – und diesen Leuten einen Besuch abzustatten, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken, sie einzubinden in die Fasnet. Das gehört für mich zur Fasnet unbedingt dazu. Fasnet ist nicht nur für mich alleine da, für meine Freude, meine Bedürfnisse…
NRWZ: … Also Fasnet ist auch eine Zeit, in der man aufeinander schaut und eine Zeit der Kommunikation?
Pfarrer Timo Weber: … Und der Gemeinschaft! Das finde ich ganz entscheidend: einander eine Freude machen, miteinander eine schöne Zeit haben.
Sonst wäre jedenfalls die „Seligkeit“, von denen die Seligpreisungen sprechen, ganz weit weg. Wenn mir fünf Schorle reichen, damit ich „glückselig“ bin, dann fehlt da jeder weiter gefasste Horizont. Dann braucht es zu dieser Art von „Glückseligkeit“ auch keine Fasnet.
Fasnet ist aus meiner Sicht eine sehr wertvolle tragende Angelegenheit: Sie stützt, gerade auch in Zeiten, in denen man traurig ist, einsam und alleine. Da braucht es die andern, den Zusammenhalt, den man an der Fasnet erleben und den jeder einzelne Narr fördern kann. Dann kann Fasnet auch eine Brücke sein zwischen Menschen, eine Quelle von „Seligkeit“, die Kraft gibt für das Leben.
NRWZ: Die Fasnet markiert ein Scharnier im Kirchenjahr: die Schwelle zur vierzigtägigen Fastenzeit, sozusagen dem Countdown zu Ostern – worin sehen Sie über das Kalendarische hinaus Verbindungen zwischen Fasnet und Christentum?
Pfarrer Timo Weber: Theologisch und historisch gibt es da viele Verknüpfungen. Nicht umsonst finden wir im Rottweiler Münster ja auch verschiedene Narrendarstellungen. Von der konkreten Narretei unserer Tage ausgehend, ist mir als zentrale Verbindung die Lebensfreude wichtig. Lebensfreude gehört zur Fasnet und für mich zum christlichen Glauben dazu. Und damit meine ich eine innere Freude und das Gefühl gut aufgehoben zu sein.
Besonders schön fände ich, wenn sich das Wirgefühl, das wir an der Fasnet erleben dürfen und feiern, fortsetzen würde durch das ganze Jahr und durch das ganze Leben. Das ist ja zutiefst christlich: Wir schauen aufeinander, wir unterstützen uns, wir richten uns gegenseitig auch immer wieder mal neu aus – das gehört ja auch zu Fasnet und genauso zum Christentum.
NRWZ: An der Fasnet gibt es im Münster traditionell eine Narrenmesse – verstehen Sie sich bei der Predigt eher als Seelsorger oder als Narr, der andern im Schutz der Fasnet den Spiegel vorhält?
Pfarrer Timo Weber: Auch im Gottesdienst am Fasnetssonntag bin ich zuerst Seelsorger, der allerdings in der Predigt auch mal die Brille eines Narren aufzieht und vor allem in Reimen spricht. Es geht aber in einer Narrenpredigt nicht zwingend um Humor. Eine Narrenpredigt muss für mich keine Schenkelklopfer-Predigt sein.
NRWZ: Nicht wenigen ist Fasnet ja regelrecht „heilig“ – besteht da aus Ihrer Sicht auch die Gefahr der Übertreibung, während gleichzeitig christliche Glaubenspraktiken und Traditionen zu verblassen drohen?
Pfarrer Timo Weber: Den Menschen ist mittlerweile sehr vieles „heilig“, was früher eine nicht ganz so hohe Wertigkeit hatte. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass man Fasnet nicht nur für sich feiert, sondern für- und miteinander.
Insgesamt lässt sich beobachten, dass bei Festen und Traditionen, die aus dem Christentum stammen, deren Ursprung und Inhalt gar nicht mehr gesehen wird, dass sie entkernt werden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es bei der Fasnet ähnliche Tendenzen gibt. Wenn da das Herz nicht dabei ist, und wenn ich nicht weiß: Woher kommt das eigentlich, was ist denn der Sinn, der Grund von all dem? Dann fehlt etwas, dann macht mich das nachdenklich und ich finde es schade. Dazu zählt für mich natürlich auch der Aschermittwochs-Gottesdienst. Dieser gehört für einen richtigen Narren dazu.
Mir ist die Fasnet auch wichtig! Ich gehe sorgsam mit meinem Kleidle um, es ist ein Ehrenkleid, das man angemessen mit Leben füllen muss. Und doch ist es auch nicht alles.
NRWZ: Sie sind ja selber passionierter Rottweiler Narr …
Pfarrer Timo Weber: … Danke, diese Feststellung empfinde ich als Auszeichnung (lacht)…
NRWZ: … Na klar, Sie waren im Kleidle schon lange, bevor Sie Münsterpfarrer wurden und ihr Bezug zu Rottweil hat, wie Sie im Interview mit der NRWZ mal berichtet haben, viel mit der Fasnet zu tun – was bedeutet Ihnen die Fasnet?
Pfarrer Timo Weber: (überlegt, räuspert sich) … Das sind Emotionen, die da wach werden… Da spielt dieses „ein Stück vom Himmel“, diese Seligkeit eine Rolle… Zu merken: Ich gehöre dazu, ich darf Teil dieser Tradition sein. Es ist ein Geben und ein Nehmen – ich habe ja auch ein offenes Haus, da kommen die Stadtkapelle und etliche Narren. Man ist gastfreundlich und die Leute nehmen das auch gerne an. Es geht dann nicht nur um die Maultaschen und eine warme Stube, sondern ums Herz, um die Herzlichkeit – das ist für mich Fasnet: zusammengehören, ein Wirgefühl, einander beschenken, einander etwas Gutes tun, gemeinsam Freude erleben.
NRWZ: Und wann ist für Sie persönlich eine Fasnet „glückselig“?
Pfarrer Timo Weber: Genau dann! (lacht herzhaft)
NRWZ: Vielen Dank für das Gespräch – und: Hu-hu-hu!
Pfarrer Timo Weber: Hu-hu-hu!
Die Fragen stellte NRWZ-Redakteur Andreas Linsenmann.