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    Brave Engel und ewige Narretei

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    Sie gehören zu den charmanten, verspielteren Seiten des sonst eher gotisch-ehrwürdigen Heilig Kreuz-Münsters: die bildkräftigen Stuhlwangen an den Kirchenbänken. Zum 900-Jahr-Jubiläum der Rottweiler Hauptkirche ist ihnen nun ein Buch gewidmet. Am 30. September wird es im Münster vorgestellt.

    Vom zipfelbemützten Hahnreiter über brave Engelein bis zum Selbstbildnis von Bildhauer German Burry: Sämtliche Stuhlwangen, die man im Münster entdecken kann, findet man in dieser großformatigen Dokumentation, deren Texte Alt-Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht verfasst hat und deren Fotos von Sabina Kratt stammen, abgebildet – komplett sowie mit Aufnahmen von Details.

    Großer Auftritt für die Stuhlwangen: Der eben erschienene Band dokumentiert sämtliche Schnitzwerke ganz und mit Details. Foto: al

    97 Seitenteile von Kirchenbänken sind es insgesamt. Praktischerweise werden sie über einen Plan des Münsters leicht auffindbar gemacht. Hinzu kommen jene Gestühlswangen, die bei der jüngsten Innenrenovierung 2017 ins Magazin wanderten. Dafür mag es gute Gründe geben. Ein Verlust beim Bildrepertoire ist freilich nicht zu verkennen – ein munter dreinschauender Männerkopf mit Rüschenkragen oder ein elegant eingepasstes Häschen, die nun ungesehen in Regalen lagern, zierten jedenfalls den Kirchenraum lange würdig.

    Lebensnahe Details: Auf dieser Stuhlwange macht ein Landmann Pause von der Arbeit und stärkt sich. Foto: al

    Aus den kundigen Texten Winfried Hechts erfährt man, dass die Stuhlwangen des Münsters überwiegend nach dem großen Stadtbrand von 1696 geschaffen wurden, der auch Heilig Kreuz stark getroffen gezogen hatte. Im März 1703 erteilte der Rat den Auftrag zur Neuschöpfung des Gestühls dem jüngeren Hans Kasper Scherlin, einem Holdbildschnitzer, der auch als Orgelmeister ausgebildet war. Beteiligt waren freilich noch weitere Meister, vermutlich Scherlins Bruder Johannes sowie Johann Liebhart und Georg Boss.

    Musizierender Engel im Nordschiff: Himmelsboten mit Instrumenten zählen zu den häufigeren Motiven. Foto: al

    Ein weiterer Könner, der zum Gesamtkunstwerk der Münster-Stuhlwangen beitrug, war der Rottweiler Holz- und Steinbildhauer German Burry (1853-1933). Für die heutige Herz-Jesu-Kapelle schuf er, in enger Anlehnung an den Stil der vorhandenen Schnitzereien, vor dem Ersten Weltkrieg 47 Gestühlswangen und restaurierte den Altbestand sachgerecht.

    Weil der Narr den Nachwuchs mit Narretei füttert, bleibt diese ewig in der Welt – so eine Deutung dieser wohl berühmtesten Stuhlwangen-Darstellung in Heilig Kreuz. Foto: al

    Winfried Hecht erläutert die Bildwelten der Stuhlwangen aufschlussreich. Man erfährt, was es mit der Darstellung eines Weinstocks, einer Fratze oder von Akantus-Blättern, trivial als „Bärenklau“ bezeichnet, auf sich hat – und dass dieses in der Architektur an Säulen, Decken und anderen Gebäudeteilen sowie als Rankendekor in der Buchmalerei häufige Zierelement auch in Rottweiler Erkern zu finden ist. Gespannt liest man die Deutungsangebote zu den heiter-komödiantischen Motiven, etwa dem scheinbar auf einem Bein hüpfenden großnasigen Zwerg, dem mit einem windgeblähten Banner auftrumpfenden Hasen oder dem berühmten Narren, der den Nachwuchs mit neuer Narretei füttert, wodurch diese nie endet – eine tiefe Einsicht in das Wesen der Menschen. Erhellend sind auch Hechts Verknüpfungen mit Handwerkstraditionen und den Zünften in Rottweil.

