Bei der Abschiebung eines jungen Mannes aus Guinea ist es in einer Montagnacht vor Ostern in einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Donaueschingen zu tumultartigen Szenen gekommen. Eilig hinzu gerufene Streifenpolizisten sahen sich plötzlich einem wütenden Mob gegenüber. Die erste und letzte Nacht, in der die Beamten überrascht wurden. Schon in der darauf folgenden zeigten sie sich vorbereitet. Der junge Mann aus Guinea aber, der ist in jener Nacht am Ende gar nicht abgeschoben worden.
Zunächst habe sich der 23-jährige Schwarzafrikaner, um dessen Abschiebung die Aufregung entstanden war, sehr kooperativ gezeigt. Das notiert der Pressebericht der Polizei. In Begleitung von Beamten habe er widerstandslos das Gebäude der Donaueschinger Asylunterkunft in der Friedhofstraße verlassen. Es schien eine Abschiebung wie schon viele zuvor zu werden.
Dann aber rotteten sich nach und nach immer mehr der im Haus wohnenden Flüchtlinge zusammen, so die Polizei. Den Beamten sei es dann mit Unterstützung durch den Sicherheitsdienst vor Ort gelungen, den 23-Jährigen nach draußen zu bringen. Im Treppenhaus seien die aufgebrachten Hausbewohner den Einsatzkräften hinterher gelaufen. Sie konnten von der Polizei mit Diensthunden und vom Sicherheitspersonal zurückgehalten werden.
Plötzlich der Tumult: Als der Streifenwagen, in dem der junge Mann saß, wegfuhr, wurden Flaschen und andere Gegenstände in Richtung der Einsatzkräfte geworfen, notiert der Polizeibericht weiter. Anschließend habe sich die Gruppe zusammen gerottet und sich rasch in Richtung Haupteingang bewegt.
Schließlich drohte der Mob, richtig Randale zu machen. Teilweise hatten sich die Flüchtlinge mit Steinen und Möbelstücken ausgerüstet, mit denen sie die Einsatzkräfte bewarfen. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde von einem Stein getroffen, blieb aber unverletzt.
„Mit beherztem Eingreifen und klaren Ansagen konnte die aufgebrachte Menge nach und nach beruhigt werden, so dass kurz vor Mitternacht wieder Ruhe einkehrte”, so die Polizei. Verletzt wurde niemand, Sachschaden entstand nicht.
Was hier mit „beherztem Eingreifen und klaren Ansagen” beschrieben wird, waren auch einzelne Festnahmen. Das bestätigt Michael Aschenbrenner, der Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Tuttlingen. Seine Pressestelle sei in einem laufenden Verfahren nicht unmittelbar in die Ermittlungen eingebunden. „Insofern wissen wir natürlich nicht alle Details”, so Aschenbrenner. „Fest steht jedoch, dass die Rädelsführer ermittelt und auch mehrere Haftbefehle erlassen wurden”, sagt der Polizeisprecher.
Sechs Rädelsführer sitzen in Haft
Am Mittwoch vermelden Polizei und Staatsanwaltschaft in einer gemeinsamen Mitteilung „die Festnahme und Inhaftierung von sechs Hauptbeteiligten wegen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall … im Zusammenhang mit Ausschreitungen” an jenem Montag. Die Inhaftierten seien nigerianischer und guineischer Herkunft im Alter von 17,18, 21, 22, 23 und 32 Jahren.
Die NRWZ hat Kontakt zu eingesetzten Streifenbeamten gesucht. Diese wurden in der Randalenacht aus der Umgebung von Donaueschingen zusammen gezogen, etwa aus Spaichingen, St. Georgen, Tuttlingen, Schwenningen, Villingen und Donaueschingen selbst. Einer berichtet, ohne dass er namentlich genannt werden will: „Vor einem dreistöckigen Gebäude zu stehen, aus dem einem aus allen Fenstern hasserfüllte Schwarze entgegenblicken, und du keinen Helm auf hast und du Angst haben musst, dass man aus dem dritten Stock alles auf dich wirft, was man zur Verfügung hat – kein gutes Gefühl.” Daraus folgt: Die Polizei insgesamt war von der Situation überrascht. „Seit es die Erstaufnahmestelle gibt, kommt es zu Abschiebemaßnahmen”, berichtet Polizeisprecher Aschenbrenner. Routine, eigentlich, lässt er durchblicken. Aber: „Am Montag war es das erste Mal in dieser Dimension.” Es war der Montag vor Ostern.
