Als in den USA klar wurde, in den Krankenhäusern sind viel zu wenige Beatmungsgeräte, da zwang US-Präsident Donald Trump kurzerhand den Autohersteller General Motors, solche Geräte herzustellen. Und wenn eine Autofabrik das hinbekommt, dann sollten doch Panzerbauer und Gewehrhersteller ähnliches schaffen, dachte man sich bei Greenpeace.
Vor Ostern hat sich Roland Hipp, Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace in Deutschland, daher an die Chefs von deutschen Rüstungsunternehmen gewandt und in einem offenen Brief appelliert, „alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um die Pandemie zu bekämpfen. Dazu zählt erstens ein umgehender Stopp aller Verkäufe von Waffen, Munition und anderen Rüstungsgütern an Staaten, die gegenwärtig in Konflikte verwickelt sind – insbesondere an alle Staaten, die direkt oder indirekt an den Kriegen in Libyen, Syrien und Jemen beteiligt sind.“
Weiter hat Hipp die Firmenchefs gebeten, die Produktion von Kriegsmaterial auszusetzen „und Ihre Produktionsanlagen sowie die technischen, logistischen und administrativen Fähigkeiten Ihres hochqualifizierten Personals zu nutzen, um Güter zu produzieren und Dienstleistungen bereitzustellen, die nun dringend gebraucht werden im Kampf gegen das Corona-Virus“.
Schwerter zu Pflugscharen in Coronazeiten
Angesichts der dramatischen Lage weltweit und insbesondere auch in den durch Kriege erschütterten Regionen appelliert der Greenpeace-Vorstand an die Rüstungsindustriellen: „Zeigen Sie daher Ihre Solidarität und tun Sie das, was jetzt so dringend nötig ist: Stoppen Sie die Herstellung und den Verkauf von Rüstungsgütern und setzen Sie die Ressourcen ihres Unternehmens für den Kampf gegen die Corona-Pandemie ein.“
Am Ende des offenen Briefs fordert Greenpeace die Rüstungsunternehmen auf, „Pläne für eine nachhaltige Konversion Ihres Unternehmens zu entwerfen“.
Die Reaktion von Rheinmetall und Co.
Auf dieses Schreiben haben einige Rüstungsunternehmen reagiert. Auch Heckler und Koch in Oberndorf schrieb umgehend an Greenpeace. Der Panzerbauer Krauss Maffei Wegmann aus München und Rheinmetall in Düsseldorf betonen, sie hätten keine Probleme in bei der Produktion und seien mit Aufträgen der Bundeswehr über Jahre ausgelastet.
Bei Kraus Maffei Wegmann fehle „die technische Expertise, um zumindest teilweise auf die Produktion ziviler Produkte umzuschwenken“, berichtet das „Neue Deutschland“ über KMW in München.
Heckler und Koch: Wir wollen doch dasselbe – nur mit anderen Mitteln
Bei Heckler und Koch haben sich die Vorstände Dr. Jens Bodo Koch und Dr. Björn Krönert viel Mühe bei ihrer Antwort gegeben: Zunächst stellen die beiden fest: „Sie sehen uns diesbezüglich vollständig an Ihrer Seite. Denn auch Heckler & Koch sieht sein Wirken in dieser schwierigen Zeit in einem wichtigen gesellschaftlichen Kontext.“ Wie Greenpeace gehe es auch Heckler und Koch darum, die Bevölkerung in Deutschland und den Partnerstaaten zu schützen. Allerdings nicht mit Desinfektionsmitteln oder Atemschutzgeräten.
Die „Geräte“ von Heckler und Koch haben ein anderes Kaliber: Man liefere Pistolen an die Bundespolizei und die Polizei in Sachsen. Die Polizei erfülle „vorbildlich ihre Aufgabe dabei, die Maßnahmen zur Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung umzusetzen“, so die beiden HK-Chefs. Außerdem statte HK Frankreichs Streitkräfte mit neuen Sturmgewehren aus. „Gerade in diesen schwierigen Zeiten erweisen sich gut ausgerüstete Sicherheits- und Krisenvorsorgekräfte gerade in Demokratien als unverzichtbar.“
Dann erklären die beiden: „Welche Folgen es hat, wenn Frieden und Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Solidarität nicht gewährleistet sind, das bekommen die Menschen in repressiven Staaten nicht nur, aber leider auch in der derzeitigen Pandemie-Krise zu spüren, zum Beispiel in den Philippinen oder Brasilien.“
Auch dabei stehe Heckler und Koch „im Grunde“ an der Seite von Greenpeace, denn man beliefere „keine repressiven Staaten, sondern freiheitliche Demokratien, die unsere Werte teilen“. HK nenne das die „Grüne-Länder-Strategie“.
Dräger lehnte dankend ab
Auf die konkreten Forderungen von Greenpeace, nämlich statt Waffen Dinge zur Bekämpfung der Pandemie herzustellen, gehen Koch und Kroenert in ihrem Brief nicht ein. Allerdings, so HK-Sprecher Marco Seliger zur NRWZ, habe sich sein Unternehmen an den Spezialisten für Atemschutz- und Beatmungsgeräte, die Drägerwerke in Lübeck, gewandt und gefragt, „ob wir helfen können“. Da Dräger aber sehr viele ähnliche Angebote deutscher Unternehmen erhalten habe, sei das Angebot aus Oberndorf nicht angenommen worden.
Auf Nachfrage der NRWZ hat sich Ildiko Mannsperger, die Medienkoordinatorin Frieden von Greenpeace Deutschland zum Antwortschreiben aus Oberndorf geäußert: „Wir begrüßen die Dialogbereitschaft von Heckler & Koch und werden das Angebot eines zukünftigen Austausches gerne annehmen.“
Greenpeace bleibt skeptisch
Allerdings beobachte Greenpeace die Bestrebungen des Unternehmens „in Anbetracht der Rüstungsexportskandale des Unternehmens der näheren Vergangenheit“ mit kritischer Vorsicht.
