Corona-Kontrollen vor Ort: „Können das Personal nicht von den Bäumen pflücken“

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In der Hoffnung auf ein Wunder, wie er schreibt, hat sich Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck in einem Brief an Innenminister Thomas Strobl gewandt. Verbunden mit der dringenden Bitte um mehr Unterstützung bei den Corona-Kontrollen durch die Polizei des Landes. Die Kontrollen könnten vor Ort nämlich nicht im Ansatz im erforderlichen Maße geleistet werden. „Wir können das Personal nicht von den Bäumen pflücken“, so Beck. Auf Nachfrage der NRWZ schließt sich Rottweils OB Ralf Broß der Forderung an. Mit den vorhandenen Kräften des Ordnungsdienstes sei eine flächendeckende Kontrolle schlicht nicht möglich. Die Stadtsheriffs und Politessen wären damit heillos überfordert.

Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. So lautet augenzwinkernd ein Sprichwort. Und es bedeutet auch: Wenn ich nur eine geringe Gefahr laufe, bei einem Regelbruch erwischt zu werden, dann begehe ich den wahrscheinlich. Man sieht das bei Falschparkern, die „nur g’schwind“ ihr Auto verbotswidrig abstellen. Wird schon keine Politesse oder kein Stadtsheriff vorbeikommen.

Womit wir beim Thema wären – dem Gemeindevollzugsdienst und seinen Aufgaben. Üblicherweise etwa die Kontrolle von Falschparkern. Nun, während der Corona-Pandemie, kommen aber weitere Aufgaben hinzu. Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß beschreibt sie: „Der Gemeindevollzugsdienst der Stadt Rottweil kontrolliert die Einhaltung der Corona-Maßnahmen im Rahmen seiner Aufgaben als Ortspolizeibehörde.“ Dies umfasse primär die Gastronomie, den Einzelhandel und die Märkte. „Angesichts unserer personellen Kapazitäten von derzeit vier Personen“, so Broß weiter, „konzentrieren wir uns dabei auf Stichproben und Schwerpunktkontrollen.“ Er nennt landesweite Aktionen in der Gastronomie oder im Öffentlichen Personennahverkehr. „Die Stadt Rottweil muss ihren weiteren ordnungsrechtlichen Aufgaben auch während der Pandemie im vollen Umfang nachkommen“, so der OB. „Dass sich angesichts der Pandemie die Schwerpunkte verlagern, ergibt sich notwendigerweise aus der Pandemie. Dennoch ist in allen Bereichen weiterhin mit Kontrollen zu rechnen“, sagt er.

Um die Corona-Pandemie, die sie für nicht überwunden erklären, weiter einzudämmen, haben Bund und Länder weitere Einschränkungen vereinbart. Konkret sind die 3G- und 2G-Regeln in vielen  Bereichen verpflichtend. Beispiele:

  • Einrichtungen und Veranstaltungen der Kultur- und Freizeitgestaltung (etwa Kinos, Theater, Gaststätten etc.) dürfen nur von Geimpften und Genesenen (2G) besucht werden. Ergänzend kann ein aktueller Test vorgeschrieben werden (2GPlus). Das gilt bundesweit und ist unabhängig von der Inzidenz. Dabei gibt es Ausnahmen für Personen, die nicht geimpft werden können.
  • Auch im Einzelhandel gilt bundesweit und inzidenzunabhängig die 2G-Regel. Ausgenommen sind Geschäfte des täglichen Bedarfs. Der Zugang muss von den Geschäften kontrolliert werden.
  • Gibt es in einem Gebiet mehr als 350 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen, werden Clubs und Diskotheken geschlossen. Diese Regelungen treffen die Länder. Das trifft aktuell im Landkreis Rottweil zu (Inzidenz am Freitag: 746,8).
  • Ebenfalls den Kreis Rottweil trifft diese Regel: In Kreisen mit mehr als 350 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen können sich höchstens 50 Personen bei privaten Feiern in Innenräumen treffen. Im Außenbereich dürfen es maximal 200 Personen sein. Das gilt für Geimpfte und Genesene.

Wegen der besonders prekären Lage in Baden-Württemberg möchte die Landesregierung in einigen Bereichen über die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde hinausgehen. So sollen unter anderem Weihnachtsmärkte geschlossen werden sowie Sport-, Kultur- und Freizeitveranstaltungen aufgrund der hohen Infektionslage im Land deutlich stärker eingeschränkt werden. Die im Land bereits gültigen strengen Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte von einem Haushalt plus eine weitere Person bleiben bestehen. „Die neue Verordnung wird am Freitag, 3. Dezember 2021, im Umlaufverfahren beschlossen und tritt in Kürze in Kraft“, hieß es am Donnerstag aus Stuttgart. Am Silvester- und Neujahrstag wird ein An- und Versammlungsverbot umgesetzt, so die Ankündigung.

