In Corona-Zeiten passieren Dinge, die es so bislang nicht gab: Am Mittwoch beim Prozessauftakt gegen einen 43-jährigen Mann aus Tuttlingen erschien dieser mit einer Gesichtsmaske vor dem Rottweiler Landgericht. Und durfte diese auch aufbehalten. Der Vorsitzende Richter, Karlheinz Münzer, fragte Anwalt Tom Hilzinger einfach, ob es sich auch tatsächlich um seinen Mandanten handele, was dieser bestätigte. Die übrigen Anwesenden, Staatsanwalt, Richter, Schöffen, der Sachverständige, das Bewachungspersonal und die Dolmetscherin hielten den nötigen Sicherheitsabstand, die Presse wurde hinter die Glasscheibe verbannt.
Angeklagt ist der Mann wegen immer gleicher Taten: Er tauchte trotz Kontaktverbots ständig vor der Wohnung seiner geschiedenen Frau in Tuttlingen auf und versuchte, Zutritt zu bekommen. Immer wieder wurde er von der Polizei abgeführt, immer wieder wehrte er sich gegen die Festnahme. Er soll die Beamten beschimpft und bedrohte bedroht haben, sie sollten ihm die Pistole geben, er würde sie und dann sich erschießen. Einmal soll er einer Nachbarin gedrohtr haben, er habe eine Granate und würde damit das Haus in die Luft sprengen. Staatsanwalt Michael Gross zählte auch 87 Fälle zwischen dem 2. und 20. Dezember 2018 auf, in denen er teils im Minutentakt versucht hatte, seine Ex-Frau anzurufen – auch etwas, das ihm inzwischen von einem Gericht verboten worden war.
Mehrfach hatte der Mann türkischer Abstammung deswegen vor Gericht gestanden, hatte aber immer wieder erklärt, die deutschen Gesetze hätten für ihn keine Gültigkeit. Folgerichtig hielt er sich auch nicht an die Auflagen. Nun geht es um seine Schuldfähigkeit. Laut Anklageschrift hat der Mann, der in Fußfesseln vorgeführt wurde, eine paranoide Störung. Und die erste große Strafkammer muss darüber entscheiden, ob er dauerhaft in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird. Dort befindet er sich seit Dezember vergangenen Jahres, nachdem er zuvor zwei Monate lang in Untersuchungshaft saß.
Schon im Vorfeld hatte das Gericht angekündigt, dass der Prozess voraussichtlich zum größten Teil nicht öffentlich stattfinden werde. Damit waren sowohl Verteidiger Hilzinger als auch Staatsanwalt Michael Gross einverstanden. Doch dann wurde der Angeklagte befragt, und der bestand auf einer öffentlichen Verhandlung, nachdem er zuvor verlangt hatte, dass ihm sämtliche Unterlagen aus den zahlreichen vorherigen Prozessen auf türkisch übersetzt werden. Letzteres wird ihm zugestanden, ersteres wird nicht kommen.
Staatsanwalt Gross sah Schwierigkeiten: Der 43-Jährige werde sich dann nicht trauen, umfassend auszusagen. Auch Richter Münzer wandte ein, sein Gesundheitszustand lasse es nicht zu, das wirklich einzuschätzen. Das sah auch der psychiatrische Sachverständige Dr. Ralf Kozian so: „Ich habe nicht den Eindruck, dass er die Tragweite abschätzen kann“, so der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Verteidiger“, meinte darauf Richter Münzer und beraumte eine kurze Prozesspause an, in der Hilzinger seinem Mandanten klar machte, welche Fragen auf ihn zukommen werden – nämlich neben solchen zu seinem psychischen Zustand auch welche zu seinem Sexualleben. Das überzeugte den 43-Jährigen offenbar, und so trollte sich die Öffentlichkeit in Gestalt zweier Journalisten.
Einen nichtöffentlichen Fortsetzungstermin gibt es am 21. April, wann das Urteil – dann wieder öffentlich – fallen wird, steht noch nicht fest. Nur, dass von ursprünglich vorgesehenen zehn Zeugen inzwischen nur noch fünf übrig gebileben sind.