    Heilig Kreuz als sakraler Ort war auf das Engste mit dem politischen, sozialen und kulturellen Leben in Rottweil verbunden – worauf auch der Stadtadler an einer Gestühlswange hinweist. Foto: al

    Eine wertvolle Ergänzung bietet der Band mit Seitenblicken zu anderen kunstvoll in Holz gearbeiteten Gestühlen, etwa in der Predigerkirche, im Rottenmünster, der Ruhe-Christi- und der Kapellenkirche, aber auch der Wallfahrtskirche auf dem Palmbühl. Im Vergleich mit anderen Gestühlen wirkt die 2017 gewählte Lösung, die Stuhlwangen des Münsters von den modernen Bänken mit ihren unergonomisch waagrechten Knieelementen farblich und funktional hart abzukoppeln, wenig glücklich.

    Man blättert meist mit Freude in der reich illustrierten Dokumentation. Außer, wenn man auf Fotos stößt, denen es trotz geduldig stillstehender Motive im entscheidenden Bildbereich an Schärfe fehlt oder die Gestaltung allzu freihändig wirkt. Beides bewegt sich nicht ganz auf der Höhe des schönen Themas. Dennoch ist der Band im Ganzen sehr verdienstvoll und für alle, die sich für das Münster und die Rottweiler Kulturgeschichte interessieren, ein Gewinn.

    Recht zufrieden blickt diese Frau mit Radhaube von ihrer Gestühlswange ins Münster. Foto: al

    Info: Der in Neckartal-Verlag erschienene Band „Stuhlwangen im Heilig Kreuz-Münster und weiteren Rottweiler Kirchen“ (154 Seiten, ISBN 978-3-947459-24-7), kostet 32 Euro. Zur Buchvorstellung am 30. September, 19 Uhr, im Münster ist bis 28. September eine Anmeldung in der Buchhandlung Klein, Hauptstr. 14, erforderlich. Tel. 0741-6007.

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    Sie gehören zu den charmanten, verspielteren Seiten des sonst eher gotisch-ehrwürdigen Heilig Kreuz-Münsters: die bildkräftigen Stuhlwangen an den Kirchenbänken. Zum 900-Jahr-Jubiläum der Rottweiler Hauptkirche ist ihnen nun ein Buch gewidmet. Am 30. September wird es im Münster vorgestellt.

    Vom zipfelbemützten Hahnreiter über brave Engelein bis zum Selbstbildnis von Bildhauer German Burry: Sämtliche Stuhlwangen, die man im Münster entdecken kann, findet man in dieser großformatigen Dokumentation, deren Texte Alt-Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht verfasst hat und deren Fotos von Sabina Kratt stammen, abgebildet – komplett sowie mit Aufnahmen von Details.

    Großer Auftritt für die Stuhlwangen: Der eben erschienene Band dokumentiert sämtliche Schnitzwerke ganz und mit Details. Foto: al

    97 Seitenteile von Kirchenbänken sind es insgesamt. Praktischerweise werden sie über einen Plan des Münsters leicht auffindbar gemacht. Hinzu kommen jene Gestühlswangen, die bei der jüngsten Innenrenovierung 2017 ins Magazin wanderten. Dafür mag es gute Gründe geben. Ein Verlust beim Bildrepertoire ist freilich nicht zu verkennen – ein munter dreinschauender Männerkopf mit Rüschenkragen oder ein elegant eingepasstes Häschen, die nun ungesehen in Regalen lagern, zierten jedenfalls den Kirchenraum lange würdig.

    Lebensnahe Details: Auf dieser Stuhlwange macht ein Landmann Pause von der Arbeit und stärkt sich. Foto: al

    Aus den kundigen Texten Winfried Hechts erfährt man, dass die Stuhlwangen des Münsters überwiegend nach dem großen Stadtbrand von 1696 geschaffen wurden, der auch Heilig Kreuz stark getroffen gezogen hatte. Im März 1703 erteilte der Rat den Auftrag zur Neuschöpfung des Gestühls dem jüngeren Hans Kasper Scherlin, einem Holdbildschnitzer, der auch als Orgelmeister ausgebildet war. Beteiligt waren freilich noch weitere Meister, vermutlich Scherlins Bruder Johannes sowie Johann Liebhart und Georg Boss.

