Mit Zunftlaternen, Fahnen, Stadtkapelle und zahlreichen Gläubigen wird sich am Donnerstag wieder die Fronleichnamsprozession durch Rottweil bewegen. Es ist ein Anlass, bei dem der Glanz der Reichstadt-Tradition aufleuchtet. Ein Bild im Stadtmuseum zeigt den hohen Festtag in einem besonderen Licht – und führt an eine historische Konstellation heran.
Groß ist es nicht, das Ölgemälde, das sich im Raum zu den religiösen Bräuchen findet. Kleiner sogar als ein DIN A4-Blatt. Und doch hat es Ausstrahlung, vermittelt eine Aura. Aus erhöhter Perspektive schaut man auf eine Fronleichnams-Prozession in der Unteren Hauptstraße.
Wohl am Spital befindet sich ein Altar, auf den die Prozession zusteuert – mittendrin der Zelebrant mit dem Allerheiligsten unter einem Baldachin. Dessen Rot leuchtet aus der großen Menschenmenge heraus – es bildet erkennbar das symbolische Zentrum des Geschehens. Besonders effektvoll: Ein Lichtfeld ist auf diese Mitte gerichtet und lässt das Rot signalhaft aufleuchten.
Spürbar wird eine besonders festliche und andachtsvolle Aura: Da ereignet sich wirklich Bedeutungsvolles, verdeutlicht dieses kleine Gemälde. Entstanden um 1950 führt das Bild damit an allgemein an Formen der Frömmigkeit im katholisch geprägten Rottweil, aber auch die Konstellation Mitte des 20. Jahrhunderts heran. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Diktatur des „Dritten Reiches“ galt die katholische Kirche als eine der wenigen Instanzen, die den politisch-moralischen Zusammenbruch Deutschlands überstanden hatte – als „Siegerin in Trümmern“, wie es zeitgenössisch hieß.
Denn die Kirche war eine der wenigen Sphären, die sich nicht völlig dem NS-Regime unterworfen hatten. Bei allem, was in der Rückschau kritikwürdig erscheint: 1937 beispielsweise hatte die unter größter Geheimhaltung vorbereitete Enzyklika „Mit brennender Sorge“ die Repressionen des Regimes angeprangert, zudem hatten Seelsorger wie Kardinal Clemens August von Galen und der Jesuitenpater Alfred Delp Verbrechen wie die Euthanasie öffentlich verurteil und Juden geholfen – wofür Delp letztlich mit seinem Leben bezahlte.
Das Glaubensleben erfuhr nach 1945 daher einen enormen Aufschwung, zumal die Nationalsozialisten die Kirche bedrängt und auch in Rottweil eingeschränkt hatte. Vor diesem Hintergrund war Fronleichnam besonders in den Nachkriegsjahren ein in vieler Hinsicht herausgehobener Feiertag, der Identität stiftete und mit Stolz und Frömmigkeit begangen wurde.
Davon erzählt dieses kleine Gemälde. Gemalt hat es eine bemerkenswerte Frau, die in Heilbronn geborene Maria Kopp-Gössele (1907-1992) – eine Künstlerin, die in Rottweil mannigfaltige Spuren hinterlassen hat. Wie Cornelia Votteler in einem biografischen Artikel darlegt, finden sich in vielen Bürgerhäusern und im Stadtmuseum detailgetreue Blumenbilder aus der Hand Kopp-Gösseles, ebenso wie eindrucksvolle „Narrenporträts“ und wundervolle Stadtansichten, die Rottweil und seine Schätze für die Nachwelt festgehalten haben.
Ihre Ausbildung hatte Maria Kopp-Gössele zunächst bei einem freien Kunstmaler in Stuttgart. Nach Studien an der dortigen Kunstakademie und weiteren Etappen kam sie 1936 nach Rottweil. Durch die Freundschaft mit dem Kunstmaler Otto Schwarz wurde sie in die Schule der alten Maltechnik eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie der Künstlergruppe „Junger Neckar“ bei.
In Rottweil lebte Kopp-Gössele bis 1987. Sie beschrieb die Stadt als traditionsgebundenes, „ganz romantisches Plätzchen“, das sie voll und ganz ins Herz geschlossen habe. Diese Liebe wird in ihrem von Respekt und Sensibilität für die Situation und die Symbolik getragenen Fronleichnams-Gemälde deutlich spürbar. Die Intensität der Andacht und das himmlische Licht, in das sie Baldachin und Monstranz hüllt, spricht da eine klare Sprache.
Info: Das Wort „Fronleichnam“ leitet sich vom mittelhochdeutschen „vrône lîcham“, ab, was „des Herren Leib“ bedeutet. Die offizielle liturgische Bezeichnung lautet „Hochfest des Leibes und des Blutes Christi“.
An diesem Tag feiert die katholische Christenheit die Einsetzung der Eucharistie, also der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu. Diese fand den biblischen Berichten zufolge beim letzten Abendmahl an Gründonnerstag statt und müsste eigentlich auch dann als Zeichen der besonderen Nähe Gottes gefeiert werden. Die Stille der Karwoche passt dazu aber nicht. Darum wird das Ereignis zehn Tage nach Pfingsten an Fronleichnam gewissermaßen nachgefeiert.
Papst Urban führte das Fronleichnamsfest 1264 für die gesamte Kirche ein. Die erste Prozession in Deutschland zog im Jahr 1279 durch Köln. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich Fronleichnams-Prozessionen zu Massenereignissen. Sie waren wichtige symbolische Akte eines nach der Säkularisation wieder erstarkenden Katholizismus. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden Fronleichnams-Prozessionen immer wieder verboten. Das Regime betrachtete sie teils als widerständige Handlungen, und sah in ihnen ein Unterlaufen des eigenen Herrschaftsanspruchs.