Wer im europäischen Ausland unterwegs ist, muss nicht lange nach der jeweils geltenden Notrufnummer suchen: Überall in der EU gilt die 112. Um diese Tatsache bekannter zu machen, haben verschiedene Institutionen den „Europäischen Tag des Notrufs 112” ins Leben gerufen
Wer weiß, wie lange eine unkomplizierte Reise aufs europäische Festland noch möglich ist? Ein Student aus Großbritannien nutzt die Zeit vor den Unwägbarkeiten des Brexit für einen Urlaub in Deutschland und erkundet zu Fuß die Umgebung von Rottweil. In einem Waldstück wird er Zeuge, wie ein Auto von der eisglatten Fahrbahn abkommt und gegen einen Baum prallt. Er macht sich auf den Weg zum verunglückten Auto, um gegebenenfalls Hilfe zu leisten. Auf dem Weg dorthin zückt er sein Handy und wählt den Notruf: 112.
Eine Familie aus Rottweil macht derweil Urlaub in Griechenland. Auf dem Weg zum Strand, das Auto beladen mit Sandspielzeug und Picknickutensilien, kommt der vor ihr fahrende Wagen von der Straße ab, überschlägt sich und bleibt auf dem Dach liegen. Die Mutter lenkt das Auto auf die Seite, der Vater steigt aus und nähert sich dem Unfallort. Die Mutter wählt währenddessen die Notrufnummer. Und zwar? Genau, die 112.
Diese beiden erdachten Fälle zeigen: Innerhalb der europäischen Union bleiben Reisenden lange Recherchen nach national geltenden Notrufnummern erspart. In der gesamten EU gilt dieselbe Nummer, die 112, und das bereits seit 1991. Dass dies so ist wissen aber Umfragen zufolge sehr wenige Europäer, in Deutschland waren es im Jahr 2013 weniger als ein Viertel der Bürger.
Um das zu ändern, haben das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die EU-Kommission im Jahr 2009 den Europäischen Tag des Notrufs 112 ins Leben gerufen. Dieser Tag wird jedes Jahr am 11. Februar begangen. Na, Zahlenspiel erkannt? Genau, am 11.2.
Würde der Student aus Großbritannien nun im Landkreis Rottweil die 112 wählen, könnte es sein, dass Andreas Noth seinen Anruf beantwortet. Er ist stellvertretender Leiter der Integrierten Feuerwehr- und Rettungsleitstelle Rottweil und nimmt dort im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Notfall-Anrufe entgegen.
In der Leitstelle herrscht eine hoch konzentrierte, ruhige Atmosphäre, die im Gegensatz steht zu der Aufregung, die die Mitarbeiter mit einigen Knopfdrücken und Funksprüchen in der ganzen Gegend auslösen – wenn Gaffer, angelockt durch Feuerwehrsirenen oder Hubschraubereinsätze, zu Unfallorten eilen oder wenn die Einkäufer im Supermarkt über Gänge hinweg herauszufinden versuchen, in welche Richtung der Notarzt wohl gefahren ist.
Die Mitarbeiter der Leitstellen sind hochqualifiziert: Sie sind (mindestens) ausgebildete Rettungsassistenten mit langjähriger Erfahrung und waren zusätzlich im feuerwehrtechnischen Dienst tätig. Hinzu kommt die Weiterbildung zum Leitstellendisponenten. Sie müssen in der Lage sein, in einem kurzen Gespräch die richtigen Fragen zu stellen, gegebenenfalls Menschen in emotionalen Ausnahmesituationen zu beruhigen, die Lage vor Ort zu erfassen und die nötigen Schritte einzuleiten: Ist überhaupt ein Einsatz von Rettungsdienst oder Feuerwehr notwendig und wenn ja, in welchem Umfang? Welcher Rettungswagen ist gerade wo unterwegs, wer könnte schnell vor Ort sein?
Falls gerade viele Notrufe gleichzeitig eingehen, gilt es zudem, die Schwere der Fälle zu kategorisieren: Ein Patient mit einer Platzwunde muss etwas länger warten, wenn gleichzeitig ein bewusstloser Patient reanimiert werden muss.
Die Leitstellendisponenten sitzen vor einer eindrucksvollen Wand aus Monitoren und jonglieren mit Daten, Tabellen und Landkarten. Für einen Außenstehenden ist es unmöglich, die genauen Abläufe zu überblicken, gehen doch laufend neue Anrufe ein. Im Jahr 2018 waren es in der Leitstelle Rottweil 21.600 Notrufe, die über die Notrufnummer 112 eingegangen sind, durchschnittlich 60 pro Tag.
Auf Anrufe auf Deutsch und Englisch sind die Mitarbeiter der Leitstelle eingestellt, der Student aus Großbritannien hätte also keine Sprachbarrieren zu fürchten. Spricht ein Anrufer keine dieser Sprachen, können andere Leitstellen unkompliziert um Hilfe gebeten werden.
Ist auch dieser Schritt erfolglos, steht den Disponenten als „Notanker” ein phonetisches Hilfsprogramm zur Verfügung: eine Liste von Fragen und Antworten, die lautsprachlich notiert sind und von den Leitstellenmitarbeitern abgelesen werden können. Ganz im Sinne des internationalen Funkverkehrs: Der Begriff „Mayday”, der dort in Notfällen verwendet wird, leitet sich von der englischen Interpretation des französischen „(Venez) m’aider” ab: Helfen Sie mir!