Weil sie im Juni 2018 einen Rottweiler Pizzaboten in Gosheim überfallen und beraubt haben sollen, stehen seit Dienstagmorgen zwei junge Männer vor dem Landgericht Rottweil. Sie werden möglicherweise nach Jugendstrafrecht beurteilt, das wird die Kammer entscheiden. Einer möglichen Haftstrafe steht gegenüber, dass beide inzwischen ein geregeltes Leben aufgenommen haben und umfassend geständig sind. Einem milden Urteil steht die Schwere der Tat entgegen. Zumal einer der beiden Angeklagten zur Tatzeit schon wegen anderer Vergehen unter Bewährung gestanden hat.
Sie sprechen nicht miteinander. Sitzen, wie es sich in Corona-Pandemie-Zeiten gehört, in etwa zwei Metern Abstand auf vereinzelten Anklagebänken und scheinen damit ganz einverstanden zu sein. Sie schauen aneinander vorbei, haben sich nichts zu sagen. Im Publikum – wenige Leute. Jüngere, Verwandte des einen Angeklagten, die Frau des anderen. Über den Tag hinweg wurden es immer weniger.
Die beiden jungen Männer kamen als freie Menschen und gut frisiert. Sie waren zwar nach monatelangen Ermittlungen der Kriminalpolizei gefasst und in Haft genommen worden, dann aber geständig. Beide hatten Arbeit. Darum kamen sie vorübergehend auf freien Fuß. Nun droht ihnen Haft.
Raubopfer wohnt dem Prozess nicht bei
Der überfallene Pizzabote ist Nebenkläger in dem Prozess. Er wird durch einen Rechtsanwalt vertreten. Zum Prozessauftakt selbst erschien er nicht, erst zur Zeugenaussage, ging danach sofort wieder. Damals, bei dem Raubüberfall auf ihn, wurde er so schwer verletzt, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste, zur Behandlung.
Wie die jungen Leute die Tat schildern
Der eine mutmaßliche Täter ist gebürtiger Spaichinger, der andere stammt aus Rottweil. Am 20. Juni 2018 haben die beiden Pizza bei einem Rottweiler Lieferdienst bestellt, so die Anklage. Am Sportheim in Gosheim wollte der Bote die Pizza anliefern – und wurde angegriffen und getreten, er stürzte und verletzte sich. So sollen die beiden seinen Geldbeutel mit gut 5000 Euro Bargeld erbeutet haben. Sie flüchteten mit ihrem 3er-BMW. Der Grund für die Tat, jedenfalls in seinem Fall: akute Geldnot.
Das gilt juristisch als besonders schwerer Raub.
Geldnot führte zur Tat – aber auch Rachegedanken
Der eine ist ein junger Mann mit Hauptschulabschluss, mit mehreren abgebrochenen Ausbildungen. Heute ist er 22 und hat 2019 eine Ausbildung begonnen, die im Februar 2022 abgeschlossen sein soll. Die Eltern haben sich Anfang 2018 getrennt. Zur Tatzeit lebte er als 19-Jähriger alleine zu Hause. Mit „großen finanziellen Problemen“, musste sich hin und wieder Geld von „Kollegen“ pumpen, wie er Kumpels und Freunde nennt. So soll der Vater gefordert haben, dass der Sohn „Verantwortung übernimmt“ und für die Lebenshaltungskosten sorgt. So auch für das Haus, in dem er lebte und aus dem der Vater ausgezogen war. Der Streit zwischen den Eltern war da laut dem jungen Mann schon bis zu einem Polizeieinsatz eskaliert.
Er hat sich gefangen. Ausbildung mit Übernahmeaussicht, „es läuft jetzt geordnet bei Ihnen“, stellte der Richter fest. Der junge Mann ist aktiver Fußballer und in der örtlichen Moschee aktiv. Zudem kommt er mit der Familie klar, außer mit dem Vater. Er mäht den Rasen, schippt Schnee, erledigt Einkäufe.
Und dennoch ist er mutmaßlich ein Räuber, der einen Menschen in eine Falle gelockt und verletzt hat, um an dessen Geldbeutel zu kommen.
