Macher und Gäste begehen 20 Jahre NRWZ-Verein

Festvortrag von Josef-Otto Freudenreich

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

20 Jahre NRWZ-Verein – das war für die Zeitungsmacher und ihre Freunde und Unterstützer Grund zum Feiern. Am Samstag wurde das kleine Jubiläum auch begangen.

Rottweil – Eigentlich war der Verein ja schon im Frühjahr 2004 gegründet worden – wenige Wochen, nachdem sich die Schwäbische Zeitung aus dem Kreis Rottweil zurückgezogen hatte. Genau 20 Jahre vor der Feier, am 31. Januar 2004, war die letzte Ausgabe des „Schwarzwälder Volksfreund“ in der Raumschaft Rottweil und des „Schwarzwälder Tagblatt“ in der Umgebung von Schramberg erschienen

Dr. Andreas Linsenmann.

Der Vorsitzende

Dr. Andreas Linsenmann, der langjährige Vorsitzende des Vereins, erwähnte dies. Und auch, dass im November die allererste Ausgabe der Neuen Rottweiler Zeitung erschien. Auf Papier. „Die Stadtgesellschaft wusste dies zu schätzen“, rekapitulierte Linsenmann. Und berichtete auch, dass mit der Corona-Pandemie keine gedruckte Ausgabe mehr erschien, sondern die Artikel nun im Internet gelesen werden können – und werden. Die NRWZ bezeichnete er als „ziemliches Unikat“. Es gebe Ähnliches, aber „so was wie die NRWZ gibt es deutschlandweit nicht, und das seit 20 Jahren. Wir sind „comitted für Lokaljournalismus, für die Region“, betonte er. Und der NRWZ-Verein sei das „tragende Element der NRWZ.“

OB Ruf

OB Ruf bei seinem Grußwort.

In seinem Grußwort betonte Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf, dass an diesem Tag insbesondere das hohe Gut der Pressefreiheit gefeiert werden solle. Ganz nach dem Motto „eine zweite Meinung ist wichtig“ leisteten die NRWZ-Macher „und dies teilweise sogar ehrenamtlich – seit nunmehr 20 Jahren einen ganz wichtigen Beitrag zur Medienvielfalt in unsere Stadt.“ Das Besondere an der Neugründung sei gewesen, dass sie durch engagierte Bürgerinnen und Bürger erfolgt sei und nicht durch einen einzelnen Verleger oder Kapitalgeber. So sei die NRWZ auch immer eine Bürgerzeitung gewesen und dank dem Förderverein auch geblieben.

„Seemoz“

Ute Preimesser stellte den „Seemoz“ vor.

Auch ein Presse-Medium, das von einem Verein getragen wird: Die Online-Zeitung „Seemoz“ aus Konstanz. Diese war, wie deren Redakteurin Uta Preimesser berichtete, ursprünglich als gedruckte Monatszeitung geplant. Sie ist aber ausschließlich online, seit sie 2007 erstmals erschien. Fünf Leute machen die redaktionelle Arbeit, berichtete Preimesser. 2016 hat das Finanzamt die Gemeinnützigkeit des Trägervereins anerkannt.

Freudenreich beim Festvortrag

Die Festrede hielt Josef-Otto Freudenreich, lange Jahre Chefreporter der Stuttgarter Zeitung und derzeit an der von ihm mit gegründeten „Kontext Wochenzeitung“ aktiv. Er hob die Bedeutung der von großen Verlagshäusern unabhängigen lokalen Presse hervor. Wir dokumentieren im Folgenden den Vortrag, den er mit „Lokaljournalismus, Demokratie, Identität – Warum es eine NRWZ braucht“ überschrieben hat, im Wortlaut (s. unten).

Zum Auftakt spielte das Querflöten-Trio der Musikschule Rottweil mit Irena Soloducha, Leona Bauer und Hanna Grimm.
Zwei Reporter-Legenden: Martin Himmelheber (links) und Josef-Otto Freudenreich.

Der Festvortag von Josef-Otto Freudenreich

Liebe Festgäste,

lassen Sie mich mit der Aktualität beginnen. Mit der AfD, der selbsternannten Alternative für Deutschland. Sie hatte am vergangenen Mittwoch ihren historischen Tag. Es war der Tag, an dem eine rechtsradikale Partei hoffähig wurde. Ermöglicht vom Vorsitzenden der CDU, Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der keine Scham hatte, seine sogenannte Asyl-Wende mit Hilfe der AfD durch den Bundestag zu bringen. Die Brandmauer war gefallen.

Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb: „Laut heraus gebrüllte Häme bei der AfD, tiefe Verzweiflung bei SPD, Grüne und Linke“. 

Was das im Einzelnen bedeutet, diese „Verschärfung der Migrationspolitik“, zu der man auch „Festung Europa“ sagen kann, soll hier nicht das Thema sein. Erwähnt sei nur, dass es auch der Tag des Holocaust-Gedenkens im Bundestag war, der Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren, durch die Rote Armee, was gerne vergessen wird. Damals waren es deutsche und europäische Juden, die an fremden Grenzen abgewiesen wurden. Was hätte ein Recht auf Asyl für sie bedeutet?  

Dieser Vorspann musste sein, weil er für unser Thema wichtig ist. Für die Demokratie, ihre Verteidigung, ihren Erhalt und ihre Zukunft. Also für alles, was Weidel und Höcke bekämpfen.

Konstitutiv für die Demokratie, so heißt es, sei eine freie Presse, unterlegt durch Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Eine Zensur findet nicht statt.“ 

Immer wieder taucht auch der Begriff „Vierte Gewalt“ auf, der impliziert, dass die Presse staatliches Handeln nicht nur begleiten, sondern auch kontrollieren soll. Nicht zu vergessen den Auftrag, an der Willens- und Meinungsbildung der Bevölkerung mitzuwirken.

Auch darüber wäre nun viel zu sagen, inwieweit die Presse diesem Auftrag tatsächlich gerecht wird, oder ob nicht auch zu bedenken wäre, was beispielsweise Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch über „Die Vierte Gewalt“ geschrieben haben. Sie sehen bei den Leitmedien einen „Hang zur Homogenisierung des journalistischen Informierens, Urteilens und Meinens“, zum Vorsichhertreiben von Politikern, und verweisen auf die uniforme Berichterstattung über Corona und den Ukraine-Krieg. Beim Publikum kommt dieser Journalismus nicht immer gut an.

Auch das gilt es im Blick zu halten, wenn über die Rolle von Medien in der Demokratie diskutiert wird.

Vorsicht ist vor allem bei Verlegern geboten, wenn sie zu ihren Sonntagsreden über ihre Produkte anheben. 

Gestatten Sie mir eine kleine Geschichte aus dem Reich der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), zu der unter anderen die „Süddeutsche Zeitung“, die Stuttgarter Blätter, die „Rheinpfalz“ – und der „Schwarzwälder Bote“ gehören. Ich rede hier vom zweitgrößten Tageszeitungskonzern in Deutschland.

In den vergangenen Wochen haben die Kolleginnen und Kollegen der Stuttgarter Zeitungsnachrichten immer wieder gestreikt. Zurzeit sind sie beim insgesamt 19. Streiktag angelangt. Warum sie das tun, lesen sie in der StZ und den StN nicht. Zum einen setzen sie sich für Kolleginnen und Kollegen ein, die in tariflosen Gesellschaften arbeiten, zum andern haben sie wieder einmal eine Sparrunde vor Augen, die Dutzende von Arbeitsplätzen kosten wird. Ich nehme an, dass Ihnen diese Geschichten bekannt vorkommen. Beim Schwabo gab es einst den längsten Streik in der deutschen Mediengeschichte. Mehr als 100 Tage. 

In zehn Jahren habe er vier Entlassungswellen erlebt, berichtet der Betriebsratsvorsitzende in Stuttgart, und jedes Mal mit der Begründung, das müsse sein, damit das Unternehmen zukunftssicher aufgestellt sei.

Selbstverständlich weiterhin mit Qualitätsjournalismus, der allerdings in vielerlei Hinsicht neu definiert, sprich den Bedürfnissen des modernen Menschen angepasst werden müsse. Dass diese Bedürfnisse häufig in der Bauchgegend angesiedelt werden, wird niemandem entgehen, der diese Zeitungen liest. Boulevard und Banalität prägen das Bild.

Das Entlassen von Personal erscheint den Eigentümern dieser Produkte als einzige Möglichkeit ihrer Existenzsicherung, die wiederum auf der Basis veralteter Annahmen beruht. Die Lizenz der Alliierten zum Zeitungsdruck war eine Lizenz zum Gelddrucken, die Profitrate exorbitant, bis zur Jahrtausendwende, bis das Internet so weit gediehen war, dass es zum bevorzugten Platz für die Anzeigen wurde und die sogenannten sozialen Medien zur Gratisbörse für Information und Unterhaltung aufstiegen.

