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    NRWZ.deRottweil„Ich war ein ziemlicher Lausbub“

    Erinnerungen von Dr. Winfried Hecht: Kripple, Christbäume und Nikolaus-Besuche

    „Ich war ein ziemlicher Lausbub“

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    Vor genau zehn Jahren hat der am 17. Dezember 2024 verstorbene langjährige Rottweiler Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht im Gespräch mit der NRWZ berichtet, was er ganz persönlich mit den Weihnachtstagen verbindet. Wir wollen diese besondere Persönlichkeit würdigen und veröffentlichen den damals gedruckten Artikel hier nochmals:

    „Meine frühesten Erinnerungen an Weihnachten reichen in das letzte Kriegsjahr zurück“, berichtet Dr. Winfried Hecht. Seine Familie war 1944 in Stuttgart ausgebombt worden. Der damals Dreijährige kam deshalb in die Heimatstadt der Mutter, nach Rottweil. Die ersten Eindrücke von Weihnachten und der neuen Heimat sind daher eng verbunden.

    Vor allem einen Christbaum hat Hecht vor Augen, wenn er sich in diese Zeit zurückversetzt. Eingeprägt hat sich das Bild eines Kripples im Wurzelwerk – und das einer Kette mit Glöckchen, die zum Schmuck oben in den Ästen hing. „Die hat mir unheimlich imponiert und ich  wollte wissen, ob sie klingeln kann“, schildert er schmunzelnd.

    Vielleicht bereits vom Forscherdrang angetrieben, den er später als Historiker an den Tag legen sollte, wollte er der Sache auf den Grund gehen. Als sich dazu Gelegenheit bot, kletterte der Dreikäsehoch deshalb auf einen Stuhl um das Objekt genauer untersuchen zu können – woraufhin er prompt in den Lichterbaum hineinhagelte. Kurioserweise sind die erzieherischen Konsequenzen weniger im Gedächtnis geblieben als die Episode selbst.

    Seiner Faszination für die Weihnachtszeit hat das gescheiterte Experiment keinen Abbruch getan. Einer Rottweiler Tradition aus dem 19. Jahrhundert folgend, wo ausgreifende Krippen in zig Bürgerhäusern standen und von vielen bestaunt wurden, ließ sich auch Winfried Hecht von Betlehem-Szenen fesseln – besonders derjenigen im Münster.

    Die Vorgängerkrippe der heutigen Weihnachtsdarstellung, aufgestellt auf der Nordseite, hatte es ihm derart angetan, dass seine Mutter versuchte, bei den zahlreichen Gottesdienst mit dem Jungen möglichst nahe an die biblische Szenerie heranzukommen. Gebannt folgte er der schrittweisen Entwicklung der Bilder-Erzählung, die der Dramaturgie der Festtage folgte und zum Beispiel das Herannahen der Könige aus dem Morgenland nachvollzog. „Weil schon der Esel eindrucksvoll groß war, habe ich sehnsüchtig auf den Elefant im neuen Jahr gewartet“, erzählt Hecht. So groß wie erhofft, fiel der Dickhäuter dann aber leider doch nicht aus.

    Keinesfalls enttäuscht hat Hecht die kulinarische Seite der Festtage. „Da meine Mutter Hauswirtschaftslehrerin war,  hat sie es selbst in Notzeiten geschafft, Brötle zu backen“, erinnert er sich dankbar. Die Freude über derlei Genüsse brach sich gar in einem frühen Berufswunsch bahn: „Eine Zeit lang wollte ich deshalb Zuckerbäcker werden“, gesteht Hecht. Wenn es ging, habe er sich bereits am Teig gelabt, erzählt er, und fügt lachend hinzu: „Das hat mir aber nicht immer gutgetan“.

    Eng verknüpft war und ist die Weihnachtszeit für den späteren Stadtarchivar vor allem mit Musik. Sie war nicht nur Teil der vielen Gottesdienste, die zur engmaschigen, imposanten Dramaturgie der Festtage gehörten und die er als Ministrant intensiv miterlebte. Bereits im Advent wurde im elterlichen Haus viel gesungen, wobei Winfried Hecht, der Flöte und Geige gelernt hatte, die Aufgabe des Begleitens zufiel. Auch heute hört er mit Begeisterung Bachs Weihnachtsoratorium. Und wenn er die Chance bekäme, mit einer Zeitmaschine in eine längst vergangene Epoche einzutauchen, würde er sich vielleicht einmal eine halbe Stunde in die Ära des Thomaskantors versetzen lassen – oder bei dessen italienischen Kollegen Antonio Vivaldi oder Arcangelo Corelli hineinlauschen, deren Musik er ebenfalls sehr schätzt.