Der andere ist ein auf dem Heuberg aufgewachsener junger Mann, der 2012 die Mutter verloren hat – sie erlag nach seinen Worten einem langen Krebsleiden, wurde vom der Familie bis zuletzt zuhause gepflegt. Der junge Mann besitzt den Realschulabschluss, die Mittlere Reife. Ausbildung? Abgebrochen. Er arbeitete zum Zeitpunkt der Tat im Schichtbetrieb in einer Firma. Er heiratete nach islamischem Recht, „dann kam die Sache raus.“ Es folgte die Trennung trotz der Geburt einer Tochter. Mit ihr hat er Umgangsrecht, bezeichnet seine Frau als seine Freundin. Sie wollen wieder zusammenziehen, aber nicht vor der Haft. Das ergebe keinen Sinn.
Jetzt arbeitet er in Teilzeit. Mit Aussicht auf eine neue Ausbildung. Der Chef weiß Bescheid, wolle ihn unterstützen, ihm auf die Beine geholfen.
Und dennoch ist auch er mutmaßlich ein Räuber, der einen Menschen in eine Falle gelockt und verletzt hat, um an dessen Geldbeutel zu kommen. Vor dem Raub habe er einiges getrunken. Nur harte Sachen. Das sei jetzt vorbei.
Alpträume nach der Tat – aber auch Hinweise auf neue Tatpläne
Zur Tat: „In der Zeit war ich alleine zuhause“, leitet der eine die Begründung ein, Vater weggezogen, die Mutter auf Auszeit im Ausland. Geld fehlte. Der andere Angeklagte soll den Vorschlag gemacht, die Idee entwickelt, ihm unterbreitet und am Tattag die Partypizza, Burger, Chicken Wings und Getränke bestellt haben. Dieser junge Mann will den Pizzaboten empfangen, zum späteren Tatort an der Gosheimer Hütte begleitet haben, wie ein ganz normaler Kunde. Der andere habe das Opfer dann mit Pfefferspray überwältigt, es geschlagen und getreten. Er war maskiert. Sie hätten den Geldbeutel an sich genommen und die Box mit dem Essen. Seien zum ein paar hundert Meter entfernten Fluchtwagen gelaufen, zum Tanken und dann zu ihm heim gefahren. Dort hätten sie das Geld geteilt. Später habe er Rechnungen damit bezahlt, sei einkaufen gegangen, habe einen Teil aufs überzogene Konto eingezahlt. Und in der Folge: Schlafprobleme, Alpträume, Angstzustände.
„Mal wieder Pizza essen“
Sie hätten sich später bei ihrem Opfer entschuldigt. Persönlich und schriftlich. Aufrichtig. Mit Tränen in den Augen. Gleich einen Tag nach ihrer Festnahme. Allerdings fanden die ermittelnden Beamten Monate nach der Tat auch einen WhatsApp-Chat, in dem der eine dem anderen vorgeschlagen habe, mal wieder „was drehen sollen“, mal wieder „Pizza essen“.
Die hohe Beute hatte die mutmaßlichen Täter überrascht. Die beiden haben zufällig einen der Chefs des Rottweiler Pizzaservices erwischt. Gerechnet hatten sie mit ein paar hundert Euro. Das Unternehmen hätten sie ausgewählt, weil der eine der beiden da mal gearbeitet habe und noch eine Rechnung offen sei.
Die Tat aus Sicht des zweiten Angeklagten
„Wir haben die Tat zwei, drei Tage lang miteinander geplant“, bestätigte der andere Angeklagte. Auch den Ablauf, er habe angerufen, der andere habe das Opfer beim Gosheimer Sportplatz erwartet, er habe es aus dem Hinterhalt bei der Hütte überfallen. „Ich dachte, das ist eine schnelle Aktion, dass wir das schnell durchziehen und dann abhauen“, sagte er vor Gericht. Ja, er habe sein Opfer mit dem Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Der Pizzabote habe ihn daraufhin angegriffen, also habe er ihn getreten. Und ihm das Handy abgenommen, weil das Opfer Hilfe habe rufen wollen. Den Geldbeutel habe der Pizzabote weggeworfen. Dann sei er geflüchtet, während sie das Geld gesucht und wiedergefunden hätten. Daraufhin seien sie abgehauen.
Getankt hätten sie bereits mit dem Geld aus ihrer Beute. Voll, bei Esso in Wehingen.
