Das Karfreitags-Geschehen mit dem Leiden und Sterben Christi, wie es die Evangelien berichten, wird in Kunstwerken oft aufgegriffen – auch in Rottweil. Eine kaum beachtete Darstellung, die jedoch einen näheren Blick lohnt, findet sich im Stadtmuseum: Eine Glasscheibe, die das erschütternde Drama zart vergegenwärtigt.
Nicht viel größer als ein Blatt Papier ist das Glasgemälde, das an einem Fenster im ersten Geschoss des Stadtmuseums hängt. Es ist Zeugnis einer Kunst, die seit dem Hochmittelalter immer weiter verfeinert wurde: Durchscheinendes Licht verleiht Malereien auf Glas eine sonst unerreichbare Leuchtkraft. Zudem erhalten Motive durch starke Helligkeitsunterschiede plastische Intensität. Das machte Glasmalereien zum Staunen erregenden Kino früherer Jahrhunderte.
Sakrale Räume verdanken solchen Effekten einen Gutteil ihrer Atmosphäre – als Vorschein des Himmels sozusagen, auf den sie verweisen. Aber auch im Kleinen funktioniert das Zusammenspiel: einerseits mit Licht „zu malen“ und andererseits das durchströmende Licht gleichsam in leuchtende Farbe zu verwandeln.
Bei der Kreuzigungs-Glasscheibe im Stadtmuseum muss man nahe heran gehen, damit sich die Wirkung entfaltet. Wann und warum sie entstand, ist nicht bekannt. Die Forschung hat sie – anders als die repräsentativen Glasmalereien im Alten Rathaus – noch nicht genauer beachtet.
Der Stil erinnert an altdeutsche Malerei. Also die in Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissance entstandene Blüte einer neuen, plastischen Ausdruckskraft ab etwa dem Jahr 1500, die mit Namen wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach oder Albrecht Altdorfer verbunden ist. Martina Meyr, Leiterin der Städtischen Museen, ordnet die Glasscheibe dem 16./17. Jahrhundert zu – eine Zeit, in der auch in Rottweil kunstfertige Glaser tätig waren, wie etwa Winfried Hecht in seinen Forschungen dargelegt hat.
Typisch für diese Stilphase ist neben einer genauen Erfassung von Körpern der Anspruch, überzeugend in die Raumtiefe vorzudringen. Dieser Impuls ist auf der Kreuzigungs-Glasscheibe stark zu spüren – er prägt den klassischen, fast schulmäßigen Bildaufbau.
Zentral in jeder Hinsicht ist das Kreuz. Es bildet eine senkrechte Mittelachse und durchmisst die Darstellung in seiner gesamten Höhe sowie fast der ganzen Breite. Zugleich markiert es die vorderste Bildebene.
Zu ihr gehört auch die untere Bildhälfte: Sieben Personen, die sich um den gekreuzigten Jesus von Nazareth gruppieren. Auf welches Evangelium sich die Szene bezieht, ist schwer festzumachen. Am ehesten passt die Darstellung wohl zum Bericht nach Johannes, der davon spricht, bei Jesu Kreuz seien „seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala“ gestanden. Dies ließe sich der Frauen-Gruppe links zuordnen.
Wie auch immer man die Darstellung biblisch bezieht: Erkennbar ist, dass der Maler große Sorgfalt auf die Personen verwandt hat. Die kunstvoll fallenden, üppigen Gewänder waren ihm einigen Aufwand wert. Hier konnte er zeigen, was er handwerklich zu bieten hat und zum Beispiel mit Abdunkelung Tiefe und Körperlichkeit herausmodellieren.
Nicht weniger wichtig waren ihm Blickbeziehungen, Körpersprache und Gesten der Personen. Allein wenn man den Linien folgt, die Finger und Augen andeuten, ergibt sich ein spannendes Bedeutungsgeflecht. Davon ganz abgesehen sind die Gefühlslagen, die sich mitteilen, erschütternd – etwa die Aufgewühltheit der Person, die das Kreuz umarmt, vor allem freilich die niedergedrückte Trauer der Frau links im Vordergrund, die wohl als Maria zu lesen ist.
Was für einen Gegensatz hierzu eröffnet jedoch die obere Bildhälfte: Hier ist der Körper des Gekreuzigten das bestimmende Bildmotiv. Er hat die Augen geschlossen, scheint also bereits verstorben zu sein. Allerdings ist seine Brust noch nicht durchbohrt. Insgesamt wirkt
Jesus bemerkenswert friedvoll, jedenfalls nicht geschunden oder zerquält. Das passt zur Harmonie im Bildfeld hinter dem Gekreuzigten: Hier öffnet sich eine Landschaft mit Siedlungen, die in den Raum hineinführen – bis über die Horizontlinie und in den Himmel hinein.
Vielleicht lässt sich dies als eine Botschaft dieser kunstfertigen Glasmalerei verstehen: Während sich unten das Leid abspielt, Erschütterung, Hilflosigkeit und Trauer, ist in der oberen Bildhälfte aller irdische Schmerz und alle Schwere schon überwunden.
Zwar deutet sich Grablege, Totenruhe und Auferweckung noch nicht an. In der oberen Bildhälfte allerdings scheint dieser gepeinigte Mensch bereits erlöst. Der unbekannte Glasmaler, der das kleine Kunstwerk im Stadtmuseum geschaffen hat, stellt den Tod nicht als etwas Angst einflößendes dar, sondern als Verklärung in ein leuchtendes Blau der Unendlichkeit hinein. Hier ist Christus am Kreuz schon halb im Himmel.