    Dass sich Feste und Traditionen wie vieles andere im Laufe der Zeit wandeln, gehört für den Historiker zu den geschichtlichen Grundtatsachen. Gleichwohl bleibt die Frage, wie man sich zum überkommenen Erbe stellt und was man als bewahrenswert erachtet. Bezogen auf den Nikolaus-Brauch beobachtete Winfried Hecht Anfang der 1990er Jahre, dass der Weihnachtsmann anglo-amerikanischer Prägung – von Charles Dickens in seiner Weihnachtsgeschichte als bräucheverachtender Scrooge zum Anti-Nikolaus gesteigert – der Figur des Bischofs aus Myra zusehends das Wasser abgrub. „Gegen den Weihnachtsmann habe ich nichts“, sagt Hecht. „Aber er gefällt mir nicht und das ist einfach nicht Rottweil“, fügt er hinzu.

    Deshalb schlüpft er seither selbst in Nikolaus-Gewänder und ermahnt Kinder, artig aufzuräumen, brav ins Bett zu gehen und Hausaufgaben zu machen. Dabei hat er für deren Verhalten Verständnis: „Ich wollte auch nie Hausaufgaben machen“, gesteht Hecht. Dass zunächst Willi Klussmann und dann Karl Lambrecht den knarzigen Knecht Ruprecht gaben und er mit beiden am Dreikönigstag auch zum Abstauben ging, spannt einen kuriosen Bogen zwischen den Bräuchen. Mittlerweile sind Uli Hezinger und Andreas Göggel in die Ruprechts-Fußstapfen getreten.

    In eigenen Kindertagen hatte Winfried Hecht zum Nikolaus ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits flößte ihm der bärtige Herr Respekt ein, andererseits hatte er auch keine allzu große Lust, sich maßregeln zu lassen. Denn „ich muss sagen, ich war ein ziemlicher Lausbub, der allerhand angestellt hat“, gibt er heute freimütig zu. Er musste sich jedoch nicht nur ermahnen lassen, die Schuhe gewissenhaft zu putzen, nicht frech zu großen Leuten zu sein und die Großmutter (Jahrgang 1872) nicht im Keller zu erschrecken.

    Darüber hinaus fürchtete er, strafhalber im großen Sack des bärtigen Besuchers mitgenommen zu werden – schließlich hing an dem schon ein Schuh, der vermuten ließ, dass einen anderen Jungen dieses Schicksal bereits ereilt hatte. „Deshalb habe ich mir vorab eine Nagelschere besorgt und in die Hosentasche gesteckt“, erzählt Hecht mit spitzbübischem Unterton. Im Fall der Fälle hätte er sich – frei nach Wilhelm Busch – damit selber aus dem Sack befreien können.

    Eines steht für den ehemaligen Stadtarchivar daher fest: Bräuche sollten Kindern keine Angst einflößen. Wohl aber sind sie eine enorme Chance, Kinder mit Traditionen und einem über Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Erbe vertraut zu machen, das man sich immer auch anverwandeln muss und selber gestalten kann, das aber die Kraft hat, Identität zu stiften und Heimat zu geben.

    Vielleicht ist es sogar noch viel einfacher, ja elementarer. Hecht bringt die Antwort auf die Frage, wozu wir Bräche eigentlich brauchen, auf die kurze Formel: „Weil Bräuche guttun“. Sie halten Genüsse bereit, heben aus der Routinen des Alltags heraus, rufen Erinnerungen wach und führen sinnlich heran an tiefere Schichten von Sinnstiftung.