Leichte Unterschiede bei den Aussagen
„Auf die Idee kamen wir beide“, so der zweite junge Mann in Abwandlung der Aussage des ersten. An der Tat hätten beide gleichermaßen Schuld, sie hätten sie beide geplant. Die Motivlage sei unterschiedlich, während es seinem Komplizen um Geld gegangen sei, habe bei ihm Rache den Auslöser gegeben. Denn den Vorschlag, diesen Pizzaservice zu überfallen, den habe er gemacht. Als ehemaliger Mitarbeiter des Betriebs beschrieb er den Chef als aufbrausend und als einen Sklaventreiber.
Auch er habe Rechnungen mit der Beute bezahlt. Und er sei verantwortlich für einen Brief an das Opfer, in dem beide die Tat außerordentlich bedauern.
Aber „die Überlegung, nochmal Pizza zu essen, die war da“, bestätigte er vor Gericht, siehe auch den WhatsApp-Chat, den die Polizei gefunden hat. Das sei jedoch inzwischen Vergangenheit. Er sei jetzt Vater. Für Frau und Kind verantwortlich, er wolle ein guter Familienvater sein.
Die Tat aus Sicht des Opfers
Eine starke Augenreizung, Schmerzen im Rippenbereich und Prellungen am Rücken hatte das Opfer davongetragen. Das berichtete einer der eingesetzten Polizeibeamten, der damals beim Kriminaldauerdienst in Rottweil beschäftigt gewesen und an den Tatort gerufen worden war. Bei der Auseinandersetzung verlor der Pizzabote auch seine Schuhe. Er war einen kleinen Abhang hinab gestoßen worden.
Der zur Tatzeit 66-Jährige habe sich damals für die Lieferung angeboten, weil er sich gut in Gosheim auskennt. Das berichtete er selbst vor Gericht. Den Ablauf des Raubes schilderte er wie seine Peiniger. Dass er zum Sportplatz gefahren, dass dort ein junger Mann eingestiegen sei. Dass dieser ihn zu der Hütte gelotst habe. Und dass dort ein Maskierter auf ihn zugesprungen sei, ihn mit dem Pfefferspray traktiert habe, als er gerade die Lieferung aus dem Kofferraum habe holen wollen. Er habe versucht, sich mit dem Deckel der Essensbox zu wehren. Er sei ein paar Mal getreten worden, sei deshalb gestürzt. Den Geldbeutel versuchte er noch zu verstecken. Den hätten die Räuber dann aber gefunden.
Insgesamt 6000 Euro Schaden
Rund 6000 Euro waren damals im Geldbeutel. 5648 Euro aus Geldgeschäften des Lieferdienstes, der auch eine Moneygram-Filiale betreibt. Zuzüglich 200 Euro Wechselgeld des Pizzaservices und 400 Euro, die der Bote privat in dem Geldbeutel hatte.
Der Zufall: Dass das Moneygram-Geld im Beutel war, sei eine „absolute Ausnahme“ gewesen, so der Pizzalieferant, der für den Service damals auch als Geldbote fungierte. Die Essens-Bestellung zu der Gosheimer Hütte sei ein eiliger Auftrag gewesen, der Kunde habe zweimal angerufen, um nachzufragen, wann die Lieferung endlich eintreffen werde. Da habe er das Moneygram-Geld eben noch dabei gehabt, so der Bote.
Etwa 6000 Euro hat eine Versicherung dem Betrieb ersetzt. Laut dem Lieferdienst-Betreiber die Summe, die an Bargeld in dem Geldbeutel gewesen sei.
„Sehr lange habe ich an den psychischen Folgen gelitten. Wann immer jemand hinter mir auftaucht, habe ich Angst“, sagte das Oper vor Gericht. Drei, vier Monate lang fuhr er keine Pizza mehr aus. Jetzt liefert er nur noch an Haushalte aus, nicht mehr an Lieferorte irgendwo am Waldrand oder Sportplatz.
Den jungen Mann, der ihn getreten haben soll, kennt der Pizzafahrer noch als einen netten, hilfsbereiten jungen Mann, als Kollege. Als Anrufer am Telefon habe er ihn nicht erkannt. Der habe mit einem russischen oder slawischen Akzent gesprochen.
