Kapellenturm: Einzigartig, aber herausfordernd

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Bewundertes Wahrzeichen, Kulturdenkmal von nationalem Rang – und ewiges Sorgenkind: Seit Sommer ist der Rottweiler Kapellenturm wieder eingerüstet. Beim Tag des offenen Denkmals haben Fachleute einen Einblick in seinen Zustand gegeben. Nach einem Checkup steht nun fest, wie sie ihn bewahren und bis zur Landesgartenschau 2028 wieder in einen präsentablen Zustand bringen wollen. Architekt Dr. Nikolai Ziegler erläuterte die Pläne im Gespräch mit der NRWZ.

Ziegler gehört zum Team von AeDis, einem auf die Bearbeitung bedeutender Kulturobjekte spezialisierten Zusammenschluss von Architekten, Restauratoren und Handwerkern mit Sitz in Ebersbach-Roßwälden nahe Kirchheim/Teck. AeDis hat schon illustre Objekte wie die Basilika Weingarten und Schloss Salem wieder auf Hochglanz gebracht.

Die Bauleute in Rottweil wollten von Anfang an hoch hinaus: Blick auf das oberste Geschoss des Kapellenturms. Foto: al

Auch der Kapellenturm wird sich da einreihen. Aber bis dahin ist viel zu tun. Und den oft klangvollen Zuschreibungen, zu denen auch das viel zitierte – und bisher unbelegte – Wort des Kunstgeschichts-Papstes Georg Dehio zählt, er sei „einer der schönsten gotischen Kirchtürme zwischen Paris und Prag“, möchte Ziegler, nachdem er den Turm genau erforscht hat, eine neue hinzufügen: Für ihn kann man an ihm „das rastlose Ringen um ein einzigartiges Baudenkmal“ ablesen.

Schon seit Jahrhunderten wird um den Kapellenturm und die Kapellenkirche gerungen, sagt Architekt Dr. Nikolai Ziegler, nachdem er das Bauwerk intensiv erforscht hat.

Wie dieses Ringen aussah, verrät der Kapellenturm nicht auf den ersten Blick. Dem aufmerksamen Betrachter offenbart das Gebäude, dessen Grundstein etwa 1330 gelegt wurde, jedoch eine  eine Menge interessanter Spuren.

Stolze, wohlhabende Kaufleute wollten damals mit der kirchlichen Hierarchie mithalten. Sie  hatten vor, Heilig-Kreuz, der Bischofskirche eine imponierende Bürgerkirche gegenüberzustellen – im feinen gotischen Stil, der damals das Nonplusultra darstellte. Auf kleiner Grundfläche sollte dabei alles auf einmal erreicht werden: Um eine repräsentative Portalfassade, wie in Freiburg, Ulm und Straßburg zu erschaffen, musste die Nebenportale mangels Platz seitlich an den Turm geklappt werden. Und zugleich wollte man gewaltig hoch hinaus: Vier Meter messen die Mauern unten, was auf die enorme angestrebte Höhe hindeutet. 

Wie die ursprünglichen Pläne beim seit Sommer wieder eingerüsteten Kapellenturm aussahen, weiß man bislang nicht. Anders als etwa beim Kölner Dom sind keine Pläne dazu überliefert. Foto: al

Das war des Guten eigentlich zu viel. Denn „der Kapellenturm steht auf einem schmalen Felssporn“, wie Architekt Ziegler darlegt. Für den geplanten Baukörper war das im Grunde nicht ausreichend. Trotzdem: „Die Rottweiler wollten einen Turm, der mindestens so hoch war wie der des Münsters und weithin Eindruck machte“, erläutert Architekt Ziegler.

Nachdem die Rottweiler in der ersten Phase nur etwa 30 Meter hoch gekommen waren, bremste eine Bauunterbrechung, deren Ursache bislang nicht bekannt ist, das ehrgeizige Ziel aus. Erst mehrere Jahrzehnte späte wurde dem quatratischen Turmstumpf – dem neuen Zeitgeschmack entsprechend – ein Oktogongeschoss aufgesetzt, auf das rasch ein zweites folgte.

