Er war der strahlende Sieger nach einer Stichwahl, sollte zum 1. Juli sein neues Amt als Bürgermeister von Alpirsbach antreten – doch Sven Christmann sieht sich jetzt dem Vorwurf der aktiven Wählertäuschung ausgesetzt. Das erklärte am Mittwoch das Landratsamt Freudenstadt als Aufsichtsbehörde. Und es erklärte die Wahl in der Stadt im Nordschwarzwald als ungültig. Schon die Bewerbung Christmann sei so mangelhaft gewesen, dass er gar nicht hätte zugelassen werden können, heißt es.
Region – Der 49-jährige Sven Christmann sieht sich schon länger Vorwürfen ausgesetzt. Bestechlichkeit, lautet einer. Während seiner Tätigkeit im Innenministerium soll er Bestechungsgeld angenommen haben, hieß es. Da geht es um eine von ihm geführte Beschaffung als im Ministerium angesiedelter Polizeibeamter. Eine fünfstellige Summe soll auf einem Firmenkonto eingegangen sein, einem Unternehmen, das Christmann gehören soll. Entsprechende Ermittlungen laufen, der Fall steckt damit in der Anfangsphase. Ob es zur Anklage kommt, ob Beweise gegen Christmann vorliegen und ob diese von der zuständigen Staatsanwaltschaft als ausreichend angesehen werden – das ist völlig offen.
Das hinderte den Christmann nicht daran, als Bürgermeister für Alpirsbach zu kandidieren. Und aus seiner Sicht gab er sich transparent. So erklärte er bereits im Mai, zu keinem Zeitpunkt bestritten zu haben, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft. „Richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft Pforzheim beim Landgericht Karlsruhe – auswärtige Strafkammern Pforzheim – eine Anklageschrift wegen dem Vorwurf der Bestechlichkeit erhoben hat“, schrieb auf seiner Kandidaten-Website.
Das war wenige Tage, nachdem er sich bei der Wahl in Alpirsbach in einer Stichwahl gegen den Amtsinhaber durchsetzte.
Gegen diese Wahl haben drei Bürger Einsprüche erhoben. Zuständig: die Kommunalaufsicht, das Landratsamt Freudenstadt. Und dort ist man jetzt „nach eingehender Prüfung der von der Stadt Alpirsbach vorgelegten Wahlunterlagen … zu dem Prüfungsergebnis gelangt, dass die Einsprüche begründet, die Bürgermeisterwahl zu beanstanden und sowohl die Hauptwahl am 14. April 2024, als auch die Stichwahl am 28. April 2024 für ungültig zu erklären sind.“ Das gab Landrat Dr. Klaus Michael Rückert am Dienstag im Rahmen eines kurzfristig anberaumten Pressegesprächs bekannt.
Die Wahlprüfung auf der Grundlage des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung Baden-Württemberg hätten Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften festgestellt, hieß es dann in einer heute nachgereichten schriftlichen Erklärung der Behörde. So habe Christmann in einem auf Instagram veröffentlichten Statement vom 13. April 2024 explizit darauf hingewiesen, dass er nicht suspendiert sei. Auch in seiner Darstellung am 2. Mai 2024 auf seiner Website habe er dies nochmals klargestellt und teilte mit, dass er dies nicht nur über Instagram, sondern auch in persönlichen Gesprächen oder auch schriftlich so erklärt habe. „Im Rahmen der Wahlprüfung hat das Landratsamt gesicherte Informationen erhalten, dass Herrn Christmann schon lange vor Beginn des Bürgermeister-Wahlverfahrens die Führung der Dienstgeschäfte gem. § 39 BeamtStG (Suspendierung) verboten wurde und dass dieses Verbot seither unverändert fortbesteht“, hat nun das Landratsamt herausgefunden. Das sei schlicht als „eine aktive Täuschung der Wähler zu bewerten“. Auf den Vorwurf der Täuschung und des Vorenthaltens von wichtigen Informationen für den Wähler hätten sich insbesondere auch alle drei Einsprüche bezogen.
Nun habe Christmann sich zwar dazu entschieden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, allerdings habe er nicht umfassend informiert, urteilt das Freudenstädter Landratsamt weiter. „Ob hier letztendlich eine Täuschung durch Unterlassung zu bejahen ist“, kann aufgrund der unter Ziffer 1 ausgeführten aktiven Wahltäuschung“, könne wegen der ohnehin im Raum stehenden Wählertäuschung „dahingestellt bleiben“.