Der Pizzabote bestätigte, dass beide bei ihm gewesen seien, um sich zu entschuldigen. „Das muss kurz nach ihrer Verhaftung gewesen sein.“ Einer der beiden habe dabei geweint. Auch einen Brief hätten sie geschrieben. Es tue ihnen sehr leid. Und von einem der beiden habe er 500 Euro erhalten.
Aber entschuldigen könne er die Tat nicht. „Ich habe immer noch Angst.“ Er habe damals, nach der Tat, mit nackten Füßen hunderte Meter laufen müssen, um Hilfe zu bekommen. Autofahrer seien an ihm vorbeigefahren. Er wolle so etwas nie mehr erleben.
Vor Gericht beteuerten beide Angeklagte gegenüber ihrem Opfer, dass sie die Tat bereuten, dass es ihnen aufrichtig leid tue, was sie an diesem Abend getan hätten. Sie seien um Ausgleich bemüht. „Dankeschön Ihnen beiden“, antwortete der Pizzabote. „Mein Anwalt wird sich bei Ihnen melden.“
Wie die Polizei auf die Spur der beiden kam
Der heute 52-jährige Kriminalkommissar, der damals noch in Tuttlingen tätig gewesen ist, berichtete, was auf die Spur der jungen Leute geführt hat: Funkzellendaten. Also die Handydaten derer, die zum Tatzeitpunkt im Bereich des Tatorts eingeloggt gewesen sind. Die hätten sich er und seine Kollegen besorgt, dadurch kamen sie auf Handynummern. Und auf die Eigentümer dieser Handys, die dann überwacht worden seien. Allmählich habe sich der Tatverdacht erhärtet. Und im Januar 2019, etwa ein halbes Jahr nach der Tat, klickten die Handschellen.
„Ganz schön raffiniert“ – und aktuell knausrig
Das Pfefferspray wertet der Richter als gefährliches Werkzeug. Ob die beiden sich nicht gedacht hätten, dass etwas aus dem Ruder laufen könnte, fragte er. So genau hätten sie das nicht geplant, sagte der eine junge Mann. Er soll übrigens noch „Wer bist Du?“ gerufen haben, als sein Komplize mit dem Pfefferspray auftauchte. So getan haben, als ob er selber mit dem Ganzen nichts zu tun habe, „ganz schön raffiniert“, so der Richter.
Außerdem haben die beiden die Bestellung per Handy mit unterdrückter Nummer aufgegeben. Heute würde der Lieferdienst wohl nicht mehr in eine solche Falle tappen.
Wiedergutgemacht haben die beiden den Schaden nicht. Auch nicht damit begonnen. Zusätzlich wird Schmerzensgeld gefordert, 1500 Euro. Der eine Angeklagte soll schon 500 gezahlt und dann dem Anwalt des Pizzaboten geantwortet haben, dass er in einer Ausbildung stecke und mehr nicht zahlen könne. Dafür las ihm der Anwalt des Raubopfers ordentlich die Leviten. Aktuell steht im Raum, dass beide 750 Euro an ihr Opfer zahlen sollen.
Lange Zeit zwischen Tat und Urteil
„Normalerweise verhandeln wir am Landgericht Rottweil weit zügiger“, so der vorsitzende Richter. Er begründet die lange Dauer zwischen der Tat im Juni 2018 und der Verhandlung Januar 2021 unter anderem mit einer halbjährigen Ermittlungsdauer bis zur Ergreifung der mutmaßlichen Täter. Zudem seien drei Versuche, das Hauptverfahren zu eröffnen, gescheitert, weil jeweils ein Verfahrensbeteiligter das vereitelt habe. „Das bedauert die Kammer, das ist ein absoluter Ausnahmefall, das ist auch schlecht für die jungen Angeklagten“, so der Richter. An der Kammer habe es nicht gelegen. Näher ging er nicht auf die Gründe ein.
Die Vorteile des Jugendstrafrechts
Zur Tatzeit unter 21-Jährige könnten nach dem Jugendstrafrecht beurteilt werden, das will die Kammer entscheiden. Das Gesetz sieht darin eher einen erzieherischen Ansatz, weniger den bestrafenden. Das kommt den beiden jungen Leuten sehr entgegen. Im Erwachsenenstrafrecht stehen auf schweren Raub wenigstens fünf Jahre Haft. Das Jugendstrafrecht kennt die Türe zur Bewährung, die sie mit ihren Anwälten möglicherweise aufgestoßen bekommen.