    Vor diesem Hintergrund hält Winfried Hecht vor allem die Tradition der Krippen für besonders wertvoll. „Sie ermöglichen es, den ideellen Kern des Ganzen visuell zur Kenntnis nehmen“, betont er. Damit eröffnen sie einen Zugang zu einer reichen christlichen Symbolwelt und schlicht zu einem Wissen, das immer weniger selbstverständlich ist. „Ich halte es für wichtig, das anzubieten“, appelliert Hecht. Das Museum allein sei zu wenig. „Diese Traditionen sollten im familiären Umfeld lebig gemacht werden – wie beim Herrenkramerschen Kripple.“

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    Vor genau zehn Jahren hat der am 17. Dezember 2024 verstorbene langjährige Rottweiler Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht im Gespräch mit der NRWZ berichtet, was er ganz persönlich mit den Weihnachtstagen verbindet. Wir wollen diese besondere Persönlichkeit würdigen und veröffentlichen den damals gedruckten Artikel hier nochmals:

    „Meine frühesten Erinnerungen an Weihnachten reichen in das letzte Kriegsjahr zurück“, berichtet Dr. Winfried Hecht. Seine Familie war 1944 in Stuttgart ausgebombt worden. Der damals Dreijährige kam deshalb in die Heimatstadt der Mutter, nach Rottweil. Die ersten Eindrücke von Weihnachten und der neuen Heimat sind daher eng verbunden.

    Vor allem einen Christbaum hat Hecht vor Augen, wenn er sich in diese Zeit zurückversetzt. Eingeprägt hat sich das Bild eines Kripples im Wurzelwerk – und das einer Kette mit Glöckchen, die zum Schmuck oben in den Ästen hing. „Die hat mir unheimlich imponiert und ich  wollte wissen, ob sie klingeln kann“, schildert er schmunzelnd.

    Vielleicht bereits vom Forscherdrang angetrieben, den er später als Historiker an den Tag legen sollte, wollte er der Sache auf den Grund gehen. Als sich dazu Gelegenheit bot, kletterte der Dreikäsehoch deshalb auf einen Stuhl um das Objekt genauer untersuchen zu können – woraufhin er prompt in den Lichterbaum hineinhagelte. Kurioserweise sind die erzieherischen Konsequenzen weniger im Gedächtnis geblieben als die Episode selbst.

    Seiner Faszination für die Weihnachtszeit hat das gescheiterte Experiment keinen Abbruch getan. Einer Rottweiler Tradition aus dem 19. Jahrhundert folgend, wo ausgreifende Krippen in zig Bürgerhäusern standen und von vielen bestaunt wurden, ließ sich auch Winfried Hecht von Betlehem-Szenen fesseln – besonders derjenigen im Münster.

    Die Vorgängerkrippe der heutigen Weihnachtsdarstellung, aufgestellt auf der Nordseite, hatte es ihm derart angetan, dass seine Mutter versuchte, bei den zahlreichen Gottesdienst mit dem Jungen möglichst nahe an die biblische Szenerie heranzukommen. Gebannt folgte er der schrittweisen Entwicklung der Bilder-Erzählung, die der Dramaturgie der Festtage folgte und zum Beispiel das Herannahen der Könige aus dem Morgenland nachvollzog. „Weil schon der Esel eindrucksvoll groß war, habe ich sehnsüchtig auf den Elefant im neuen Jahr gewartet“, erzählt Hecht. So groß wie erhofft, fiel der Dickhäuter dann aber leider doch nicht aus.

    Keinesfalls enttäuscht hat Hecht die kulinarische Seite der Festtage. „Da meine Mutter Hauswirtschaftslehrerin war,  hat sie es selbst in Notzeiten geschafft, Brötle zu backen“, erinnert er sich dankbar. Die Freude über derlei Genüsse brach sich gar in einem frühen Berufswunsch bahn: „Eine Zeit lang wollte ich deshalb Zuckerbäcker werden“, gesteht Hecht. Wenn es ging, habe er sich bereits am Teig gelabt, erzählt er, und fügt lachend hinzu: „Das hat mir aber nicht immer gutgetan“.

    Eng verknüpft war und ist die Weihnachtszeit für den späteren Stadtarchivar vor allem mit Musik. Sie war nicht nur Teil der vielen Gottesdienste, die zur engmaschigen, imposanten Dramaturgie der Festtage gehörten und die er als Ministrant intensiv miterlebte. Bereits im Advent wurde im elterlichen Haus viel gesungen, wobei Winfried Hecht, der Flöte und Geige gelernt hatte, die Aufgabe des Begleitens zufiel. Auch heute hört er mit Begeisterung Bachs Weihnachtsoratorium. Und wenn er die Chance bekäme, mit einer Zeitmaschine in eine längst vergangene Epoche einzutauchen, würde er sich vielleicht einmal eine halbe Stunde in die Ära des Thomaskantors versetzen lassen – oder bei dessen italienischen Kollegen Antonio Vivaldi oder Arcangelo Corelli hineinlauschen, deren Musik er ebenfalls sehr schätzt.