Am Turm finden sich zahlreiche Spuren früherer Bau- und Sanierungsmaßnahmen – hier aus dem frühen 18. Jahrhundert. Foto: al

Bereits nach wenigen Jahrzehnten merkten die Bauleute: Der Turm steht nicht stabil und beginnt sich zu neigen. Schon früh wurden daher erste Stützvorrichtungen eingebaut. Der immer schwerere Baukörper fand jedoch nach wie vor keine Ruhe. Bis heute ist er daher in Bewegung: Der Kapellenturm driftet auf dem Bergspron, kippt leicht Richtung Süden – mittlerweile nur noch wenige Millimeter jährlich – verwindet sich in sich selbst und lehnt sich an das Kirchenschiff.

Ab dem 19. Jahrhundert wurde an dem Bauwerk intensiv versucht, ihn zu stabilisieren und instand zu setzen. Foto: al

Die Statik der Bausubstanz verunsicherte auch die Bauleute des 19. Jahrhunderts. „Es zeigten sich Risse, große statische Probleme, um 1880 war der Turm akut einsturzgefährdet“, erklärt Nikolai Ziegler. Deshalb fing man an, Spannanker durch die Wände zu schlagen und den Turm wie auch das Kirchenschiff auf verschiedenen Ebenen neu zu verspannen. Und es ging weiter: Der Turm ist inzwischen in großen Bereichen durch Betondecken und Stützen stablisiert. Das sei ästhetisch unbefriedigend, räumt der Architekt ein. Aber nur deswegen stehe der Turm überhaupt noch.

Das Team von AeDis sei am Anfang erstaunt, ja entsetzt gewesen, zu sehen „wie verzweifelt und mit welch brachialen Mitteln mehrere Generationen darum gerungen haben, den Turm zu erhalten“, gibt der Architekt zu. Mittlerweile muss zum Glück nicht mehr um Standsicherheit gekämpft werden. Die Herausforderung, die sich nun stellt, ist der Erhalt der Fassaden, mit all ihrem Ornament und Zierrat.

Denn die Fassaden weisen vielfältige Schadensbilder auf – weswegen wiederholt Steinteile herunterfielen. Was genau im Argen liegt, hat das Team von AeDis seit Juni detailliert untersucht. Mit verschiedensten Mess- und Auswertungsmethoden wurden Stein für Stein und sogar jede Fuge erfasst und klassifiziert.

Minutiös hat das Expertenteam den Zustand erhoben und dokumentiert. Beim Tag des offenen Denkmals erläuterte Steinrestaurator Florian Wiener Details. Foto: al

Dabei ergab sich ein geradezu buntscheckiges Bild. Die ursprünglich verbauten Schilf- und Stubensandsteine verwittern unterschiedlich: Während die Stubensandsteine recht beständig sind, zerfallen die grünlichen Schilfsandsteine aufgrund der enthaltenen Tonmaterialien stärker. Viele mussten daher seit dem 19. Jahrhundert ausgetauscht oder konserviert werden – was zu weiteren Problemen geführt hat.

Denn jede Generation nutzte anderes Austauschgestein und jeweils unterschiedliche Mörtel. So wurden Ende im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zahlreiche wasserführende Gesimse, Friese und Maßwerkfenster ausgetauscht. Vor allem ab den 1960er Jahren wurde dann stark in die Substanz eingegriffen – und das mit wechselnden Restaurierungskonzepten.

1980 bis 2005 wurde der Kapellenturm etwa mit Chemikalien getränkt, die das Eindringen von Wasser hemmen. Im Grunde eine super Idee, denn der Wasseraustausch ist eine Hauptursache für Verwitterung. Stoppt man den Wassereintrag, stoppt man den Steinverfall – so der Gedanke.

Praktisch war diese als  „Hydrophobierung“ bezeichnete Methode, über Jahrzehnte als wahres Wunder gepriesene Technik jedoch zu kurz gedacht. Die Theorie, dass Wasser in einen hydrophobierten Nauturstein nur schwer eindringen kann, verliert bei einer fugenreichen Natursteinmauer an Bedeutung. Entscheidend sind neben den Steinen auch die Fugen. Und die machen am Kapellenturm Probleme.

Steinmaterial platzt teils schalenweise ab. Foto: al

Beim Bau wurden die Natursteine in Kalkmörtel gesetzt. Dieses weiche Material hielt den Jahrhunderten nicht stand. Im Zuge früherer Instandsetzungen wurden die Zwischenräume mit Zementmörtel gefüllt, was man für das neueste und beste hielt. Dass Zement für den Einsatz mit Naturstein eine viel zu hohe Festigkeit aufweist, die Materialien schlichtweg nicht kompatibel sind, ist erst eine Erkenntnis der letzten Jahre.