Bei Ihnen hier in Rottweil konnten Sie diesen Prozess realiter beobachten. Ich meine damit nicht den Umfang des anschwellenden Vermögens, sondern die Sicherung desselben. Soll heißen: Die Schließung des „Schwarzwälder Volksfreund“ 2004, der Lokalausgabe der „Schwäbischen Zeitung“ – bei der ich einst volontiert habe, wie der NRWZ-Herausgeber Peter Arnegger. Aber das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Das nur nebenbei.

Heute würde man den Vorgang, der einer Nacht- und Nebelaktion glich, als Gebietsbereinigung nach Gutsherrenart bezeichnen, tat der „Schwarzwälder Bote“ in Trossingen doch dasselbe mit seinem Lokalblatt, also Laden dicht, und zack waren beide Verlage an diesen Orten etwas, was Kapitalisten immer sein wollen: sie waren Monopolisten. Was ihre Kundschaft anbelangt, blieben sie wortkarg, sie durfte über die Gründe rätseln und sich fragen, ob das Credo der Aufklärung, das bürgerliche Zeitungen gerne vor sich hertragen, nur gilt, wenn es um andere geht.

In Rottweil war das nicht so geräuschlos zu erledigen. Es gab Unterschriftenlisten und eine Demonstration, und ich habe einem NRWZ-Interview mit dem langjährigen Stadtarchivar Winfried Hecht entnommen, dass dafür ein „hoher Intellektualisierungsgrad“ der Stadt verantwortlich war. Die Bürgerinnen und Bürger empfänden Meinungsvielfalt als wertvoll, sagte er, sie wollten nicht nur zur Dachluke raus schauen, sondern durch mehrere Fenster.

Das war sehr schön formuliert und lässt erahnen, worauf ihr Protest gründet. Auf ein ordentliches Selbstbewusstsein. Auf Bürgerstolz in der ältesten Stadt Baden-Württembergs.

Ganz nebenbei, das ist mir bei der Vorbereitung auf diese Rede auch noch aufgefallen: Ein Foto Ihres Oberbürgermeisters Christian Ruf, der in seinem Amtszimmer sitzt, neben ihm ein Hund namens Achilles. Die Überschrift lautet: „Rottweil protestiert gegen Rottweiler-Verbot“. Adressat ist der Kanton Zürich, der eine Anschaffung dieser Rasse untersagt, weil sie ein „erhöhtes Gefährdungspotenzial“ darstelle. Ruf kontert und sagt, der Rottweiler sei „wachsam, stark und unerschrocken“. Womöglich hat er das symbolisch gemeint. Auch für seine Stadtgesellschaft. Gestern hat sogar noch die dpa darüber berichtet.

Tatsache ist, dass dieser Menschenschlag widerborstig ist, dass er einen Verein gegründet hat und der wiederum eine Zeitung, die „Neue Rottweiler Zeitung“ hieß, und die es heute noch gibt. Zur Überraschung aller. Seit mehr als 20 Jahren. Unter den Gratulanten sind viele ehrbare Menschen, Heckler & Koch und Ruja Ignatova, die Kryptoqueen, sind nicht dabei. Chapeau!

Einen dicken Glückwunsch meinerseits! Auch an den Kollegen Martin Himmelheber, der für die Nicht-Gratulanten verantwortlich ist.

Glauben Sie mir, ich weiß, was es heißt, ein solches Projekt auf die Welt zu bringen. Und es in ihr zu halten. Wir haben 1982 die „Karlsruher Rundschau“ gegründet, als Gegenstück zu den „Badischen Neuesten Nachrichten“, und waren nach zwei Jahren pleite. 2011 kam „Kontext“, als Gegenstück zu den Stuttgarter Blättern, und wir waren nach einem Jahr – fast – pleite. 

Gerettet haben uns die Leserinnen und Leser, die die Notwendigkeit einer zweiten Stimme erkannt haben. Es war die Hochzeit der Proteste gegen Stuttgart 21. Zehntausende sind damals auf die Straße gegangen und mussten zuhause lesen, dass sie irregeleitet, Zukunftsverweigerer waren, weil sie nicht kapiert haben, wie man dagegen sein konnte, in einem Zug von Paris nach Bratislava zu fahren.

Bahnchef Hartmut Mehdorn hat mir damals erzählt, ich müsste den Kopf schon in einen Gully stecken, um etwas von den Bauarbeiten mitzukriegen. Und alle haben es geglaubt: Die „Stuttgarter Zeitung“, die „Stuttgarter Nachrichten“, die ganze baden-württembergische Presse und der Südwestrundfunk.

