Was bedeutet „Heimat“ heute? Und zwar jenseits von Extremen wie dem kleinkarierten Rückzug ins Schneckenhäuschen oder globalisierter Beliebigkeit. Mit dieser Frage haben sich Künstlerinnen und Künstler aus der Region auseinandergesetzt. Ihre Antworten sind in Schloss Glatt zu entdecken — ein lohnendes Ausflugsziel in den Sommerwochen.
Fast kann er einem leidtun, dieser Begriff. Was hat er nicht schon alles über sich ergehen lassen müssen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war „Heimat“ juristisch und geographisch belegt. „Heimat“ bezeichnete den Landstrich, in dem man geboren war, sich aufhalten durfte und notdürftige Versorgung erwarten konnte.
Den Schwesterbegriff „Heimweh“ gab es da auch schon. Er plagte nicht alle, die einer ärmlichen Heimat den Rücken kehrten und ihr Glück jenseits des Atlantiks in einer neuen Heimat suchten.
Zusehends wurde der Begriff jedoch aufgeladen. Emotional, ideell, politisch. Teils mit überhöhten Vorstellungen von heiler Natur, von einer Gesellschaft vor den Verwerfungen der Industrialisierung. Oder mit Germanentums-Fantasien. Mit diesem Gebräu vergifteten die Nazis den Begriff für Jahrzehnte. Zumal viel Heimat in Europa deutschen und alliierten Bomben zum Opfer gefallen war. Doch selbst die DDR versuchte bei aller sozialistischen Internationalität, mit „Heimat“ gefühlsmäßige Bindung an den künstlichen Staat herzustellen.
Mittlerweile hat „Heimat“ wieder Konjunktur. Der Ruch von Spießigkeit und Gestrigem, der dem Begriff angehängt wurde, ist historisch geworden. Ebenso wie die Vorstellung, dass sich alles in hypermobilem globalem Wohlgefallen auflösen werde.
Keine Frage: politische Kräfte versuchen den Begriff zu vereinnahmen – um Feindbilder aufzubauen und Verlustängste zu schüren. Aber jenseits dieser Spielchen steht der Begriff für viele für die Suche nach Verortung, Zugehörigkeit und Positionsbestimmungen in der modernen Welt – ohne damit anderes abzuwerten oder andere auszuschließen.
Diese Vielgestaltigkeit – das lange Verpönte, das aggressiv Ausgrenzende, aber ebenso die Beziehungsangebote von „Heimat“ – spiegelt sich auch in den in Glatt gezeigten künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem „umstrittenen Begriff“ Heimat, wie es im Ausstellungstitel vorsichtig heißt.
An die 50 kreative Köpfe, die in der Region leben oder einen Bezug zu ihr haben, sind der Einladung des Landkreises Rottweil zu diesem Ausstellungsprojekt gefolgt. Künstlerisch haben sie auf die Frage nach ihrem Verständnis von Heimat sowie die Verwendungen des Begriffs im öffentlichen Diskurs reagiert.
Sehr prononciert und mit hohem moralischem Anspruch etwa der in Schiltach lebende Klaus Wickersheimer. Seine Arbeit besteht aus einem düster-blauen Malgrund, aus dem ein völlig überfülltes Boot nicht nur heraustritt, sondern auch noch in einer dramatisch kippt, sodass die angsterfüllten Gestalten darauf unweigerlich herausstürzen. Was er mit dem Titel „heimatlos“ meint, wird drastisch und beklemmend deutlich.
Wickersheimers Arbeit steht für eine Gruppe von Beiträgen, die den Verlust von Heimat und das Ausschließende an diesem Begriff anprangern. Es gibt aber auch ganz andere, eher unpolitische und sehr persönliche Antwort-Angebote auf die Frage nach Heimat. Anne Helena Oliveira Hess etwa, die in Brasilien geboren wurde und in Schramberg lebt, hat einen wundervollen „Floresta negra“ (wörtlich: „Schwarzer Wald“) gemalt, der sich genauso als Hommage an Brasilien wie an idyllischen Forst im Ländle lesen lässt. Auf die Frage nach „Heimat“ scheint dieses schöne Werk nicht nur eine Antwort zu geben.
Eine Verortung von „Heimat“ auf Landkarten weisen hingegen die bei Königsfeld lebende Ingrid Wild aus Schramberg genauso wie der Rottweiler Künstler Frank Burkard zurück. „Wer seine Heimat in sich trägt, für den ist Heimat überall“, postuliert Wild selbstbewusst. Während ihr Beitrag einen Wolf inmitten einer Zielscheibe zeigt (Titel: „Target“) – sinnbildlich vielleicht für Bedrohungs-Wahrnehmungen wie für Abwehr-Reflexe. Frank Burkhard definiert Heimat als „Ort seines Tuns“: Heimat, so könnte man sagen, kann überall sein, man muss sie nur machen.
Von solchen in alter Tradition auf künstlerische Autonomie pochenden Positionen und den dezidiert politisch-gesellschaftlich orientierten, appellhaften Beiträgen heben sich einige Werke jüngerer Kreativer auf interessante Weise ab. Sie wirken gelöster, leichter. JC Leopold aus Rottweil etwa hat einen Rottweiler Hund aufgefahren, der einige der vielen Türme in seinem Fang trägt. Was lässt sich da nicht alles an ironischen Anspielungen herauslesen – von Großmäuligkeit bis zur Gefahr, sich bei allzu lautem Bellen an den Dingern zu verschlucken.
Vollends ins Spielerische changiert der Beitrag von Konstantin Viktor Müller aus Rottweil. Unter dem ernst firmierenden Titel „Utopia Heimat 1.1.“ präsentiert er in Urban-Art-Manier eine Eiswaffel, die noch nicht befüllt ist. Heimat, könnte man schlussfolgern, ist was wir reintun. Immerhin: Es verspricht lecker zu werden.
An der Ausstellung, die viele anregende Antworten auf die Frage nach „Heimat“ heute anbietet, besticht der Einfallsreichtum vieler Arbeiten sowie die Vielfalt an Ausdrucksmitteln und Denkanstößen. Wer sich von ihnen berühren, irritieren oder bestärken lässt, erspürt schon eine wichtige Dimension dessen, was sich mit dem Begriff „Heimat“ unter anderem ansprechen lässt: In Austausch, in Schwingung zu treten mit Orten, Denkweisen, Menschen – ob nun eher kritisch hinterfragend oder eher im Gleichklang. Für eine solche Grundhaltung der Resonanz wirbt diese sehenswerte Schau.
Info: Die Ausstellung „Heimat? – Eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem umstrittenen Begriff“ in der Galerie Schloss Glatt ist bis 6. Oktober zu sehen. Geöffnet dienstags bis freitags von 14 bis 17 Uhr, wochenends und feiertags 11 bis 18 Uhr.