Damit nicht genug, auch mit den Unterstützerunterschriften, die jede Bewerberin und jeder Bewerber einreichen muss, gibt es Probleme. „Nach den wahlrechtlichen Bestimmungen musste Herr Christmann zehn Unterstützungsunterschriften von wahlberechtigen Personen auf amtlichen Formblättern vorlegen“, fasst das Landratsamt zusammen. „Die vorliegenden Bewerbungsunterlagen von Herrn Christmann enthalten zwar zehn unterschriebene Formblätter, jedoch fehlt bei neun der zehn notwendigen Formblättern die entscheidende Angabe, welcher Kandidat für das Amt des Bürgermeisters tatsächlich unterstützt werden soll“, heißt es weiter. Dies sei „ein wesentlicher Mangel“, die Bewerbung von Christmann sei damit formell als nicht gültig zu bewerten. Allerdings sieht hier das Landratsamt auch ein Versäumnis der Stadt Alpirsbach: „Der Gemeindewahlausschuss hätte auf diese Mängel hinweisen und die Unterstützungsunterschriften und damit die Bewerbung von Herrn Christmann für ungültig erklären müssen.“
Ein weiterer dicker Fehler im Vorfeld der Wahl, den sich die Stadt ins Stammbaum schreiben lassen muss: „Die vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachungen sowohl für die Hauptwahl als auch für die Stichwahl erfolgten im Nachrichtenblatt der Stadt Alpirsbach und auch auf der Webseite der Stadt Alpirsbach. Sie haben alle erforderlichen Informationen enthalten, jedoch fehlte bei den rechtlich maßgeblichen Bekanntmachungen im Internet die notwendige elektronische Signatur, was einen wesentlichen Bekanntmachungsfehler darstellt“, so das Landratsamt.
Nun hätten im Wahlprüfungsverfahren die festgestellten Wahlfehler zusätzlich anhand des Maßstabs der Ergebniserheblichkeit überprüft werden. „Dadurch wird verhindert, dass ergebnisunerhebliche Verstöße, selbst wenn damit gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen wurde, zu einer Aufhebung der Wahl führen“, schreibt die Behörde. Und kommt zu dem Schluss: „Nach sorgfältiger Abwägung der unterschiedlichen Aspekte konnten die Wahlrechtsverstöße bei den öffentlichen Bekanntmachungen anhand des notwendigen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs am Ende als ergebnisunerheblich eingestuft werden.“
Doch: „Die Täuschung der Wähler muss von der Wahlprüfungsbehörde jedoch als ergebniserheblich eingestuft werden, da dies eine direkte Auswirkung auf das Wahlverhalten und die Stimmabgabe der Bürger hat.“ Hierauf würden sich auch die Begründungen der drei Einsprechenden beziehen. Das Gesetz verlange nicht einen tatsächlichen, sondern nur einen möglichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Wahlfehler und Wahlergebnis. Dieser sei gegeben, wenn sich aus dem Verstoß eine konkrete und nach der Lebenserfahrung nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses ergibt. „Dies liegt bei der Hauptwahl vor, aber auch insbesondere bei der Stichwahl, hätten sich hier 155 Wähler für den anderen Bewerber entschieden, wäre die Wahl anders ausgegangen“, rechnet das Landratsamt vor.
Auch die nicht ausgefüllte Angabe mit dem Namen von Sven Christmann auf dem Formblatt „Unterstützungsunterschrift“ hätte von der Wahlprüfungsbehörde als ergebniserheblich eingestuft werden müssen, „weil die Bewerbung von Herrn Christmann damit nicht gültig war und er nicht zur Wahl hätte zugelassen werden dürfen.“
Der Stadt Alpirsbach ist der Wahlprüfungsbescheid nach Angaben des Freudenstädter Landratsamts am Mittwoch, 12. Juni 2024, zugestellt worden. Wegen der Beanstandung und Unwirksamkeitserklärung werde die Stadt Alpirsbach in dem Prüfungsbescheid aufgefordert, unverzüglich eine Neuwahl anzuordnen.
Die vom Wahlprüfungsbescheid Betroffenen haben die Möglichkeit, gegen die Wahlprüfungsentscheidung unmittelbar Klage beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe zu erheben. Christmann hat noch nicht auf die neuen Vorwürfe reagiert.