Die Polizeiführung hat reagiert. Bereits in der folgenden Nacht, in der auf Mittwoch, war ein Einsatzzug der Bereitschaftspolizei angefordert worden, um die Abschiebung abzusichern. Aschenbrenner: „Die Hinzuziehung von Kräften des Polizeipräsidiums Einsatz wurde von uns aufgrund der Vorkommnisse vom Montag vollzogen.” Zwar würden auch die Streifenbeamten über eine Schutzkleidung verfügen, im täglichen Dienst hätten sie jedoch die normale Uniform mit Schutzweste an.
An diesem Modus will die Polizei bis auf weiteres festhalten. „Aufgrund der Ereignisse vom Montag halten wir zur Zeit die Hinzuziehung von zusätzlichen Kräften für angemessen und notwendig”, so Sprecher Aschenbrenner. Es gehe nicht um Präsenz alleine, „sondern auch darum, Stärke zu zeigen und für alle Einsatzlagen gewappnet zu sein”, sagt er.
Polizisten dürfen eingreifen, Sicherheitsleute nicht
Auch der Sicherheitsdienst, der die Erstaufnahmeeinrichtung bewacht und dort für Ruhe sorgen soll, war laut Polizeibericht maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass die Situation in der Montagnacht nicht endgültig eskalierte. Wieviele Sicherheitsleute dort eingesetzt sind, darüber machen die Behörden keine Angaben. Und: Der Sicherheitsdienst könne sich nur auf das Jedermannsrecht berufen und das Hausrecht durchsetzen, erklärt ein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Freiburg, das für die „Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle” in Donaueschingen zuständig ist. Die Knüppel auspacken und den Abzuschiebenden Richtung Streifenwagen treiben, das könnten die Sicherheitsleute nicht. Das Gewaltmonopol liege ausschließlich bei der Polizei.
Und dann äußert der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums ein gewisses Verständnis dafür, dass die Bewohner der Einrichtung ausflippen: Die Asylbewerber in den Unterkünften bildeten eine Schicksalsgemeinschaft. Daher komme auch die Solidarisierung mit dem Einzelnen, der abgeschoben werden soll. Freundschaften seien das nicht unbedingt, es handele sich um Leidensgenossen. Es handele sich um Menschen, die eigentlich nichts mehr zu verlieren haben. Wer könne es ihnen da verdenken, dass sie sich wehren?
Abschiebung „keine einfache Sache”
Andererseits versuche der Staat aber, sich nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Die Abschiebung sei gesetzlich geregelt. Die Betroffenen machten ein mehrstufiges Verfahren durch. Sie erhalten zunächst die Entscheidung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass sie das Land zu verlassen hätten. Dann wird ihnen eine letzte Frist eingeräumt, innerhalb derer sie freiwillig gehen können. Tun sie das nicht, kommt irgendwann die Polizei. Der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums: „Das ist alles nicht vergnügungssteuerpflichtig.” Was ihn etwas ärgert: In der Politik werde die Abschiebung meist als ein sauber strukturiertes Verfahren, als eine klare, einfache Sache geschildert. „Aber so einfach ist das halt nicht.”
Ein Problem: Die Betroffenen können nicht einfach abgeholt, vorübergehend festgehalten und dann zum Flieger gebracht werden. Irene Feilhauer von der Pressestelle des Regierungspräsidium Karlsruhe, das das BAMF vor Ort vertritt: „Die Abholung von ausreisepflichtigen Ausländern muss sich an den erforderlichen Wegzeiten zum Flughafen und dem Abflugzeitpunkt orientieren.” Will heißen: Die Betroffenen können erst direkt vor Abflug ihrer Maschine von der Polizei geholt werden. Die Zugriffszeiten sind an die Abflugzeiten gebunden; ohne jeglichen Spielraum. Oder, wie es ein Streifenbeamter formuliert: „Sie dürfen keine Sekunde eingesperrt werden.”