Einer der beiden Angeklagten hat fünf Vorstrafen, hatte zum Zeitpunkt des Raubes allerdings unter Bewährung gestanden. Unter anderem eine Körperverletzungsgeschichte. Seine frühere Bewährungshelferin allerdings gab zu Protokoll, dass sie den Eindruck gewonnen habe, dass der junge Mann seine Tat bereue. Sie bezeichnete ihn als jemanden, der viel zu bewältigen, viel zu erledigen habe, mit dem Rücken aber an der Wand stehe, vor allem finanziell. Er versuche aber inzwischen, alles richtig zu machen.
Der Prozess wird fortgesetzt.
Da ist Ihnen ein juristischer Fehler unterlaufen, der aber mit Blick auf die Rechtspraxis mehr als nur verständlich ist:
„Zur Tatzeit unter 21-Jährige sind nach dem Jugendstrafrecht zu beurteilen. Das sieht das Gesetz so vor.“
Gemäß § 105 JGG (Jugendgerichtsgesetz) ist bei Heranwachsenden (18 – 21 Jahre) von Fall zu Fall zu entscheiden, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt:
§ 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
Die Entscheidung fällen in der Realität die Gutachter, die die Angeklagten beurteilen. So kommt es, dass praktisch ausnahmslos Jugendstrafrecht auf Heranwachsende angewendet wird. Dies war nicht der Sinn des Gesetzes, mit dem eigentlich Flexibilität ermöglicht werden sollte.
Wo die Reise hingeht, jedenfalls nach Meinung mancher Jugendpsychiater, zeigt dieser Ausschnitt aus einer Veröffentlichung der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie:
„Die Sachverständigen entscheiden mangels eindeutiger Kriterien bei der Reifebeurteilung fast immer auf jugendlich. Neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie zeigen, dass nicht nur Jugendliche, sondern auch Heranwachsende und junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren in der Regel noch über signifikante Entwicklungsressourcen verfügen.“
https://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1024/1422-4917/a000717?journalCode=kij
In 50 Jahren werden auch auch Greise mit 95 Jahren „noch über signifikante Entwicklungsressourcen verfügen“.
Sie haben recht, danke. Das ist bereits korrigiert.
Wie Sie selbst bzw. Ihre Tochter erlebt haben, kennt das Ordnungswidrigkeitengesetz die Unterscheidung zwischen Erwachsenen, Heranwachsenden und Jugendlichen zunächst nicht. Ihre Tochter und deren Freunde wurden mit dem Regelsatz gebüßt, den auch ich bekommen hätte. Eine, wie von Ihnen hier zutreffend so bezeichnete „Tür“, ist für diesen Personenkreis nicht vorgesehen, obwohl die Jugendlichen gerade mal ein Jahr über der Strafmündigkeitsgrenze lagen.
Der Gesetzgeber dürfte dies unterlassen haben in der Erwartung, dass der „Geist“ des JGG von den Verwaltungsbehörden umgesetzt wird, so wie ich das damals zitiert habe mit den Ermahnungen ohne wirtschaftliche Folgen!
Erst bei der Vollstreckung kennt das OWiG im § 98 dann eine Andersbehandlung von Jugendlichen.
Und zum Raub selbst noch ein Kommentar: Als jemand, der auch mal bei der Truppe war, stelle ich fest, dass es sich hier um eine taktisch sorgfältig geplante und hochprofessionell durchgeführte Kommandoaktion handelt, die man bei unserem Haufen nicht jedem zugetraut hätte, und ich war da bestimmt nicht in einem Durchschnittsverein ….. Professionalität, auch Abgebrühtheit in der Durchführung, kennt man eher nicht in Zusammenhang mit Unreife ……
Ob man den Betroffenen wirklich einen Gefallen tut, wenn man immer wieder nachsichtig ist, oder ob man da kriminelle Karrieren eher noch fördert, wird inzwischen kontrovers diskutiert.
Der Bewährungshelferin wird was vorgesäuselt, und über WhatsApp wird angeregt, wieder mal was zu drehen. Das nennt man dann „bereuen“.