Wenn Sandsteine mit Zement verfugt sind, entstehen Spannungen, was ein Brechen begünstigt. Damit wird Schadensprozess eingeleitet. Denn ist wegen schlechter Fugen erst einmal das Gefüge angegriffen, kann Wasser ins Mauerwerk eindringen, wodurch die Zersetzungsdynamik erst recht Schub bekommt.

Der weiche Stein korrodiert durch Witterungseinflüsse, baut sich ab, während die Fuge standhaft bleibt. Als regelrechte „Auffangtrichter für Regenwasser“ beschreibt Architekt Ziegler diese herausklaffenden Zementfugen. Ein fatales Schadensbild, das am Turm nun vielfach entdeckt wurde.

Das Nebeneinander verschiedener Stein- und Mörtelarten stellt eine besondere Herausforderung dar. Foto: al

Hinzu kommt, dass die Umgänge an den Achteck-Geschossen wohl über Jahre undicht waren, wodurch zusätzlich erhebliche Mengen Wasser ins Mauerwerk eingedrungen sind, wie Nikolai Ziegler erklärt. Und dank der Hydrophobierung, die den Herstellern zufolge so atmungsfreundlich sein sollte wie Goretex, sich aber eher als lästige Plastik-Hülle herausstellte, kann dieses Wasser nun kaum aus dem Mauerwerk heraus.

Nach der ernüchternden Bestandsaufnahme stellte sich die Frage: Was tun? Wie nun umgehen mit diesem komplexen Schadensbild, mit diesem Nebeneinander verschiedener Restaurierungskonzepte, die, wie Architekt Ziegler vorsichtig formuliert „leider keineswegs das von den Vertretern der chemischen Industrie versprochene Langzeit-Resultat erreichten“.

Seit Kurzem ist klar, wo es langgeht: „In enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege haben wir uns für ein konservierendes Leitmodell entschieden“, erklärt Dr. Ziegler. Ziel sei der maximale Erhalt der historischen Bausubstanz, um ein möglichst authentisches Denkmal zu bewahren. Zum Austausch von Steinen soll es „nur bei Totalschaden“ kommen.

1886 wurden diese Zierelemente erneuert. Foto: al

Ansetzen müssen die Fachleute dafür paradoxerweise erneut bei den Fugen. Die werden notgedrungen entfernt. Und durch Materialien ersetzt, die mit ihren Eigenschaften in das Gefüge des jeweiligen Mauerteils passen. Zudem müssen die Fachleute die Umgänge sanieren, sodass kein weiteres Wasser eindringt.

Die Hydrophobierung bekommen die Experten leider nicht aus den Steinen heraus – zumindest nicht mit Methoden, die man verantworten könnte. Die gute Nachricht: Der wasserabweisende Effekt lässt allmählich nach. Es ist also eine Frage der Zeit, bis das Mauerwerk unter diesem Eingriff nicht mehr so leidet.

Beim Tag des offenen Deenkmals konnten sich Interessierte ganz nah am Turm umsehen. Foto: al

Im Gegensatz zu früheren massiven Eingriffen ist nun also ein behutsames, konservierendes  Vorgehen angesagt. Es geht ums langfristige, umsichtige Bewahren. Dieses Konzept untstützt, wie Architekt Ziegler erklärte, neben dem Land auch der Bund sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die zusammen mit  der Diözese der Kirchengemeinde bei diesem ehrgeizigen Instandsetzungsvorhaben zur Seite stehen.

„Den zahlreichen Maßnahmen am Kapellenturm fügen wir eine weitere Zeitschicht hinzu“, bemerkt Ziegler. Und lädt dazu ein, die Turmfassaden nach der Instandsetzung einmal in Ruhe vom Vorplatz zu begutachten und die spannende Instandhaltungs- und Restaurierungsgeschichte direkt am Objekt nachzuvollziehen.

Ziel ist, den Turm bis zur Landesgartenschau 2028 in eine herzeigbare Verfassung zu bringen, sodass er die Stadtsilhouette wieder schmücken kann. Nicht mehr als Sorgenkind, sondern als das weithin bewunderte Wahrzeichen, auf das schon so viele Generationen stolz waren und an dem sich Einheimische ebenso wie Besucher freuen können.

Scheint auf den Trubel der Stadt und die Mühen der Instandhaltung des Kapellenturms gelassen schmunzelnd zu blicken: ein Wasserspeier. Foto: al
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