    Dass sich Feste und Traditionen wie vieles andere im Laufe der Zeit wandeln, gehört für den Historiker zu den geschichtlichen Grundtatsachen. Gleichwohl bleibt die Frage, wie man sich zum überkommenen Erbe stellt und was man als bewahrenswert erachtet. Bezogen auf den Nikolaus-Brauch beobachtete Winfried Hecht Anfang der 1990er Jahre, dass der Weihnachtsmann anglo-amerikanischer Prägung – von Charles Dickens in seiner Weihnachtsgeschichte als bräucheverachtender Scrooge zum Anti-Nikolaus gesteigert – der Figur des Bischofs aus Myra zusehends das Wasser abgrub. „Gegen den Weihnachtsmann habe ich nichts“, sagt Hecht. „Aber er gefällt mir nicht und das ist einfach nicht Rottweil“, fügt er hinzu.

    Deshalb schlüpft er seither selbst in Nikolaus-Gewänder und ermahnt Kinder, artig aufzuräumen, brav ins Bett zu gehen und Hausaufgaben zu machen. Dabei hat er für deren Verhalten Verständnis: „Ich wollte auch nie Hausaufgaben machen“, gesteht Hecht. Dass zunächst Willi Klussmann und dann Karl Lambrecht den knarzigen Knecht Ruprecht gaben und er mit beiden am Dreikönigstag auch zum Abstauben ging, spannt einen kuriosen Bogen zwischen den Bräuchen. Mittlerweile sind Uli Hezinger und Andreas Göggel in die Ruprechts-Fußstapfen getreten.

    In eigenen Kindertagen hatte Winfried Hecht zum Nikolaus ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits flößte ihm der bärtige Herr Respekt ein, andererseits hatte er auch keine allzu große Lust, sich maßregeln zu lassen. Denn „ich muss sagen, ich war ein ziemlicher Lausbub, der allerhand angestellt hat“, gibt er heute freimütig zu. Er musste sich jedoch nicht nur ermahnen lassen, die Schuhe gewissenhaft zu putzen, nicht frech zu großen Leuten zu sein und die Großmutter (Jahrgang 1872) nicht im Keller zu erschrecken.

    Darüber hinaus fürchtete er, strafhalber im großen Sack des bärtigen Besuchers mitgenommen zu werden – schließlich hing an dem schon ein Schuh, der vermuten ließ, dass einen anderen Jungen dieses Schicksal bereits ereilt hatte. „Deshalb habe ich mir vorab eine Nagelschere besorgt und in die Hosentasche gesteckt“, erzählt Hecht mit spitzbübischem Unterton. Im Fall der Fälle hätte er sich – frei nach Wilhelm Busch – damit selber aus dem Sack befreien können.

    Eines steht für den ehemaligen Stadtarchivar daher fest: Bräuche sollten Kindern keine Angst einflößen. Wohl aber sind sie eine enorme Chance, Kinder mit Traditionen und einem über Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Erbe vertraut zu machen, das man sich immer auch anverwandeln muss und selber gestalten kann, das aber die Kraft hat, Identität zu stiften und Heimat zu geben.

    Vielleicht ist es sogar noch viel einfacher, ja elementarer. Hecht bringt die Antwort auf die Frage, wozu wir Bräche eigentlich brauchen, auf die kurze Formel: „Weil Bräuche guttun“. Sie halten Genüsse bereit, heben aus der Routinen des Alltags heraus, rufen Erinnerungen wach und führen sinnlich heran an tiefere Schichten von Sinnstiftung.

    Vor diesem Hintergrund hält Winfried Hecht vor allem die Tradition der Krippen für besonders wertvoll. „Sie ermöglichen es, den ideellen Kern des Ganzen visuell zur Kenntnis nehmen“, betont er. Damit eröffnen sie einen Zugang zu einer reichen christlichen Symbolwelt und schlicht zu einem Wissen, das immer weniger selbstverständlich ist. „Ich halte es für wichtig, das anzubieten“, appelliert Hecht. Das Museum allein sei zu wenig. „Diese Traditionen sollten im familiären Umfeld lebig gemacht werden – wie beim Herrenkramerschen Kripple.“

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