    Musizierender Engel im Nordschiff: Himmelsboten mit Instrumenten zählen zu den häufigeren Motiven. Foto: al

    Ein weiterer Könner, der zum Gesamtkunstwerk der Münster-Stuhlwangen beitrug, war der Rottweiler Holz- und Steinbildhauer German Burry (1853-1933). Für die heutige Herz-Jesu-Kapelle schuf er, in enger Anlehnung an den Stil der vorhandenen Schnitzereien, vor dem Ersten Weltkrieg 47 Gestühlswangen und restaurierte den Altbestand sachgerecht.

    Weil der Narr den Nachwuchs mit Narretei füttert, bleibt diese ewig in der Welt – so eine Deutung dieser wohl berühmtesten Stuhlwangen-Darstellung in Heilig Kreuz. Foto: al

    Winfried Hecht erläutert die Bildwelten der Stuhlwangen aufschlussreich. Man erfährt, was es mit der Darstellung eines Weinstocks, einer Fratze oder von Akantus-Blättern, trivial als „Bärenklau“ bezeichnet, auf sich hat – und dass dieses in der Architektur an Säulen, Decken und anderen Gebäudeteilen sowie als Rankendekor in der Buchmalerei häufige Zierelement auch in Rottweiler Erkern zu finden ist. Gespannt liest man die Deutungsangebote zu den heiter-komödiantischen Motiven, etwa dem scheinbar auf einem Bein hüpfenden großnasigen Zwerg, dem mit einem windgeblähten Banner auftrumpfenden Hasen oder dem berühmten Narren, der den Nachwuchs mit neuer Narretei füttert, wodurch diese nie endet – eine tiefe Einsicht in das Wesen der Menschen. Erhellend sind auch Hechts Verknüpfungen mit Handwerkstraditionen und den Zünften in Rottweil.

    Heilig Kreuz als sakraler Ort war auf das Engste mit dem politischen, sozialen und kulturellen Leben in Rottweil verbunden – worauf auch der Stadtadler an einer Gestühlswange hinweist. Foto: al

    Eine wertvolle Ergänzung bietet der Band mit Seitenblicken zu anderen kunstvoll in Holz gearbeiteten Gestühlen, etwa in der Predigerkirche, im Rottenmünster, der Ruhe-Christi- und der Kapellenkirche, aber auch der Wallfahrtskirche auf dem Palmbühl. Im Vergleich mit anderen Gestühlen wirkt die 2017 gewählte Lösung, die Stuhlwangen des Münsters von den modernen Bänken mit ihren unergonomisch waagrechten Knieelementen farblich und funktional hart abzukoppeln, wenig glücklich.

    Man blättert meist mit Freude in der reich illustrierten Dokumentation. Außer, wenn man auf Fotos stößt, denen es trotz geduldig stillstehender Motive im entscheidenden Bildbereich an Schärfe fehlt oder die Gestaltung allzu freihändig wirkt. Beides bewegt sich nicht ganz auf der Höhe des schönen Themas. Dennoch ist der Band im Ganzen sehr verdienstvoll und für alle, die sich für das Münster und die Rottweiler Kulturgeschichte interessieren, ein Gewinn.

    Recht zufrieden blickt diese Frau mit Radhaube von ihrer Gestühlswange ins Münster. Foto: al

    Info: Der in Neckartal-Verlag erschienene Band „Stuhlwangen im Heilig Kreuz-Münster und weiteren Rottweiler Kirchen“ (154 Seiten, ISBN 978-3-947459-24-7), kostet 32 Euro. Zur Buchvorstellung am 30. September, 19 Uhr, im Münster ist bis 28. September eine Anmeldung in der Buchhandlung Klein, Hauptstr. 14, erforderlich. Tel. 0741-6007.

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