„Kommunen stecken in hilfloser Lage“

Kann man alles machen – nur, damit die Regeln eingehalten werden, müssen sie mutmaßlich auch kontrolliert werden. Mit dem guten Willen und der Freiwilligkeit ist es bei Vielen ausgangs des zweiten Jahres der Pandemie vorbei. Deshalb hat sich etwa Tuttlingens OB Michael Beck zu Wort gemeldet. Er schreibt:

In wenigen Wochen steht uns das zweite Weihnachtsfest in Zeiten von Corona bevor. Und wie bereits 2020 spitzt sich die Lage zum Jahresende hin zu. Über die Gründe für die erneute Eskalation der Pandemie möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen. Was mich derzeit umtreibt, ist vor allem die hilflose Lage, in der wir alle Kommunen derzeit stecken und in der wir uns vom Land alleingelassen fühlen.

So beginnt ein Brief an Landesinnenminister Thomas Strobl, den Tuttlingens Oberbürgermeister laut seinem Büro am 1. Dezember, also am Mittwoch verfasst hat. Konkret gehe es ihm „um die fehlende Unterstützung seitens der Polizei.“ Damit will er nicht die in Tuttlingen tätigen Beamten kritisieren, vielmehr „entsetzt“ es ihn, „dass es seitens des Ministeriums offenbar Anweisungen gibt, dass Beamte der Landespolizei nicht für Corona-Kontrollen zuständig sind. Dies sei allein Sache der Ordnungsbehörden.“

Beck rechnet vor, dass sein Ordnungsamt derzeit durch Krankenstand und eine Kündigung auf genau fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgreifen könne. Mit diesen ließe sich nur „ein Bruchteil dessen abdecken, was wir sollten und was auch sinnvoll wäre“, schreibt der OB. Und weiter: „So sollten wir die 3-G-Regel im ÖPNV ebenso überwachen wie die Einhaltung dieser Regeln im Einzelhandel. Wir sollten die Maskenpflicht in stark frequentierten Bereichen der Innenstadt ebenso im Auge behalten wie die Umsetzung der 2-G-Regel in der Gastronomie. Von den Veranstaltungen mit 2G+Regel ganz zu schweigen. Dringend geboten wäre auch eine Quarantäne-Überwachung. Doch daran ist schon gar nicht mehr zu denken – abgesehen davon, dass die meisten
Infizierten nicht mal mehr einen formellen Absonderungsbescheid erhalten.“

Städte und Gemeinden nicht allein lassen

Sein Amtskollege in Rottweil sieht das ähnlich. „Das Land Baden-Württemberg steht auf dem Standpunkt, dass die präventive Überwachung der Einhaltung der Corona-Verordnung eine infektionsschutzrechtliche Aufgabe ist, für die die Ortspolizeibehörden zuständig sind“, so auch OB Ralf Broß. Wir erinnern uns: In der Kleinstadt am Neckar sind derzeit vier Menschen beim Gemeindevollzugsdienst beschäftigt.“ Broß greift nach eigenen Angaben deshalb auf die Kollegen vom Land zurück: „Sofern es im Einzelfall erforderlich ist, erfolgt auf Ersuchen im Rahmen der Amts- und Vollzugshilfe natürlich auch Unterstützung durch das Polizeirevier Rottweil. Wir arbeiten hier im engen und kollegialen Austausch mit dem örtlichen Polizeirevier zusammen.“ Dass die Polizei mitunter selbst ausgelastet ist, ist bekannt.

„Eine flächendeckende Überwachung der mittlerweile sehr umfassenden und bereichsspezifischen Infektionsschutzmaßnahmen ist uns mit den vorhandenen Ressourcen … nicht möglich“, so Broß in einer Stellungnahme gegenüber der NRWZ weiter. Sollte dies von Bund und Land erwartet werden, müssten die Kommunen mit zusätzlichen Kräften unterstützt werden, erklärt auch er. „Insofern können wir die Appelle von Amtskollegen nach zusätzlicher Hilfe von Bund und Land nur unterstreichen“, schreibt Broß in Richtung Tuttlingen. „Auch unsere kommunalen Spitzenverbände haben wiederholt angemahnt, die Städte und Gemeinden bei der Überwachung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen nicht allein zu lassen.“

„Wir können nicht alles Machbare unternehmen, um die Pandemie einzudämmen“

Tuttlingens OB Beck schreibt, sein Vollzugsdienst sei „dringendst auf Unterstützung der Landespolizei angewiesen.“ Zwar wolle man den Ordnungsdienst „weiter aufstocken, über Nacht von den Bäumen pflücken können wir geeignetes und qualifiziertes Personal aber auch nicht.“ Und ergänzt: „Wir müssen
uns also darüber im Klaren sein, dass wir – allen anderslautenden Erklärungen der Politik zum Trotz – nicht alles Machbare unternehmen, um diese Pandemie einzudämmen. Wir können es schlichtweg nicht.“

Er wünsche dennoch eine friedvolle Adventszeit, so Beck in seinem Brief an Strobl abschließend. „Vielleicht geschehen ja noch Wunder“, fügt er an.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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