Ich erzähle Ihnen das auch, weil Sie mit einer Spätfolge von Stuttgart 21 zu kämpfen haben: mit der Gäubahn. Sie passt so wunderbar ins Bild dieses Immobilienprojekts, das bisher alles bestätigt hat, was seine Kritiker kritisiert haben. Ich kann Ihnen nur raten, wachsam zu bleiben.

Ich berichte Ihnen es aber auch, weil es ein Beleg dafür ist, dass die Quantität allein noch nichts über die Qualität besagt. Wenn Uniformität zur Blattlinie aller wird, hilft es wenig, wenn Verleger und Politik gemeinsam das hohe Lied der Vielfalt singen. In Baden-Württemberg wird es besonders gerne angestimmt, vorneweg von Winfried Kretschmann, weil es hier noch 17 sogenannte publizistische Einheiten gibt. Und dann schauen Sie mal rein in diese Zeitungen. Die präsenteste Mitarbeiterin ist die dpa, dahinter rangieren die Berichte der eingekauften Netzwerke aus Berlin und der Bürogemeinschaften in Stuttgart.

Und das Lokale? Die Grundlage journalistischen Schaffens? Die womöglich letzte Existenzsicherung der Tageszeitungen, weil die Informationen über den Nahbereich der Nachbarschaft nicht frei flottierend zur Verfügung stehen? Das unverzichtbare Medium der Demokratie?

Auch darum ist es nicht gut bestellt. Ich zitiere einen entscheidenden Satz aus einer aktuellen Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die den Titel „Öffentlichkeit ohne Journalismus“ trägt: „Weil die Verlage wirtschaftlich immer weiter unter Druck geraten, dünnen sie ihre Redaktionen aus, mit der Folge, dass die Berichterstattung leidet. Dadurch werden sie für viele Abonnent*innen uninteressanter, Werbeanzeigen und Abonnements gehen zurück, die Zeitung steht wirtschaftlich noch schlechter da, sie dünnt die Redaktion noch weiter aus – bis sie schließlich aufgeben muss“.

Es ist ein Teufelskreis des Sparens.

Eine Folge sind leere Pressebänke in den Rathäusern, Vereinen, Theatern, Firmen, eine Flut von PR-Meldungen, und damit verbunden der Verlust der Gatekeeper-Funktion, die ureigenes journalistisches Geschäft ist, sprich das Wachen über Anstand, Normen und Werte, Standards und Regeln.  

Wie sehr das auf den Nägeln brennt, hat uns ein Brandbrief von fünf Landräten aus der Metropolregion Stuttgart gezeigt, die den Pressekonzern SWMH aufgefordert haben, ihrem Auftrag der seriösen Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger nachzukommen. Man könne ja mal darüber sprechen, lautete die Rückmeldung, aber – sie wissen schon, der Kostendruck. Ausgesandte des Verlags boten dann eine Lösung an, einen Newsletter zu fertigen, der von den Gemeinden finanziert wird. Nicht eines der vielen SWMH-Blättern hat darüber berichtet.

Und damit erzeugen sie Verdruss, wo sie Vertrauen schaffen sollten. Wo sie Identität stärken sollten, mittels einer Heimatzeitung, die sie vorgeben zu sein und nicht mehr sind. Stattdessen leisten sie der Entwicklung Vorschub, dass ihr Publikum auf eigene Kanäle ausweicht, die öffentliche Kommunikation in die eigenen Hände nimmt und damit die Gesellschaft weiter fragmentiert. Kein Wunder, dass die Auflagen der Zeitungen mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit in den Keller rauschen.

Vieles weist darauf hin, dass dieses Geschäftsmodell keine Zukunft mehr hat – es sei denn, dank KI kann noch mehr Personal eingespart werden. Was eifrig geprobt wird und die Betroffenen in Angst und Schrecken versetzt. Wenn sie, zum Beispiel in Stuttgart, fragen, was aus ihnen wird, bekommen junge Mediengestalterinnen von der Geschäftsführung eine Frage zur Antwort: „Bin ich Jesus?“ Das wiederum verweist auf eine große Ratlosigkeit in den Verlagen, die durch den verstärkten Verkauf von rabattierten Abonnements, Weinflaschen und Reisen nicht kompensiert werden kann.

Eine Perspektive bieten die Lückenspringer. All die alternativen Projekte, die in den zurückliegenden Jahren entstanden und angetreten sind, die Leerstellen zu füllen. „Correctiv“ ist das bekannteste unter ihnen, hervorgetreten durch das Veröffentlichen der „Remigrations“-Pläne der AfD. Dazu gehören „Reporter ohne Grenzen“, das „Netzwerk Recherche“, die „Krautreporter“, die „Riffreporter“, aus Meck-Pomm „Katapult“, aus Baden-Württemberg „seemoz“ und „Kontext“ – und natürlich die „Neue Rottweiler Zeitung“. Mit ihren 20 Jahren darf sie sich zu den Pionieren zählen.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie von ihren Leserinnen und Lesern getragen werden und nicht von renditegetriebenen Privatpersonen, die ihr Geld in Cent und Euro verzinst sehen wollen. Die Alternative ist unabhängiger Journalismus.