Die neue „Grüne-Länder-Strategie“ geht Greenpeace nicht weit genug. Man fordere einen Rüstungsexportstopp in alle Drittländer, also alle Staaten, die nicht der EU angehören. „Waffenexporte können aus unserer Sicht … kein Mittel für Friedenssicherung und Stabilität sein. Ganz im Gegenteil: Das Beispiel der illegalen Waffenexporte nach Mexiko hat gezeigt, wie schnell Staaten ihre eigene Bevölkerung mit Waffen aus Deutschland drangsalieren können.“
Das Gesprächsangebot, das Koch und Krönert gemacht haben, nehme man gern an, schreibt Mannsperger. Aber: „Seit Ende 2018 wollen wir mit Heckler & Koch über ihre „Grüne-Länderstrategie“ sprechen. Trotz zwischenzeitlicher Zusagen ist es leider nie zu einem Gespräch gekommen. Wir hoffen, dass das Angebot diesmal ernst gemeint ist.“
Während die Rüstungsindustrie das mit der Konversion nicht wirklich ernst zu nehmen scheint, haben bei den Autobauern und ihren Zulieferern die Manager umgedacht: Daimler will per 3-D-Drucker Komponenten für die Medizintechnik herstellen, meldete die Welt. Und Bosch bastelt an einem Coronatestgerät. Dass Autokonzerne in den USA in Krisenzeiten auch ihre Produktion umstellen können, bewies übrigens Ford schon vor mehr als 100 Jahren: Im ersten Weltkrieg kamen aus den Karosseriepressen statt Kotflügeln Stahlhelme.
Indonesien grün – Philippinen rot? oder: Wie ernst ist es HK mit dem neuen Kurs?
In ihrem Schreiben an Greenpeace erwähnen die HK-Chefs die Philippinen als Negativbeispiel eines „repressiven Staates“ und sichern zu, HK werde „keine repressiven Staaten, sondern freiheitliche Demokratien, die unsere Werte teilen“ beliefern.
Vor wenigen Wochen hatte Jens B. Koch in einem „Hintergrundartikel“ über eine Endverbleibskontrolle des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), des Auswärtigen Amts und von Heckler & Koch in einem Waffendepot von Spezialkräften der indonesischen Armee, in dem Sturmgewehre vom Typ G36K lagerten, berichtet. Koch lobte: „Es gab keine Beanstandungen. Alle Waffen waren dort, wo sie laut Endverbleibserklärung sein sollten.“
Waffen verschwinden – trotz Kontrollen
Dass Heckler und Koch jahrzehntelang Waffen in einen Staat geliefert hat, dessen Menschenrechtsbilanz zumindest „kritisch“ einzustufen ist (Bonn international Center for Conversion, BICC), blieb damals unerwähnt. Das BICC berichtet, in Indonesien werde „auch die Maschinenpistole MP 5 von Heckler & Koch in Lizenz hergestellt, wobei die Lizenz möglicherweise illegal über die türkische MKEK vermittelt wurde“.
Die Bonner Wissenschaftler sehen die größte Gefahr bei der unerlaubten Wiederausfuhr im Bereich der Kleinwaffen: „Diese werden z.B. von Mitgliedern der indonesischen Sicherheitskräfte entweder direkt an regierungstreue, nicht-staatliche Gewaltakteure (z.B. Milizen) weitergegeben oder auch verkauft.“
HK-Sprecher Marco Seliger betont auf Nachfrage der NRWZ, sein Unternehmen liefere derzeit keine Waffen mehr nach Indonesien, „obgleich es noch auf der ‚grünen Liste‘ steht“. Die Situation dort sei derzeit „nicht so, dass wir liefern wollten oder könnten.“ Die Bundesregierung würde Exporte auch nicht genehmigen. Zwischen 2010 und 2019 habe HK noch alte Verträge erfüllt, dabei sei es aber nur um Stückzahlen im zweistelligen Bereich gegangen.
Menschenrechtslage: unterschiedliche Einschätzungen
Andererseits mache Indonesien „sichtbare Fortschritte“ und sei „auf dem Weg zu demokratischen Verhältnissen“. Zwischen Indonesien und der EU gebe es seit 2012 eine Sicherheitspartnerschaft. Das Auswärtige Amt lobe die weitgehend effektive Pressefreiheit, dass der Menschenrechtsschutz deutlich gestärkt worden sei, die wachsende und aktive Zivilgesellschaft und den gesellschaftlichen Reformprozess im Land. Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei erwähne das Auswärtige Amt ausdrücklich nicht, so Seliger.
US-Diplomaten hingegen schreiben in ihrem Jahresbericht zu Indonesien, es gebe „Berichte über willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Sicherheitskräfte, Folter durch die Polizei, willkürliche Verhaftungen, grausame und lebensbedrohliche Zustände in den Gefängnissen…“
Seliger weist darauf hin, dass für sein Unternehmen die Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes maßgeblich sei. Nach einer Vereinbarung zur verstärkten Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und zur Terrorbekämpfung zwischen Indonesien und Deutschland aus dem Jahr 2012 müsse man sich fragen: „Helfen wir diesem Land auf dem Weg der Stabilisierung und – vorsichtig gesagt – Demokratisierung? Unsere Regierung hat gemeinsam mit der EU entschieden, ja, wir helfen.“
Und dazu gehöre seiner Ansicht nach neben der Ausbildung von Sicherheitskräften auch die Lieferung von Waffen.