„100 sich langweilende Menschen”
Polizeisprecher Aschenbrenner dazu: „Die rechtliche Problematik ist sehr komplex und würde den Rahmen sprengen. Richtig ist, dass bei der Abschiebung im Rahmen der Drittstaatenregelung (nicht Heimatland) gewisse rechtliche Vorgaben eingehalten werden müssen, das heißt, länger dauernde freiheitsentziehende Maßnahmen wie Abschiebehaft sind grundsätzlich nicht möglich.” In Donaueschingen werde immer wieder abgeschoben, allerdings nicht nur nachts.
Wenn aber der Flieger nachts geht, dann muss nachts abgeholt werden. Dazu ein Streifenbeamter, der den Montagabend mitgemacht hat: „Jetzt kann man sich vorstellen, was in einem Gebäude mit 100 sich langweilenden, jungen Männern los ist um 23.30 Uhr. Alle sind wach, alle haben nichts zu verlieren und alle sind frustriert.”
Volles Haus
278 Menschen wohnen in der Erstaufnahmeeinrichtung Donaueschingen derzeit. Die Zahl mit Stand vom vergangenen Dienstag stammt aus dem Regierungspräsdium Freiburg, vom stellvertretenden Pressesprecher Matthias Henrich. Er berichtet weiter, dass dort sowohl alleinreisende Frauen und Familien wie auch alleinstehende Männer untergebracht seien.
Schwerpunktmäßig kommen die Bewohnenden aus Gambia, Nigeria, Guinea, Georgien und Kamerun”, so Henrich. Viele der Flüchtlinge hätten bereits eine Entscheidung des BAMF erhalten. Es gebe aber auch Flüchtlinge, bei denen eine Entscheidung des BAMF noch aussteht. Henrich: „Die Entscheidungen werden nicht vom Regierungspräsidium Freiburg getroffen. Eine Abschiebung ist mit der Entscheidung nicht zwangsläufig verbunden.” Das Karlsruher Regierungspräsidium macht zu den Abschiebungen keine näheren Angaben.
Eine Kritik eines der in der Randalenacht eingesetzten Polizeibeamten – wonach einzelne Gebäude der Donaueschinger Einrichtung leer stünden und andere zu voll seien – bestätigt der Freiburger Sprecher Henrich prinzipiell: Wir haben auf dem Gelände mehrere Gebäude in Betrieb. So werden etwa die Familien getrennt von den alleinstehenden Männern untergebracht. Derzeit können zwei Häuser aufgrund von Sanierungsarbeiten nicht belegt werden. Diese werden in Kürze wieder zur Belegung freigegeben werden können.”
Der Tumult am Montag aber habe ausschließlich mit der Abschiebung des Guinesen zu tun gehabt, so Henrich. „Bezüglich der Unterbringungssituation sind wir mit den Flüchtlingen, hier insbesondere über das Flüchtlingskomitee, in ständigem Austausch”, sagt er weiter. Allzu häufig scheinen Abschiebungen nicht stattzufinden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe, zuständig dafür als verlängerter Arm des BAMF, gibt keine Details bekannt, vor allem nicht zu geplanten Abschiebungen. Freiburg wird ein bisschen deutlicher: „Es gab in den letzten zehn Tagen zwei Abschiebungstermine”, so Sprecher Henrich.
Hauptperson ist wieder da
Eine dieser beiden Abschiebungen wird zudem wiederholt werden müssen. Der junge Mann aus Guinea, der ist in jener Nacht gar nicht abgeschoben worden. Es stimmt: Er zeigte sich kooperativ und ließ sich zum Streifenwagen bringen und zum Flughafen fahren. Dort aber muss er dann doch ausgeflippt sein. So sehr, dass sich der Flugkapitän „seiner” Maschine weigerte, ihn mitzunehmen, erfuhr die NRWZ. Polizeisprecher Aschenbrenner bestätigt das: „Der Mann wurde wieder in die Erstaufnahmestelle zurück gebracht. Ob er sich noch dort aufhält, ist mir nicht bekannt.”
Irene Feilhauer vom Regierungspräsidium Karlsruhe weiß das allerdings: „Wir können bestätigen, dass sich die Person wieder in der Erstaufnahmeeinrichtung in Donaueschingen befindet.”