Und wer weiß, vielleicht ist es auch bald in Oberschwaben so weit? Dort fährt die „Schwäbische Zeitung“, das Monopolblatt für „Christliche Kultur und Politik“, einen AfD-nahen Kurs, der selbst leidensfähige LeserInnen über Gebühr strapaziert und dem Gedanken nahe bringt, eine Alternative aus der Taufe zu heben.

Einen ersten Schritt ist die frühere Leiterin der SchwäZ in Lindau gegangen. Sie hat das gemeinnützige Online-Nachrichtenmagazin „Kolumna“ gestartet, 657 zahlende AbonnentInnen hat sie schon.

Nun sind die tapferen Gründerinnen und Gründer nicht so verwegen, zu glauben, sie könnten die Altmedien ersetzen. Einfach so. Getragen von der Freude am Job, von der Freiheit bei der Arbeit, vom Engagement für einen Journalismus, der den Anspruch verwirklicht, konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft zu sein. Das reicht nicht. Die Kolleginnen und Kollegen von der NRWZ werden mir das bestätigen können.

Ich könnte jetzt sagen, es braucht Geld, es braucht einen vorzüglichen Rechtsanwalt, es braucht Bewegung in der Politik, die endlich begreifen muss, dass dieser Journalismus förderungswürdig ist. Alles richtig, aber ohne überzeugte Leserinnen und Leser ist alles nichts. 

Womit ich bald am Ende bin und den Anfang wieder aufgreife. Den salonfähig gewordenen Rechtsextremismus. Wir haben seit geraumer Zeit einen Mitarbeiter, der auch zu Ihren Gratulanten gehört. Maxim Flößer. Er hat eine Masterarbeit geschrieben, die sich mit der Frage beschäftigt, ob es einen Einfluss auf die Stimmenanteile der AfD hat, wenn es vor Ort keine Lokalzeitung gibt. Ja, gibt es, 1,6 Prozent im Durchschnitt mehr. So hat er es 2021 bei den Landtagswahlen  in Baden-Württemberg ermittelt.  

Warum das so ist, erklärt der junge Sozialwissenschaftler so: Ein „präsenter Lokaljournalismus“ fördert das politische Wissen, verbindet die Menschen, fördert den Zusammenhalt, und befähigt sie, politische und ökonomische Prozesse auf ihre Korrektheit hin zu beurteilen. Sie verstehen, wie Demokratie funktioniert. AfD-Wähler eher weniger. Vor diesem Hintergrund sei es umso schlimmer, folgert Flößer, wenn die Verlage ihre Redaktionen weiter ausdünnten oder gleich zuschlössen. (In Paranthese: Seit 2005 sind in den USA 2000 Zeitungen eingestellt worden. Donald Trump ist zum zweiten Mal Präsident). 

Inzwischen ist die AfD dazu übergegangen, sich medial auf eigenen Kanälen zu bewegen. Besonders erfolgreich ist sie bei Tiktok, wo sie an der digitalen Spitze steht, auf ihren analogen Wegen kapert sie seit neuem Anzeigenblätter, die sie ungeniert als PR-Plattform nutzt.

Wir, also Kontext, sind seit Jahresbeginn auch Verleger von zwei Anzeigenblättern. Vom „Blättle-West“ und vom „Blättle-Süd“. Auflage 42 000. Wir haben sie gekauft, ganz im Sinne von Maxim Flößer, der seine Studie „Bläddle gegen Rechtspopulismus“ genannt hat. Eine Anzeige der AfD werden Sie darin nicht finden, aber mehr als drei Seiten zur Bundestagswahl, an deren Ende steht, am wichtigsten sei, dass vor allem eine siege: die Demokratie.

Fachgespräch: Freudenreich mit der Redakteurin Susanne Mathes (früher Rottweil) und OB Ruf.
Vereinsvorsitzender Dr. Andreas Linsenmann mit der offiziellen Vertreterin des Landrats, Andrea Schmider.

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Wolf-Dieter Bojus

... war 2004 Mitbegründer der NRWZ und deren erster Redakteur. Mehr über ihn auf unserer Autoren-Seite.

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